Ein ungeschliffener Diamant für den Flügel der Three Lions: Andros Townsend von Tottenham Hotspur
England 8.Dezember.2013 Rene Maric 0
Wie so viele andere galt Andros Townsend kurzzeitig als neue Hoffnung Englands. Bei seinem Debüt für die Three Lions gegen Montenegro erzielte er ein Tor und war über neunzig Minuten hinweg der Gefahrenherd im Spiel der Engländer. Der 22-Jährige zeigte eine Paradevorstellung für einen Flügelstürmer und deutete sein großes Potenzial an. Ein paar Wochen später ist er aber nicht mehr im aller Munde – wie in solchen Sachen üblich.
Aktuell weht wieder ein härterer Wind für Townsend, der in den letzten drei Spielen seinen Stammplatz im Verein verloren hat. Kritik der Fans gibt es ebenfalls: Zu verspielt, zu schlechte Entscheidungsfindung, zu eindimensional. Dabei könnte auf Townsend, der ein Eigengewächs Tottenhams ist und schon neunmal (!) verliehen wurde, durchaus eine große Karriere warten.
Seine prägende Eigenschaft: Die Dribbelstärke
Am stärksten und auffälligsten dürften die Fähigkeiten Townsends im Eins-gegen-Eins sein. Immer wieder kann er mit seinem schnellen Antritt, seiner engen Ballführung und seinen Läufen Gegenspieler schwindelig laufen. In der Vorsaison stellte er dabei sogar einen Rekord in der Premier League auf, als er während seiner Leihe bei QPR im Spiel gegen Wigan unglaubliche 14 erfolgreiche Dribblings hatte. Die gegnerische Mannschaft kam in der gesamten Partie insgesamt auf nur drei.
Das Interessante an seiner Art zu dribbeln ist aber die Variabilität. Er kann nicht nur offene Räume anlaufen oder à la Garrincha kurze Sprintduelle nach Körpertäuschungen erzeugen, um diese zu gewinnen, sondern besitzt ein vielfältiges Repertoire. Sowohl Übersteiger als auch Läufe in enge Räume mit dortiger Ballbehauptung im Lauf, Sprintduelle, Körpertäuschungen oder Richtungswechsel sind möglich. Am besten ist Towsend aber dann, wenn er den Gegner anläuft und schon sehr früh eine andere Richtung einschlägt.
Mit seiner Wendigkeit und enger Ballführung schafft Townsend es sehr gut, einen großen Abstand auf den Gegner zu halten. Daraufhin wechselt er seine Laufrichtung und geht in eine andere Richtung – im Verbund mit dem Abstand zum Gegner und seinem hervorragenden Antritt kann er sich schnell und raumgreifend vom Gegner entfernen, ohne einfach gepresst werden zu können.
Hier sieht man das schön. Der Gegner will ihn auf rechts leiten, Towsend folgt aber nicht dieser Öffnung des Raumes, sondern geht in die Mitte und kann seine Bewegungen so halten, dass er einen schönen Abstand auf den Gegner hat. Townsend kann dann in den schwarzen Kreis links oben im Bild flanken. Diese Dribblingart mit dem Abstand halten auf den Gegner um dann Fahrt in einen freien Raum aufzunehmen ist aber ein zweischneidiges Schwert.
Oftmals kommt er dann in die Bredouille, weil er zu viel Tempo aus seinen Aktionen nahm, um diesen Abstand halten zu können. Manchmal schätzt er auch die sich entwickelnden Dynamiken in den Räumen, die er anläuft, falsch ein und läuft sich unangenehm fest. Allerdings schafft er es dank seiner Athletik und seinem guten Anlaufen von offenen Räumen sehr oft, dass er sich aus diesen Situationen befreien kann. Jedoch geschieht dies noch zu selten und inkonstant. Mittelfristig dürfte sicherlich entscheidend werden, wie Townsend seine Fähigkeiten und seine Spielweise ausgleichen kann.
Wenn er weiterhin so dribbelt, wird er in einigen Partien auf so hohe Dribbelwerte wie bei seinem Rekord gegen Wigan kommen, aber dem Kollektiv Dynamik rauben. Schafft er es aber seine ausweichenden Dribblings bei schnellen Kontern zu nutzen und linearer aufs Tor auszurichten, könnte er noch eine gefährliche Waffe werden.
In dieser Szene reagiert er sehr früh auf die gegnerische Bewegung, hat einen guten Abstand zu seinem Gegenspieler und kreuzt. Der Gegner ist dadurch sehr weit weg, er hat keinen Zugriff und Townsend kann erst zentral in einer 35 Meter höheren Position von einem anderen Spieler aufgehalten werden.
Besonders gefährlich könnte Townsend werden, weil er hervorragende Fertigkeiten beim Dribbeln in engen Räumen und auch im Abschluss hat. Wobei bei Letzterem ebenfalls ein Problem anhängt.
Mängel: Entscheidungsfindung, Effizienz und Produktivität
Zwar besitzt Townsend einen tollen Schuss, aber er scheint ihn falsch einzusetzen. Bei seinen ausweichenden Dribblings läuft er manchmal weg vom Tor und schließt dann mit unangenehmen Körperhaltungen ab, wodurch der Schuss entweder nicht scharf oder nicht präzise genug wird. Zusätzlich muss er dann auch oft aus schwierigen Positionen abschließen, wo es nur eine niedrige Erfolgswahrscheinlichkeit gibt. Die Statistiken teilen diese Meinung: In dieser Saison benötigt Townsend im Schnitt 22,5 Schüsse um ein Tor zu erzielen.
Aber nicht nur beim Abschluss findet er oft nicht das passende Timing oder eine strategisch günstige Position. Weniger als halb so oft wie er abschließt bereitet er eine Torchance vor und wegen seiner Art zu dribbeln, aber auch der offensiven Bewegung der Spurs im Allgemeinen, entstehen oftmals kaum ordentliche Synergien. Man möchte meinen, dass er dies mit seinen Fähigkeiten im Dribbling wett macht, jedoch leidet er auch hier unter Problemen im Timing und im Einschätzen von Situationen.
Insgesamt kommt er auf 3,9 Ballverluste pro Spiel – bei 4,6 erfolgreichen Dribblings; kein großes Plus. Die Ursache ist seine teilweise zu vertikale Ausrichtung, mit der er manchmal mit dem Kopf durch die Wand möchte. Er verliert zwar mit dem Ball am Fuß kaum Geschwindigkeit und ist auch mit beiden Beinen enorm stark, ob bei Abschluss oder Ballmitnahme, aber hat immer wieder Probleme konstant ein hohes Tempo im Dribbling zu halten, wenn nicht viel Raum vor ihm ist. Potenzial hat er dennoch.
Fazit: Bei Verbesserung ein kommender Weltklasseflügel?
Auch wenn er noch unausgereift und ineffizient scheint, so hat Townsend in dieser Saison in einigen Spielen schon sehr gute Leistungen abgeliefert. Er beteiligt sich am Kombinationsspiel und ist an guten Tagen dabei sehr präzise, er kann potenziell von der Auslinie sehr schnell sämtliche Räume anlaufen, unterschiedlichste Situationen kreieren und ist mit Ball am Fuß sehr stark. Wenn er langfristig seine Mängel in der Konzentration und Entscheidungsfindung abstellt sowie die richtige Balance im Dribbling findet, dann könnte er den Topleistungen wie gegen Montenegro noch ein paar andere anreihen – vielleicht auch als Stammspieler bei den Three Lions.
Rene Maric, abseits.at
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