England und seine Torhüter: Die gute alte Zeit und die lange Pannenserie danach
England 30.Januar.2015 Werner Sonnleitner 0
Denkt man an den englischen Fußball, gibt es nicht nur für den zynischen Fußballfan zwei Running-Gags. Einerseits tun sich die Kicker von der Insel immer besonders schwer beim Schuss vom Elfmeterpunkt. Andererseits erheitern englische Tormänner mit regelmäßigen Pannen und Fehlgriffen die Fußballwelt. Grund genug um diesen beiden Phänomenen genauer auf den Grund zu gehen. Heute analysieren wir die englische Tormänner und ihre Pannenserie. War das immer schon so? Und wenn ja, warum? Wie stark sind englische Goalies wirklich und gibt es Hoffnung auf Besserung.
Die gute alte Zeit
1966 streckte Gordan Banks den WM-Pokal in den Londoner Nachthimmel. Die Three Lions holten soeben den Titel ins Mutterland des Fußballs zurück. Nicht zuletzt dank eines überragenden Rückhalts. Doch nicht nur rein subjektiv, auch objektiv: Von der Statistiker-Vereinigung IFFHS wurde Banks sogar zum zweitbesten Torhüter des Jahrhunderts geadelt.
Aber auch sein Nachfolger Peter Shilton wusste zwischen den Pfosten zu überzeugen. Auch seine Bilanz lässt sich sehen: In 125 Spielen gab es 66 „Clean Sheets“ (Zu Null Spiele) und mit 80 Gegentoren kassierte er nur 0,64 Treffer pro Spiel. Ein absoluter Topwert. Irgendwie schien auf der Torwartposition alles ganz prima zu laufen. Sein Fehlgriff, der das Verpassen der WM 1974 zur Folge hatte, wurde als Betriebsunfall abgetan. Symbolisch läutete eine Szene im WM Halbfinale 1990 die ganze Misere ein: Ein abgefälschter Freistoß von Andreas Brehme fiel über den schon am Hosenboden sitzenden Shilton unglücklich ins Tor. Der Traum vom zweiten Titelgewinn war damit ausgeträumt, aber viel schlimmer noch: Dies war der Anfang einer Serie von skurillen Torwartpannen, die fortan die Fußballwelt in immer kürzer werdenden Abständen amüsierten. Zumindest die Fans, die nicht gerade den Three Lions die Daumen drücken – denn diese finden das gar nicht lustig.
Die Pannenserie nimmt seinen Lauf
Peter Shilton beendete nach der WM-Enttäuschung von Turin seine Karriere und mit David Seaman stand sein Nachfolger schon bereit. Wie so oft auf dieser Position bleibt ein Fehlgriff länger in Erinnerung als zehn Paraden. Und in beiden Kategorien war der Arsenal-Schlussmann eine Klasse für sich.
In 75 Nationalteameinsätzen musste er im Schnitt nur alle 152 Minuten hinter sich greifen, an diesen Wert kam nie ein Stammgoalie der Nationalmannschaft mit regelmäßigen Einsätzen heran. Trotzdem, mit dem Namen David Seaman werden meist weniger seine Big-Saves in Verbindung gebracht, sondern eher seine regelmäßigen Fehlgriffe.
Die Liste der Pannen im Klub und beim Team füllen noch immer ganze Fußball-Hoppala-Videos. Richtig bitter wurde es, als er 1995 mit einem kapitalen Bock die Niederlage seines FC Arsenals im Finale des Europacups der Cupsieger besiegelte. 2002 verstanden hunderttausende Three Lions Fans die Welt nicht mehr. Der wie immer selbst ernannte Titelkanditat flog im Viertelfinale der WM raus, weil Seaman einen an sich ungefährlichen Ronaldinho-Freistoß passieren ließ. In den Geschichtsbüchern findet sich der Name David Seaman auch in zwei wenig schmeichelhaften Kapiteln: Das letzte Tor im alten Wembley fing sich der Arsenal-Goalie ein. Das kann passieren, immerhin kann man ihm dieses Tor nicht ankreiden. Auch in einer anderen Kategorie verewigte sich der Schlussmann: Ein hauptberuflicher Computerverkäufer aus San Marino mit dem klingenden Namen Davide Gualtieri bezwang Seaman schon nach 8,3 Sekunden! WM-Quali-Rekord, nie musste ein Tormann einen Ball so früh aus dem Netz holen.
Sein Nachfolger wird auf der Insel nur mehr spöttisch „Calamity James“ genannt. Regelmäßige Fehlgriffe in Liga und Nationalteam ließen die Goalie-Krise in England offensichtlich werden. Unvergessen bleibt Andreas Ivanschitz´ missglückter Weitschuss, der bei der EM Quali 2006 den späten Ausgleich für Österreich bedeutete. Die Sun bildete daraufhin ein Foto von einem Esel mit einem James-Trikot ab. Tenor: Der Vierbeiner hätte den Ball abgewehrt – so die Meinung des Boulevards. Anfeindungen und das ständige Lächerlichmachen haben auch Spuren im Leben des 41-Jährigen hinterlassen. Glaubt man der Yellow-Press ist er mittlerweile pleite und verkauft sogar alte Team-Trikots um an Geld zu kommen.
Der Portsmouth-Goalie war also damals auch nicht die Lösung aller Probleme. So wurde weiter munter rotiert und probiert. Aber weder Paul Robinson, noch Scott Carson oder Robert Green konnten in weiterer Folge überzeugen. Doch immerhin – jeder wurde auf seine eigene Art und Weise berühmt. Robinson schlägt gegen Kroatien bei einem Neville Rückpass ein Luftloch. Beim Rückspiel rutscht Carson ein ungefährlicher Weitschuß von Nico Kranjcar durch die Handschuhe. Konsequenz der zwei Niederlagen: Euro 2008 ade – keine englische Fans in den Alpenrepubliken. Carson kam übrigens nur ins Team, weil sich zuvor Robinson eine Kuranyi-Flanke ungeschickt ins eigene Tor legte. Bei der WM 2010 durfte sich Robert Green versuchen und standesgemäß stellte er sich der großen Fußballwelt mit einem ordentlichen Patzer im Auftaktspiel gegen die USA vor.
Der Hoffnungsträger heißt jetzt Joe Hart. Bislang ließ er sich noch nichts Gröberes zu Schulden kommen. Rr kassierte zwar ein Fallrückziehertor von Zlatan Ibrahimovic aus 25 Metern, was man aber zweifelsohne der individuellen Klasse des Schwedens anrechnen muss. So liegt die Hoffnung nahe, dass das englische Tormanntrauma doch endlich sein Ende findet. Der Schlussmann von Manchester City gehört zweifelsohne zu den besten seines Fachs, doch ausgerechnet vor der WM in Brasilien verlor der 27-Jährige nach ein paar Unsicherheiten und Fehlgriffen bei seinem Club den Stammplatz im Tor des englischen Meisters. Bei der WM schied England – wiedereinmal – früh aus. Zumindest dieses mal ohne bzw. nicht wegen eines Tormannpatzers. Immerhin.
Die Gründe für die Misere
Auch wenn in englischen Pubs gerne von einem Fluch gesprochen wird, der scheinbar zwischen den Pfosten liegt, so geht diese dann doch relativ unrationelle Lösung am eigentlichen Problem vorbei.
Zweifelsohne ist die Krise eine hausgemachte. So verzichtete man lange Zeit mit der Arroganz des Fußballerfinders auf professionelles Tormanntraining. Revolutionäre Ideen hätte es natürlich da und dort schon auch auf der Insel gegeben, nur wurden diese lange Zeit als Spinnerei belächelt. Spezielle, gezielte, auf den Tormann ausgerichtete Trainingsübungen? Why? Wurde ja noch nie so gemacht.
Doch nicht nur in der Vergangheit wurde in diesem Bereich vieles falsch gemacht. Auch heutzutage sind in der Premier League englische Keeper rar. Neben Manchester City mit Joe Hart und dem Sensationsteam FC Southampton mit Fraser Forster vertrauen nur vier weitere Teams auf die Diensten eines Engländers. Im Spitzenfeld findet man diese Teams nicht, da muss man schon weiter nach unten in der Tabelle scrollen: West Brom (Foster / aktuell 14. Platz), Burnley (Heaton / 17.), QPR (Green / 19.) und Leicester City (Hammer / 20.). Auch international sind Goalies von der Insel nur sehr schwer bis gar nicht vermittelbar.
Zwar nicht rational bewiesen, aber trotzdem Fakt ist, dass auch die fehlenden Vorbilder einer ganzen Generation mit schuld sein dürften. Kickende, talentierte Sprösslinge eifern lieber den Beckhams, Rooneys oder Gerrards nach, statt sich ins Tor zu stellen. Und jene die es dann doch probieren, landen eben nur selten bei den Top-Teams, wo es die besten Strukturen für eine gezielte Förderung der Tormänner geben würde.
Es kann nur besser werden
Doch zweifelsohne wird’s für die nächsten Teamtorhüter nicht einfacher werden. Eilt ihnen doch schon dieser unvorteilhafte Ruf voraus und wird jede Panne gleich zum Youtube-Hit, frei nach dem Motto: Typisch, jetzt ist es schon wieder passiert.
Doch immerhin fand mittlerweile wenigstens beim Coaching ein Umdenken statt. Professionelle Tormanntrainer mit speziellen Übungen für die Keeper sind mittlerweile natürlich auch in England schon längst Standard. Doch an der fehlenden Quantität leidet natürlich auch die Qualität an der Spitze. Ein solider Joe Hart kann und sollte nicht die Probleme darunter überdecken. Ohne englischen Keeper mit regelmäßigen Einsätzen bei Spitzenteams, wird es auf für den Coach der Three Lions in Zukunft nicht einfacher, passende Spieler für diese wichtige Position zu finden.
Werner Sonnleitner, www.abseits.at
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