Knapp sieben Wochen ist nun Jürgen Klopp beim FC Liverpool in Amt und Würden. Der „Messias“ ist an der Merseyside gelandet, eine Art fünfter... Erste Gewinner und Verlierer der noch jungen Klopp-Ära beim FC Liverpool

Jürgen Klopp_abseits.atKnapp sieben Wochen ist nun Jürgen Klopp beim FC Liverpool in Amt und Würden. Der „Messias“ ist an der Merseyside gelandet, eine Art fünfter Beatles aus dem Ruhrpott versetzte den roten Teil der Hafenstadt in Ekstase. Seinen 78-minütigen Flug von Dortmund zum John-Lennon-Airport verfolgten zehntausende Reds live im Internet am Flugradar. Ein Verein mit so viel Stolz und Tradition droht nämlich in einer gefährlichen Mischung aus Depression und Resignation zu versinken. Der FC Liverpool setzte sich immer weiter in der mittelmäßigen Bedeutungslosigkeit fest, die Aussicht wieder eine Topadresse in England zu werden, schwand mit jedem schwachen Aufritt. Doch dann kam Klopp. Aus Frust wurde wieder Lust, aus Zweifel Glaube. Die Fußballeuphorie ist plötzlich wieder zurück in der Stadt.

Nun sind bereits einige Wochen vergangen, Zeit ein erstes Fazit der Ära Klopp in Liverpool zu ziehen, ob der Hype gerechtfertigt war. Mehrere Spieler profitieren vom Ex-BVB-Erfolgscoach, für andere wird es dagegen mit dem „Normal One“ schwieriger werden.

Nüchtern betrachtet, die sportliche Bilanz

Seit 8. Oktober ist der 48-Jährige Deutsche für die sportlichen Geschicke an der Anfield Road verantwortlich. Nach einem langsamen Start mit drei Remis in Folge, legten die Reds danach richtig los. In sieben Spiele gab es sechs Siege und nur eine Niederlage. Dazu meldete man sich dieses Wochenende endgültig in den Kampf um die europäischen Startplätze zurück. Auch das Ticket für die K.O.-Phase in der Europa-League wurde vorzeitig gelöst und auch im League-Cup sind die Reds noch live dabei. Dazu wurden die beiden letzten Premier-League Meister Manchester City und Chelsea in deren eigenen Stadien entzaubert. Spielerisch wird – wie erwartet – viel höher gepresst und mit laufintensivem Spiel der Gegner regelrecht gejagt. So sorgt man bei spielerischen Mannschaften oft schon in deren eigenen Hälfte für Unruhe. Bei defensiv stehenden Teams, die auch schon mal einen langen Ball aus der Bedrängnis spielen, tut man sich dagegen noch äußerst schwer, wie beim schmeichelhaften 1:0 Sieg am Sonntag gegen Swansea wieder offensichtlich wurde.

Das Fazit: Natürlich ist auch der Deutsche kein Wunderwuzzi, der am Platz sofort alles ins Positive drehen kann. Doch immerhin ist nun die solang herbeigesehnte Leidenschaft in der Coachingzone zurück, die das Team und die Fans mitreißen kann. So wurden auch bei schwächeren Auftritten mit Leidenschaft und Kampfgeist Resultate erzielt. Die Kurve zeigt beim Liverpool Football Club in den letzten Wochen deutlich nach oben. Zeit einen etwas detaillierten Blick auf die Spieler und das Umfeld des Vereins zu werfen.

Wer von Jürgen Klopp bislang besonders profitierte

Lucas Leiva: Der Dienstälteste im Kader war schon zu Benitez-Zeiten Stammkraft im zentralen, defensiven Mittelfeld. Eigentlich genau so lange stand der Brasilianer auch in der Kritik, die Defensivqualitäten wurden oft unterschätzt und gerne übersehen. „Täglich grüßt das Murmeltier“ in den Transferzeiten, wenn der Name „Lucas“ wieder als potentieller Abgang in der Gerüchteküche brodelt. Doch in den letzten Wochen blühte der 28-Jährige wieder regelrecht auf, räumte im Zentrum ab und sicherte die Offensivabteilung unspektakulär, dafür aber umso effektiver ab.

Emre Can: Auch wenn der deutsche Nationalspieler schon im Vorjahr unter Brendan Rodgers den großen Durchbruch schaffte, darf er im Gegensatz zu damals statt in der Viererkette nun im Mittelfeld ran. Dort gelang ihm zu Saisonbeginn nur wenig, ehe er nach dem Trainerwechsel mit konstanten Leistungen sein Potential im Zentrum erst richtig zeigte. Symptomatisch für den Aufwärtstrend: Seine Man of the Match Gala am Sonntag gegen Swansea.

Adam Lallana: Der Engländer zeigte schon im Vorjahr da und dort mal gute Ansätze. Vertrauen vom Coach war aber Fehlanzeige: Gefühlt war er unabhängig von der Leistung die schon vor Spielbeginn feststehende Fix-Auswechselung. Kein Indiz um viel Selbstvertrauen aufzubauen. Klopp baut hingegen auf den offensivausgerichteten Flügelspieler. Der dankt es mit guten Leistungen zurück, auch wenn das Potential noch weit nicht ausgeschöpft ist.

Die Außenverteidigerzange Alberto Moreno und Nathaniel Clyne ist einerseits unter Klopp gesetzt und blühte andererseits zuletzt wieder richtig auf. An der Anfield-Road fühlte man sich an längst vergangene, weit zurückliegende Glen Johnson-Sturmläufe erinnert. Die beiden flinken Full-Backs beackern die Seiten aus der Defensive heraus, stehen hinten (meist) sicher und sorgen im Vorwärtsspiel mit viel Power und Speed für zusätzlichen Druck auf den Seiten.

Der Kop und die Fans: Wie eingangs schon erwähnt, legte sich beim ehemaligen Rekordmeister schon eine dicke Staubschicht über die Euphorie früherer Tage. Von den beiden positiven Ausreißern 2009 und 2014 einmal abgesehen, driftete der Verein samt seiner großen Fan-Schar zuletzt immer mehr in die fußballerische Bedeutungslosigkeit ab. Klopp kann zwar auch den Turnaround nicht garantieren, aber zumindest ist beim Lokalaugenschein in der Stadt eine neue, kaum mehr für möglich gehaltene Aufbruchsstimmung zu bemerken. Egal ob in der legendären Matthew-Street oder an der Anfield Road, überall ist man dem „Big German“ verfallen. Die „Doubters“ werden zu „Believers“. Der rote Teil der Stadt steht geschlossen hinter seinem Coach, grundsätzlich die optimalen Voraussetzungen um den Verein wieder zurück in die Spur zu bringen.

Beste Voraussetzungen: Für wen es mit dem Deutschen bergauf gehen kann

 Jordan Ibe: Der 19-Jährige Engländer ist eigentlich das Paradebeispiel für einen Klopp-Schützling zu BVB-Zeiten. Ein junger, talentierter und flinker Spieler mit viel Potential. Mit dem neuen Coach könnte der Flügelflitzer einen ganz besonderen Mentor für seine Entwicklung gefunden haben.

Coutinho: Nicht zum ersten Mal brillierte der kleine, brasilianische Zauberer in den letzten Wochen. Schon seit seinem Wechsel von Inter Mailand zog der Spielmacher in der Offensive die Fäden und wurde zuletzt immer wieder mit dem FC Barcelona in Verbindung gebracht. Doch Klopp‘s schnellerer Spielstil kommt dem Brasilianer mehr entgegen. Bei seinen letzten drei Auftritten erzielte er vier Tore, gab eine Vorlage und erlegte dabei Chelsea und Man City fast im Alleingang.

Roberto Firmino: Spätestens seit seiner Gala gegen Manchester City ist der trickreiche Brasilianer bei den Reds angekommen. Konstanz ist zwar noch ein Fremdwort und auch bei den Leistungen ist noch viel Luft nach oben. Doch schon zu Hoffenheimer Zeiten war der BVB-Coach ein Bewunderer des Offensivmanns, so wird er weiterhin eine zentrale Rolle in Klopps Plänen spielen.

Mamadou Sakho: Der Franzose verlor unter Rodgers zu Saisonbeginn seinen Stammplatz, Trennungsgerüchte machten die Runde. Nach dem Trainerwechsel ersetzte der 25-Jährige sofort Dejan Lovren in der Innenverteidigung und war an der Seite von Martin Skrtel die erste Wahl. Eine Verletzung warf den Franzosen zurück, die zuletzt guten Leistungen von Lovren lassen einen spannenden, gesunden Konkurrenzkampf nach seiner Rückkehr vermuten.

Verlierer – für wen es jetzt nicht unbedingt einfacher werden wird

Simon Mignolet: Der Ersatztormann der aktuellen Nummer eins der Welt (Belgien) steht für viel Licht, aber auch immer wieder Schatten. Trotz starker Saves und zahlreichen Glanzparaden, macht er sich mit regelmäßigen Aussetzern immer wieder das Leben selbst unnötig schwer. Nicht erst am Donnerstag, als er 22 Sekunden (!) den Ball in den Händen hielt und dafür prompt mit dem 0:1 aus dem indirekten Freistoß bestraft wurde. Um den Anschluss an die Spitze zu schaffen, muss auch zwischen den Pfosten langfristig mehr Konstanz her. In Klopp’s Heimatland spielen zahlreiche, vielversprechende Torhüter. An Kölns Timo Horn sollen die Engländer scheinbar mehr als nur interessiert sein.

Christian Benteke: Mit immerhin vier Toren in zehn Spielen knipst der Belgier regelmäßig, was aber auch aufgrund des üppigen Preisschildes von knapp 50 Millionen vom 1,91 Meter Mann erwartet wird. Doch spielerisch ist der ehemalige Sturmkollege von Andy Weimann im Klopp-System noch ein Fremdkörper. Wenn die Brasilo-Connection wirbelt, ist der Brecher nicht wirklich in das Offensivspiel eingebunden. Doch wenn er weiter so effektiv Tore liefert, wird am 24-Jährigen kein Weg vorbeiführen.

Divock Origi: Auch für den dritten Belgier im Team sieht es nicht ganz so rosig aus. Der 13 Millionen Euro (Rodgers-)Transfer spielt unter Klopp noch keine Rolle, trotz der verletzungsbedingten Sorgen im Angriff (Ausfälle von Ings und Sturridge). Dem mittlerweile doch schon 20-Jährigen wird zwar eine große Portion Talent nachgesagt, weder im Vorjahr bei Lille, noch heuer bei seinen Auftritten für Liverpool unter seinem Bewunderer Rodgers, konnte dies der Stürmer beweisen. Setzt er nicht bald ein Ausrufezeichen, wird er wohl demnächst schon wieder bei einem anderen Verein seine Schuhe schnüren müssen.

Joe Allen: Das Mitbringsel von Rodgers aus Swansea wurde an der Merseyside stets skeptisch beäugt. Als potentieller „Ziehsohn“ des Ex-Trainers wird der 25-Jährige Waliser zwar nicht immer ganz fair beurteilt. Doch mittlerweile schon in seiner vierten Saison angelangt, konnte der „walisches Xavi“ nur selten überzeugen. Bei immerhin 104 Einsätzen im roten Shirt, gelangen nur magere vier Tore, keine Top-Quote für einen zentralen Mittelfeldspieler.

Steven Gerrard: Die Klublegende trainiert in der MLS-Pause nun wieder in Liverpool mit. Die Chance auf ein mögliches Leihgeschäft im hektischen Premier-League-Winter wäre zwar auch schon unter Rodgers nur sehr, sehr unwahrscheinlich. Unter Klopp kommt ein Comeback im Liverpool-Trikot aber definitiv nicht mehr in Frage.

Europa League- und Cup-Gegner: im Gegensatz zu seinem Vorgänger will Klopp auch die Spiele abseits der millionenschweren Premier-League gewinnen. Titelhungrig wurde bislang in jedem Spiel eine konkurrenzfähige Elf aufs Feld geschickt, nur vereinzelte Spieler geschont. Während Rodgers die ungeliebten Pflichtaufgaben – zum Unmut der Fans – meist mit einem B-Team quittierte. So schraubten die Buchmacher die Europa-League Quoten auf einen Liverpool-Triumpf unter dem Deutschen gleich mächtig runter, werden jetzt auch die internationalen Auftritte wieder ernst genommen.

BVB Fans: Okay, auch wenn es die Presse oft überspitzt: seine ehemaligen „Jünger“ werden wohl definitiv nicht alle „ihrem“ Mentor nach England folgen, da brauchen die Borussen wirklich keine Angst haben. Doch ist der Kader der Dortmunder mit interessanten Spielern bestückt, die nun regelmäßig von der Yellow-Press und Boulevardmedien mit Liverpool in Verbindung gebracht werden. Auch wenn Transfers unwahrscheinlich sind, auf der Suche nach reißerischen Schlagzeilen von Bild, Mirror und Co bedient man sich einfach an den Namen der Tuchel-Elf, dies könnte zumindest im Fanlager für etwas Unruhe sorgen.

Alles in allem liegt die Wahrheit wie immer am Platz. Auch wenn sich in den ersten Wochen schon ein leichter Aufwärtstrend erkennen lässt, steht für Jürgen Klopp und seinem Team die „Do-or-Die“-Zeit erst bevor. Vor allem im stressigen Dezember mit vielen Spielen wird sich zeigen, wohin die Reise in der Premier League heuer gehen wird. Kämpft man im Frühjahr dann noch an allen Fronten, wird auch der Kräfteverschleiß im Kader – nicht zuletzt aufgrund des laufintensiven Spielstils kombiniert mit der Mehrfachbelastung – eine interessante Rolle spielen. Dann wird man sehen, ob der Hype weiter anhält oder es nach der großen Kloppo-Eröffnungsparty den Kater in der Beatles-Stadt geben wird.

Werner Sonnleitner, www.abseits.at

Werner Sonnleitner

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