Derby County: Der Widder hat Misserfolg
England 21.April.2022 Tobias Graf
Playoff-Pleiten, Fehlinvestitionen, Insolvenz – Nur drei Jahre nach dem Fast-Aufstieg in die Premier League steigt Derby County aus der zweitklassigen Championship ab. Dem Traditionsverein aus den East Midlands ging nach einem jahrelangem Aufstiegskampf das Geld aus. Eine Chronologie des gewohnten Scheiterns.
27. Mai 2019, 16:54 Uhr in London-Wembley: Schiedsrichter Paul Tierney pfeift dreimal, es ist vorbei. Zehntausende Anhänger Aston Villas brechen in Jubelstürme aus, nach der Finalniederlage letztes Jahr ist die Rückkehr in die Premier League endlich geschafft. Fans Derby Countys kennen das Scheitern bereits, elf Jahre warten sie schon sehnsüchtig wieder auf Erstligafußball, zum vierten Mal in sechs Jahren geht der Klub im Playoff leer aus. Doch die Basis im Kader ist gut, das aufregende Team mit Legende Frank Lampard an der Seitenlinie ist erfolgshungrig. Die Erwartungen sind groß, mit den richtigen Verstärkungen gelingt in der nächsten Saison der Aufstieg, sagt man sich in den East Midlands. Jedenfalls dort, wo sich Mann und Frau das schwarz-weiße Trikot der „Rams“ (zu Deutsch: „Die Widder“) überstreifen.
Sommer 2019: Im Pride Park Stadium von Derby sind sie stolz auf ihr Team und die exzellente Jugendarbeit. Die Young „Rams“ gewinnen die U18 Premier League. Der verpasste Aufstieg der Herren kostet aber sportlich und finanziell gehen viele Millionen verloren. Der großartigen Saison 2018/19 des Derby County Football Club folgt ein personeller Aderlass. Allen voran geht Trainer Frank Lampard. Der kündigt zwar nach der Finalniederlage im neuen Wembley Stadium noch an, dass er seinen Vertrag erfüllen möchte, Wochen später ist die Tinte unter dem Vertrag beim Chelsea FC aber trocken. Mit ihm kehren die Leihspieler Mason Mount und Fikayo Tomori zu ihrem Stammverein nach London zurück. Top-Scorer Harry Wilson steigt im Gegensatz zu Derby in die Premier League auf, denn er wird vom Stammklub Liverpool FC zum AFC Bournemouth weitergeschickt.
Das Projekt Aufstieg bekommt nun der erfahrene Philipp Cocu aufgetragen, doch das System stockt und die Neuzugänge um die Leihspieler Kieron Dowell sowie Jamie Paterson schlagen nicht ein. Die beförderten U18-Meister müssen sich erst entwickeln, bereits früh in der Saison müssen die Ansprüche zurückgefahren werden. Im September 2019 verursachen die alteingesessenen Mason Bennett und Tom Lawrence unter Alkoholeinfluss einen Autounfall, bei dem sich Abwehrramme Richard Keogh verletzt und für die restliche Saison ausfällt. Der Vertrag von Letzterem wird aufgelöst, er klagt seine millionenschwere Abfindung ein. Die beiden anderen werden nach klubinternen Strafen begnadigt. Abseits dessen winkt Derby eine langweilige Saison im Tabellennichts der 24 Teams starken Championship, doch der Januar bringt Schwung hinein. Der gealterte Weltstar Wayne Rooney wird aus der Major League Soccer zurück nach England geholt. Seine Ankunft bringt einen Turnaround und die „Rams“ kommen den Playoff-Rängen im Frühling sogar nahe. Am Ende ist die Enttäuschung mit Rang 10 groß, denn es sei mehr drinnen gewesen.
Finanzielle und sportliche Rolltreppe abwärts
Sommer 2020: Cocu behält sein Amt aufgrund der guten Rückserie, doch der Start in die Saison 2020/21 misslingt ihm erneut. Mit Jayden Bogle, Max Lowe und Morgan Whittaker ziehen Talente von dannen, die hoffnungsvollen Verpflichtungen Jordon Ibe, Kamil Jóźwiak und der geliehene Patrick Roberts funktionieren nicht. Nach elf Spieltagen und nur einem Sieg muss der Niederländer seine Koffer packen, trotz eines Millionengehalts. Rooney übernimmt das Ruder des zu diesem Zeitpunkt Tabellenletzten und hängt seine Fußballschuhe dafür an den Nagel. Er führt Derby langsam aus dem Abstiegssumpf, doch erst Mitte Februar steht die Mannschaft erstmals über dem Strich. Im Anschluss folgt wieder eine Schwächephase und der Abstieg kann erst am letzten Spieltag mit einem Unentschieden verhindert werden. Nur zwei Jahre nach dem Beinahe-Aufstieg in die Premier League folgt der Beinahe-Abstieg aus der Championship.
Der sportlichen Resignation folgt langsam eine finanzielle Implosion. Der Verein war 2014 vom lokalen Geschäftsmann Mel Morris erworben worden, der unter anderem beim Spieleentwickler King mit seiner berühmten Spiele-App „Candy Crush“ drinnen steckte. Mit seinem Geld langte Derby am Transfermarkt zu, teure Einkäufe brachten den Verein sportlich aber nicht weiter. Der Aufstieg in die Premier League, aus der die „Rams“ 2008 nach der schwächsten Saison in der Ligahistorie abgestiegen waren, gelang auch mit seinen Investitionen nicht. Morris verschoss über 200 Millionen Pfund, konnte und wollte dann ab 2020 vielleicht auch kein frisches Geld mehr einbringen. Das einzige Jahr, in dem der Verein unter seiner Herrschaft einen Gewinn verbuchen konnte, war 2019 als der Verein das Pride Park Stadium für 80 Millionen Pfund an ihn verkaufte. Im Oktober 2020 begibt sich Morris auf Käufersuche, potenzielle Deals platzen aber reihenweise.
Sommer 2021: Nach dem Saisonende steigt dann auch die English Football League (EFL), der Austräger der Spielklassen zwei bis vier, Derby County aufgrund von Verletzungen des Financial Fairplays auf die Zehen. Anfang Juli 2021 spricht die EFL eine Transfersperre aus. Zu diesem Zeitpunkt stehen Manager Rooney nur acht Profis zur Verfügung, er kann den Kader nur mit ablösefreien Neuzugängen verstärken. Die Saison beginnt folglich durchwachsen, von einem Aufstieg träumt in den englischen East Midlands niemand mehr, denn neben Derby steht auch der Lokalrivale Nottingham Forest nach einem Fehlstart am Tabellenende. Forest rehabilitiert sich aber nach einem Trainerwechsel und etabliert sich im Aufstiegsrennen. In Derby schauen sie eifersüchtig in die Nachbarstadt. Am 17. September 2021 kracht es, der Verein meldet Insolvenz an. Die EFL zieht 12 Punkte ab und zwei Monate später folgen neun weitere wegen Verletzungen des Financial Fairplays.
Die Lage scheint aussichtlos, der Abstieg aus der Championship scheint mit dem schmalen und unerfahrenen Kader besiegelt. Trainer Wayne Rooney und die Mannschaft werfen die Flinte aber nicht ins Korn und nehmen mit den Fans den Kampf gegen Abstieg und die aus ihrer Sicht unfaire EFL auf. Mit dem kleinsten Kader der Liga, bestückt mit Ablösefreien und Akademiespielern, gelingen akzeptable Ergebnisse. Viele Rohdiamanten aus der U18-Meistermannschaft von 2019 sind auch dabei. Der Verein spielt nicht wie ein Absteiger und würde ohne Punktabzug im hinteren Tabellenmittelfeld stehen. Die blutjunge Mannschaft wird für ihre Moral und Charakter gefeiert, Rooney für sein Coaching. Er springt auch nicht ab als ihn seine Ex, der Everton FC, im Jänner anruft.
Abseits des Platzes geht es drunter und drüber. Bei der Investorensuche geht nichts weiter, Interessierte springen reichenweise ab. Eine Finanzierung der verbleibenden Saison ist überhaupt lange unklar, Spielerverkäufe sind dabei dienlich. Der Pole Kamil Jóźwiak bringt etwas weniger als die Hälfte der einstigen Ablöse von vier Millionen Pfund ein. Aufgrund der hohen Schulden ist sogar eine Einstampfung des Vereins während der Saison im Gespräch, wie es im August 2019 dem Drittligisten Bury FC passierte. Nebenbei streben auch der Middlesbrough FC und die Wycombe Wanderers Klagen gegen Derby County an, da sie sich von den regelverletzenden „Rams“ sportlich benachteiligt und um Millioneneinnahmen hintergangen fühlen. Bei Middlesbrough geht es um den hinter Derby verpassten Platz für die Playoffs der Saison 2018/19 und bei Wycombe um den Abstieg 2021. Wird den beiden Klubs rechtgegeben, dann würden die Verbindlichkeiten von bereits rund 60 Millionen Pfund noch einmal rapide ansteigen.
Sportlich läuft es einigermaßen, der Barnsley FC, Playoff-Teilnehmer aus dem Vorjahr, und Aufsteiger Peterborough United sind bald eingeholt und auch der Reading FC scheint freundlich mitzuspielen, der aufgrund von Verletzungen des Financial Fairplays mit einem Abzug von sechs Punkten belegt wird. Derby kann im Februar auf vier Punkte an den ersten Nichtabstiegsplatz heranrücken, doch Reading rappelt sich unter Neo-Coach und Manchester-United-Legende Paul Ince wieder auf und stellt wieder einen respektablen Vorsprung her. Dem Klassenerhalt fehlt irgendwann nur noch die rechnerische Unmöglichkeit. Auswärts gibt es selten Punkte, während der heimische Pride Park eine Festung ist. Am vergangenen Freitag schlägt Derby zuhause sogar den Tabellenführer Fulham FC.
Im April kristallisiert sich endgültig der seit Monaten interessierte US-Amerikaner Chris Kirchner als präferierter Käufer Derby Countys heraus. Der Deal scheint beschlossene Sache, die nächsten Wochen werden entscheiden. Die beiden klagenden Vereine sollen kompromissbereit sein. Im Raum steht noch ein weiterer 15-Punkte-Abzug, der unabhängig von der Ligazugehörigkeit greifen würde, wenn offene Forderungen nicht rechtzeitig beglichen werden können. Mit dem Vollzug des Kaufs wäre das wahrscheinlich erledigt und es könnte auch die Kaderplanung für die nächste Saison losgehen. Aktuell haben nur drei Spieler im Kader Derbys einen über die aktuelle Spielzeit hinausgehenden Vertrag, bei zwei weiteren kann die Option auf Verlängerung aufgrund finanzieller Einschränkungen vermutlich nicht gezogen werden. Trainer Wayne Rooney weiß nicht, an welcher Seitenlinie er nächstes Jahr steht, sein Vertrag läuft noch bis 2023. Er ist aufgrund seiner Leistungen bei Derby ein gefragter Mann.
18. April 2022, 17:55 Uhr in London-Shepherd’s Bush: Schiedsrichter Josh Smith pfeift dreimal, es ist vorbei. Derby County geht gegen die Queens Park Rangers durch ein spätes Gegentor mit einer 0:1-Niederlage vom Platz. Im nahezu selben Moment köpft Innenverteidiger Tom McIntyre den Reading FC in der 95. Spielminute zum 4:4-Ausgleich gegen Swansea City. Er hat seinem Jugendverein damit drei Spiele vor Saisonende schon wieder spät einen Bärendienst erwiesen, denn er traf bereits zwei Tage zuvor gegen Sheffield United in der Nachspielzeit zum 2:1-Sieg. Dieser Treffer ist der Dolchstoß für Derby County, die es jetzt nach jahrelangen Versuchen geschafft haben, der Championship zu entfliehen. Es geht aber nach unten, statt Premier League müssen sich die Fans mit der League One zufriedengeben. Sie werden ihr Team auch dort frenetisch anfeuern. Ein Überleben des Vereins ist nahezu sicher, eine Liquidation wird als unwahrscheinlich angesehen. Mit den jungen Wilden im Kader wäre die Basis gut, mit Legende Wayne Rooney an der Seitenlinie gibt es vielleicht schon bald wieder Championship-Football in den East Midlands. Jedenfalls dort, wo sich Mann und Frau das schwarz-weiße Trikot der „Rams“ überstreifen.
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Tobias Graf
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