Die Wochen der Wahrheit – Brendan Rodgers und der FC Liverpool tanzen auf drei Hochzeiten gleichzeitig
England 21.Februar.2015 Werner Sonnleitner 0
Der FC Liverpool steht vor entscheidenden Wochen. Nachdem anfangs wenig zusammenlief, sich die Neuzugänge noch nicht wirklich zu Recht fanden, klappte es zuletzt ganz gut. Die Form und die Ergebnisse stimmen wieder, die Reds sind auf dem besten Weg auch ohne Suarez erfolgreichen Offensivfußball zu bieten.
Doch der Haken an der Sache: Heuer tanzt man erstmals wieder auf drei Hochzeiten gleichzeitig! Worauf wird Brendan Rodgers den Fokus legen? Jeder Bewerb bietet seinen eigenen, gewissen Anreiz. Doch ist der Kader groß genug, aber vor allem qualitativ schon so weit, dass man wirklich auf drei Bühnen erfolgreich mitmischen kann?
Brendan Rodgers hat ein gutes funktionierendes System gefunden, das neue 3-4-2-1 bringt Erfolg und die Spieler die das Vertrauen des Nordiren bekommen, rechtfertigten es zuletzt mit starken Leistungen. Liverpool hat sich in den letzten Wochen wieder regeneriert. Doch jetzt warten im besten Fall noch bis zu 25 Spiele in den nächsten drei Monaten – diese stressige Aussicht hat sonst kein anderes englisches Team!
FA Cup, Europa League und Premier League
FA Cup: Nur noch drei Siege würden die Reds vom ersten FA Cup Sieg seit 2006 trennen. Dazu wartet im Viertelfinale mit den Blackburn Rovers ein bezwingbarer Gegner. Als Belohnung für den Gewinner winkt eine fixe Europa League Teilnahme, doch die ist wie meist in England kein wirklich großer Anreiz. So gesehen hat der Cup von den drei Bewerben sportlich für Liverpool wohl die niedrigste Priorität. Emotional ist dies aber ganz anders. Am Finaltag wird Steven Gerrard 35 Jahre alt! Würde der scheidende Kapitän zum Abschluss noch einmal einen Pokal für seinen Herzensverein stemmen, wäre dies der würdige Abgang für die Vereinslegende. Dazu würde wieder einmal etwas „Silverware“ dem Ego der Fans ganz gut tun. Und da sich schon etliche Spitzenclubs aus dem Cup verabschiedetet haben, wäre die Chance auf etwas neuem Glitzer in den Vitrinen wahrscheinlich selten so groß wie heuer.
Europa League: Neben der Meisterschaft ist dies die zweite Möglichkeit sich für die Königsklasse zu qualifizieren. Somit sollten neben einem netten Pokal, auch die Aussicht auf einen Champions-League-Platz Anreiz genug sein, die Donnerstagsspiele ernst zu nehmen. Doch diese Mission ist alles andere als einfach: Wer sich Europacupsieger nennen will, muss vorher in neun Spielen konstant starke Leistungen abliefern und falls das nötige Glück fehlt, wird auch das alles zu wenig sein. Dazu die unbeliebten – weil kräfteraubenden Donnerstags-Reisen durch Europa. Der Preis den es hier zu gewinnen gibt ist zweifelsohne hoch! Doch auch jener den man dafür zahlen würde, falls man weit kommt und dann schlussendlich doch mit leeren Händen dastehen würde. Spannend wie viel Energie hier Brendan Rodgers in diesen Bewerb investieren wird. Das Rückspiel bei Besiktas Istanbul ist nach dem 1:0-Sieg an der Anfield Road bereits ein ordentlicher Härtetest, wenn auch mit recht guter Ausgangsposition.
Premier League: Ein Top-4 Finish hat – wie immer – oberste Priorität. 13 Runden sind noch zu spielen und momentan halten sich die Reds mit vier Punkten Rückstand noch in Lauerstellung. Durchaus möglich, dass sich bis zum Schluss die Teams von Manchester United, Arsenal, Tottenham, Southampton und Liverpool um zwei Tickets zur großen Fußballbühne matchen werden.
Auch wenn die Jungs von der Merseyside dort heuer eine ganz schlechte Figur machten, möchte man auch nächstes Jahr gerne wieder mitspielen. Gegen Real Madrid strich man schon vor Anpfiff des vierten Spiels die Segel und trat mit einer B-Mannschaft im Bernabeu an. Da stellt sich schon die naive Frage, warum man Stammspieler für die Premier League schont, nur damit man dort wieder einen Champions-League-Platz für die nächste Saison ergattert.
Auf jeden Fall geht’s natürlich um viel Geld und eine bessere Ausgangsposition am Transfermarkt, wenn man Königsklassen-Fußball anbieten kann. Will der Verein zu alter Glorie zurückfinden, ist die die Champions League auch rein imagetechnisch Pflicht.
Rotation: Ja! Aber wie viel?
Auf jeden Fall stehen noch einige englische Wochen an. Dazu sind viele Spieler auch mit den Nationalteams unterwegs. Somit muss Rodgers richtig pokern, wann kann er welchen Spielern die notwendigen Verschnaufpausen gewähren?
Vor allem birgt dies auch eine große Gefahr in sich. Mit zu vielen oder zu drastischen Veränderungen in der Mannschaft kann die wiederentdeckte Leichtigkeit des Seins blitzartig wieder weg sein. Schnell kann eine Enttäuschung den Aufwärtsschwung und den psychologischen Rückenwind der letzten Wochen wieder stoppen. Beziehungsweise kann ein schlechtes Spiel das Ende der Cup-Träume bedeuten oder auch die Aufholjagd in der Meisterschaft empfindlich dämpfen.
So wird es am Fingerspitzengefühl des Trainers liegen, seine neu gefundene, funktionierende Stammformation behutsam wie ein Kartenhaus anzugreifen. Veränderungen und die notwendigen Pausen der Schlüsselspieler sollten sorgfältig bedacht werden. Zu viele Umstellungen könnten die in den letzten Wochen mühsam erarbeitete, gute Ausgangsposition ganz schnell wieder einstürzen lassen.
Im Tor hat sich Simon Mignolet sein Stammleiberl wieder zurück erobert und dankt es mit zuletzt großartigen Leistungen. Hier besteht kein Bedarf etwas zu ändern.
Nachdem Dejan Lovren nach durchwachsenen Leistungen zum Saisonstart schlussendlich doch aus der Mannschaft gestellt und die Vierer- zur Dreierkette umfunktioniert wurde, funktioniert auch die Defensivarbeit. Die Achse Can – Skrtel – Sakho machte zuletzt einen bärenstarken Job. Wenn Lovren die Form der Vorsaison wieder findet, kann er aber jederzeit einen der Drei ersetzen. Anders sieht’s dagegen bei Glen Johnson und Jose Enrique aus. Sie kamen zuletzt selten zum Zug und wenn war ihre Defensivleistung ein Graus, während offensiv auch nicht viel über die beiden Routiniers ging. Mit Kolo Touré stieß ein frischgebackener und motivierter Afrikacup-Sieger als zusätzlicher Backup zu den Reds zurück.
Heikel könnte auch das Zentrum werden: Im defensiven Mittelfeld wiegt der Ausfall des formstarken Lucas schwer. Joe Allen hat zwar mehr Spielwitz als der Brasilianer, doch fehlt ihm die Zweikampfstärke um die Bälle zu erobern. Selbst an Steven Gerrard hat das Alter mittlerweile seine Spuren hinterlassen, gegen schnelle Offensivleute wirkte er mit der Ausputzer-Rolle oft schon überfordert. Gesetzt ist sein Nachfolger als Kapitän: Jordan Henderson. Doch auch der Pferdelunge fiel es zuletzt schon immer schwerer sein Powerspiel aufzuziehen. Keiner stand so viele Minuten auf dem Platz und kaum ein Spieler spult so viele Kilometer ab wie der 24-Jährige Engländer. Die Pausen werden aber in den nächsten Wochen noch weniger, die Füße dadurch nicht leichter. Ähnlich verhält es sich beim Offensivmann Coutinho, der zuletzt immer wieder müde wirkte und so an die Superform vom Jänner nicht mehr ganz anschließen konnte. Mit Lallana und Sterling gibt’s aber noch zwei weitere Namen für die beiden Plätze hinter der Spitze.
Dafür hat man außen die Qual der Wahl. Moreno, Ibe, Markovic oder auch wieder Sterling – jeder der vier hat viel Qualität und momentan die richtige Form.
Im Angriff fehlt dem etatmäßigen Einserstürmer Daniel Sturridge noch etwas die Kaltschnäuzigkeit von früher. Trotzdem sind schon zwei Tore nach fast fünf Monaten Verletzungspause Jammern auf höchstem Niveau. Raheem Sterling vertrat ihn ganz gut, trotzdem kommt er lieber mit Tempo vom Flügel.
Dahinter tickt eine kleine Bombe – in zweierlei Hinsicht: Mario Balotelli! Einerseits hofft man, dass nach seinem ersten Ligator der Knoten geplatzt ist und er sportlich „explodiert“. Andererseits birgt kaum ein einzelner Spieler so viel Zündstoff fürs Mannschaftsklima wie ein unzufriedener Super Mario.
Dazu warten mit Borini und Lambert zwar zwei pflegeleichte Offensivkräfte auf ihre Einsätze, dafür aber eben auch nicht unbedingt torgefährlich.
Der Trainer
Bei Brendan Rodgers wird sich heuer zeigen, was im Jungtrainer wirklich steckt. Im Vorjahr konnte sich der Klub – im Gegensatz zu den Konkurrenten – das ganze Frühjahr auf die Meisterschaft konzentrieren. Dazu trafen Suarez und Sturridge wie am Fließband, die Reds hatten einen Lauf und vieles lief scheinbar wie von selbst.
Entsprechend schwieriger ist die heurige Saison für den Nordiren. Dazu die nach der Vizemeisterschaft auch die wieder gestiegenen Ansprüche im Umfeld. Kriselnde oder verletzte Leistungsträger, torungefährliche Stürmer und eine löchrige Hintermannschaft sorgten für einen stürmischen Herbst an der Anfield Road. Da bewies Rodgers Mut und revidierte sein bevorzugtes Stamm-System und fand so jene Formation die aktuell die Stärken der Spieler am besten zur Geltung bringt. Einerseits bewies er damit seine taktischen Fähigkeiten, das Spielsystem auf den vorhandenen Kader anzupassen und nicht umgekehrt. Andererseits aber auch die Größe, seine eigenen Fehler einzugestehen und nicht stur „sein System“ durchdrücken zu wollen.
Rodgers bewegt sich nun also auf drei Roulette-Tischen gleichzeitig. Auf jedem einzelnen winkt ein ganz spezieller Gewinn. Aber die begrenzten Jetons heißt es jetzt clever und bestmöglich einzusetzen. Auf jeden Fall ist dieser Spagat kompliziert und für den 42-Jährigen die nächste richtig große Bewährungsprobe. Vieles wird vom Gespür und der Intuition des Nordiren abhängen wie sich die nächsten Wochen an der Anfield Road entwickeln werden. Gelingt ihm ein Titel und die Qualifikation für die Champions League, könnten schon bald die letzten Zweifler am jungen Trainer verstummen.
Werner Sonnleitner, abseits.at
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