José Mourinhos Personalentscheidungen haben schon oft für Aufsehen gesorgt. Bei Real Madrid verbannte er in Topspielen gerne Mesut Özil auf den Flügel, Kapitän Iker... Eine moderne Zehn | Deshalb setzt José Mourinho auf Oscar

Chelsea FCJosé Mourinhos Personalentscheidungen haben schon oft für Aufsehen gesorgt. Bei Real Madrid verbannte er in Topspielen gerne Mesut Özil auf den Flügel, Kapitän Iker Casillas wurde in der letzten Saison sogar gänzlich ausgemustert und fand sich auf der Bank wieder. In dieser Saison musste Juan Manuel Mata auf die Bank weichen, obwohl er in den vergangenen beiden Jahren jeweils zum Chelsea-Spieler der Saison gewählt wurde und als einer der besten Spielgestalter und Linksaußen in der Premier League galt. Ursache für den Bankplatz ist ein 22jähriger Brasilianer, der sich aufmacht zum besten Zehner der Welt zu werden. Zumindest aus taktischer Sicht. Dies sind übrigens die Worte von Mourinho selbst.

Eine Zehn mit Defensivarbeit

Mourinho begründete jüngst die Bevorzugung Oscars in den meisten Spielen damit, dass er einerseits Mata zu einem defensivarbeitenden und torgefährlichen Flügelstürmer erziehen möchte und andererseits schlicht und ergreifend glaubt, dass Oscars defensive Arbeit im Verbund mit seiner offensiven Stärke im Gesamtpaket mehr mitbringt als Mata. Für viele im strategieaversiven England war es ein persönlicher Affront gegenüber Mata.

Zahlreiche Spekulationen entstanden: Hatte Mourinho ein Problem mit Spaniern? Wollte er mit dem Bankplatz für den besten Chelsea-Spieler der vergangenen zwei Jahre nur die Hierarchie in der Mannschaft verändern? Den Spielern zeigen, dass er zu allem fähig ist, um Titel zu holen? Doch abseits dieser Spekulationen verstanden auch viele Mourinhos Entscheidung.

Oscars offensiver Output ist natürlich nicht auf dem Niveau eines Juan Mata – aber könnte es in Zukunft sein. Seine Defensivarbeit ist aber bereits jetzt deutlich größer. Und wenn man Mourinhos im Sommer angekündigte Langzeitpläne mit Chelsea bedenkt, dann erklärt sich die Entscheidung von selbst. Selbst einfachste Statistiken legen den Unterschied zwischen Oscar und Mata in dieser Saison schön dar: Oscar kommt im Schnitt auf 4,7 Defensivaktionen pro Spiel (2,1 Balleroberungen, 0,2 abgefangene Pässe, 1,3 Fouls, 1,1 Befreiungsschläge), Mata aber nur auf 0,9 (0,7 Balleroberungen, 0,2 Fouls).

Von der vergangenen Saison gibt es sogar eine anschauliche Grafik:

Defensivaktionen von Zehnern vergangene Saison

Doch hinter diesen nackten Zahlen verbirgt sich noch mehr. Oscars Bewegung im Pressing ist sehr gut, er attackiert durchgehend mit hoher Geschwindigkeit, kann offene Räume im Mittelfeld füllen und nutzt seinen Deckungsschatten sehr gut. Oftmals öffnet er einen Raum im Mittelfeld, wenn er nach vorne schiebt und den Mittelstürmer in der 4-2-3-1-Formation unterstützt, lässt sich aber danach fallen, geht ins Rückwärtspressing und hilft den beiden Sechsern. Der Gegner hat also um Oscar herum eigentlich nie viel Zeit, um seine Aktionen zu planen und umzusetzen.

Somit ermöglicht Oscar seiner Mannschaft unterschiedliche Pressingvarianten:

  • Er kann den Mittelstürmer unterstützen und hinten helfen, wodurch ein 4-4-1-1/4-4-2 möglich ist.
  • Er kann tiefer bleiben und die beiden Sechsern unterstützen, was ein 4-2-3-1 bedeutet. Dies kann dann zu einem 4-3-3 werden.
  • Ähnliches gilt bei einem 4-1-4-1. Dank Oscars Laufstärke, seiner Spielintelligenz und seinen Fähigkeiten im Pressing kann er auch als Achter agieren.

Dazu kommen noch Oscars taktische und spielerische Stärken in der Offensive.

Eine moderne Zehn

Jonathan Wilson schrieb jüngst in einem lesenswerten Artikel darüber, wie sich die Zehner-Position verändert. Dabei bezeichnet er Wesley Sneijder als Vergangenheit, da er zu statisch agiert, während der bewegliche und auf die Flügel ausweichende Mesut Özil die Gegenwart darstellt. Doch als zukünftiger Idealtypus auf dieser Position wird Toni Kroos gesehen, weil dieser mit seiner Defensivarbeit und seinen Bewegungen bei eigenem Ballbesitz mehrere Rollen annehmen kann und dadurch seiner Mannschaft Flexibilität gibt.

Dass Oscar die nötige Defensivarbeit und Variabilität in der Positionsfindung mitbringt, haben wir schon gesehen. Doch auch offensiv hat er gewisse Ähnlichkeiten mit Toni Kroos. Bei Chelsea lässt sich Oscar immer wieder zurückfallen und ermöglicht dadurch den beiden Sechsern Bewegungen nach vorne. Ramires kann dadurch seine Dynamik mit Sprints in die Halbräume einbringen, Frank Lampard kann sich nach vorne in Strafraumnähe begeben, um den Abschluss zu suchen. Oscar übernimmt in der Zwischenzeit ihre Position oder sichert sie zumindest durch eine ballnahe Positionierung ab.

Gleichzeitig ist Oscar auch eine Waffe, wenn er den Ball bekommt. Er verfügt über einen sehr guten Schuss, ist dynamisch und intelligent in seinem Passspiel. Wie Kroos findet er die Balance zwischen einem Querpass, wenn sich nur riskante Möglichkeiten auftun und einem Schnittstellenpass, wenn dieser möglich und effektiv ist. Diese Spielweise verleiht der Mannschaft Stabilität, denn es vermeidet unnötige Ballverluste und erhöht die Chancenqualität.

Allerdings ist Oscar in dieser Disziplin noch nicht auf dem Niveau in der Entscheidungsfindung und Passstärke von Toni Kroos. Auch ist er noch weit entfernt vom Erspielen von Torchancen durch Schnittstellenpässe eines Mesut Özil und Juan Mata – was wohl die Kritik an Mourinhos Entscheidung erklärt. Eine Vielzahl von zu Abschlüssen führenden Pässen oder riskante Schnittstellenpässe per se führen natürlich zu Spektakel und stechen jedem Fußballfan ins Auge.

Aber Defensivarbeit oder intelligente Positionierungen sind ungleich schwerer zu erkennen. Dazu kommt natürlich, dass Oscar viele Chancen kreiert, ohne Pässe zu spielen. Stattdessen nutzt er seine Dynamik, seine Laufstärke und Intelligenz, um Räume zu öffnen, die dann von anderen bespielt und angelaufen werden können. Als Oscar in der vergangenen Saison noch als Außenstürmer unter Benitez und auch Di Matteo agierte, sprintete er immer wieder in die Mitte und öffnete Räume auf dem Flügel, die Mata andribbeln konnte.

Manchmal zog er auch in die gegnerische Viererkette, um dort die Schnittstellen zu erweitern, damit Mata diese einfacher bespielen konnte. Diese Arbeit sorgte für weniger direkte Vorlagen bei ihm, aber dafür mehr bei der gesamten Mannschaft. Nicht umsonst kam der 22jährige in der vergangenen Saison auf 64 Pflichtspiele für Chelsea plus 16 Länderspiele für die brasilianische Nationalmannschaft, die er allesamt von Beginn an bestritt.

Es könnte also durchaus sein, dass Oscar noch in dieser Saison die Kritiker Lügen strafen wird – oder, wie es Teamkollege Ramires vor kurzem ausdrückte, in ein paar Jahren den Ballon D’Or holt.

René Maric, www.abseits.at

Rene Maric

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