Die Transferzeiten der letzten Jahre liefen beim Arsenal FC im Großen und Ganzen nach einem bestimmten Muster ab. Leistungsträger wie Thierry Henry, Cesc Fabregas... Etablierte Namen statt ungeschliffenen Rohdiamanten – das ist Arsenal 2012/2013

Die Transferzeiten der letzten Jahre liefen beim Arsenal FC im Großen und Ganzen nach einem bestimmten Muster ab. Leistungsträger wie Thierry Henry, Cesc Fabregas oder Samir Nasri verließen den Norden Londons um ihren Titelhunger zu stillen. Ersetzt wurden sie in der Regel von jungen, unerfahrenen Spieler. In diesem Sommer scheint man dieser Philosophie den Rücken kehren zu wollen.

Die Transfertätigkeiten von Arsenal-Manager Arsene Wegner sind weitestgehend abgeschlossen, zumindest was das aktive Treiben angeht. Mit Olivier Giroud, Lukas Podolski und Santi Cazorla stellten die Gunners sehr prominente Namen als Neuzugänge vor, auf der Abgabenseite hat man bisher keine vergleichsweisen Spieler zu verzeichnen wie in den letzten Jahren. Doch selbst wenn es noch dazu kommen würde, dürfte der Aufschrei danach leiser ausfallen.

Radikale Verjüngung seit 2004

Arsenals letzter großer Triumph, der Sieg im FA-Cup 2005, liegt schon einige Zeit zurück. Neben diesem Erfolg blieb aus dieser Zeit vor allem das verlorene Champions-League-Finale 2006 gegen den FC Barcelona und eine überragende Meistersaison 2004 in Erinnerung. Dass man in der Premier League seither eher die zweite Geige spielt, hängt unweigerlich auch mit der massiv verjüngten Altersstruktur zusammen. Der Altersschnitt der ungeschlagenen Meistermannschaft betrug beispielsweise knapp 28 Jahre, mit dem damals 22-jährigen Kolo Toure bekam nur ein einziger Spieler unter 23 Jahren eine Meistermedaille. Zum Vergleich: letzte Saison war der durchschnittliche Arsenal-Akteur, der mehr als zehn Spiele absolviert hat, 25,85 Jahre alt.

Reputation bei ambitionierten Nachwuchsspielern

Was mit einem dichten und konsequenten Scouting-Netzwerk begann mündete in einer Reputation, die auf dem Gebiet der Jugendförderung seinesgleichen sucht – Barcas berüchtigte La Masia-Akademie ausgeklammert. Dieses Vorgehen überzeugte in den letzten sechs, sieben Jahren auch die betreffenden Nachwuchskicker. So schlugen zum Beispiel Theo Walcott und Aaron Ramsey Angebote „besserer Teams“ aus um sich bei Arsenal durchzuboxen. Auch dass Torhüter Szczesny und Ex-Regisseur Fabregas ihre Familien und ihr Heimatland als Teenager verließen um ihren Profitraum in die englische Hauptstadt zu leben zeigt, dass Arsenal einen einzigartigen Stellenwert bei Talenten genießt.

Der Weg wird fortgesetzt

Daniel Cowan stellt in seinem Blog North London Is Red Arsenals Transfertätigkeiten seit 1999 jenen anderer Topklubs gegenüber. Während aufseiten der Konkurrenz durchgehend prominente Namen mit teilweise exorbitanten Ablösesummen zu lesen sind, beschränkt sich Arsenals Spalte jeweils auf wenige Zeilen – mit Ausnahme des letzten Jahres. Schon im Sommer 2011 zeigte Wenger eine leichte Abkehr vom strikten Jugendgedanken. Mit Gervinho, Santos, Mertesacker und Benayoun (Leihe) wurden gestandene Profis geholt, hinzu gesellten sich mit Arteta der für manche beste Mittelfeldspieler außerhalb der arrivierten, englischen Topklubs. Verglichen mit den jüngsten Transfers heuer sind das aber Leichtgewichte, wenngleich der ein oder andere auch aus der Not heraus verpflichtet wurde.

Podolski – Winger oder Stürmer?

Den ersten Kracher präsentierten die Gunners bereits vor der Europameisterschaft, als man den deutschen Teamspieler Lukas Podolski zu sich lotste. Für den 27-Jährigen beginnt nach über 200 Spielen und 70 Toren in der deutschen Bundesliga somit ein neuer Lebensabschnitt. In Köln lag ihm das Publikum zu Füßen, im neuen Dress muss er sich erst seine Sporen verdienen, zumal sein letztes Gastspiel bei einem internationalen Großklub eher bescheiden war. Arsenals Spielanlage sollte Podolski zumindest entgegenkommen, was unter anderem auch das letzte Testspiel gegen den 1. FC Köln zeigte, als der Angreifer beim 4:0-Sieg zwei Treffer erzielte. Wenger präferiert ein 4-2-3-1-System mit zwei verschiedenartigen Flügelspielern; auf der einen Seite ein wendiger, trickreicher Kreativgeist – zum Beispiel Walcott oder Oxlade-Chamberlain – auf der anderen ein direkterer Spielertyp, der geradlinig zum Tor zieht und den Abschluss sucht – zum Beispiel eben jener Podolski. Außerdem kann der 101-fache Internationale auch im Sturm agieren, was für Überraschungsmomente sorgen kann.

Giroud – Sturmzentrum oder Ersatzbank?

Weniger Positionsmöglichkeiten bietet der zweite Neuzugang Olivier Giroud an. Der 25-Jährige ballerte den Montpellier HSC letzte Saison mit 21 Toren zum ersten französischen Meistertitel der Vereinsgeschichte und entspricht einem klassischen Strafraumstürmer mit gehobenen technischen Fähigkeiten. Zwar zeigt Giroud auch gut durchdachte Laufwege um Verteidiger aus ihrer Position zu ziehen, die Stärken des französischen Nationalspielers liegen aber ganz klar im Sturmzentrum, wo er aufgrund seiner physischen Präsenz ein ständiger Gefahrenherd ist. Ob beziehungsweise wie viel seines Könnens er im rot-weißen Jersey zeigen kann, hängt in erster Linie mit einem Verbleib von Stürmerstar Robin van Persie zusammen. Der Niederländer hat seinen im Sommer 2013 auslaufenden Vertrag nicht verlängert und wird von diversen Medien schon nach Manchester geschrieben.

Cazorla – Rückkehr zum Vertikalspiel?

Das Zünglein an der Waage könnte dabei auch die Verpflichtung von Santi Cazorla sein. Der Spanier, der für kolportierte 19 Millionen Euro aus Malaga kam, galt als bester Spieler der Primera Division außerhalb von Madrid und Barcelona. Der 27-jährige Nationalspieler könnte der wichtige Verbindungsspieler sein, nachdem sich van Persie letzte Saison sehnte. Dieser reagierte teilweise frustriert ob Ramseys Tendenz das Spiel zu verschleppen; auch der wiedererstarkte Rosicky entsprach nicht immer den Vorstellungen des Torjägers. Cazorla hingegen steht für direktes Vertikalspiel, kreierte mit 2,2 Key Passes pro Spiel die fünftmeisten Chancen in der spanischen Liga. Dieser Transfer könnte Arsenals Spiel wieder auf die gleiche Ebene heben wie einst, als noch Fabregas und Nasri die Fäden im Mittelfeld zogen. Cazorla könnte aber nicht nur aufgrund seiner technischen Fähigkeiten wichtig sein, sondern auch aufgrund seines Verhaltens bei der Balleroberung. Als langjähriges Mitglied des spanischen Nationalteams verfügt er über ein ausgereiftes Gespür beim Gegenpressing, könnte damit auch bei Arsenal neue Maßstäbe setzen.

Hinten alles beim Alten

In der Offensive sind die Gunners also erstklassig besetzt, zumal sich auch ferner der ersten elf Kaderspieler potenzielle Stammkräfte tummeln. Auch die Abwehrreihe muss sich vor jenen der Konkurrenz nicht verstecken. Die Innenverteidigung ist mit Koscielny, Vermaelen, Mertesacker, Djourou und Squillaci mehr als doppelt besetzt, so dass ersterer bei Bedarf auch auf der Außenposition aushelfen könnte. Auch die Statistik der letzten Saison – 10,5 erhaltene Schüsse (Bestwert) – gab wenig Anlass in neue Beine zu investieren. Die absichernde Position im zentralen Mittelfeld davor ist ebenfalls vergeben – vorausgesetzt Alex Song bleibt. Der Kameruner ist der Prototyp des modernen Box-to-Box-Mittelfeldspielers, wird aber vom FC Barcelona umworben. Die Position neben ihm scheint auf lange Sicht an Jack Wilshere vergeben, allerdings fällt der Jungstar aufgrund einer Knieverletzung noch längere Zeit aus. Bis dahin wird ihn, wie schon während der letzten Spielzeit, Arteta ersetzen – kaum ein Qualitätsverlust. Das Passspiel des Spaniers ist beinahe fehlerlos (91% angekommen), durch sein hervorragendes Stellungsspiel sorgt er für Struktur gegen den Ball und agiert als wichtige Anspielstation mit ihm.

Das Ende für das Jugendprojekt?

Wenn man sich Arsenals Kader nach den getätigten Transfers vor Augen führt, kommt man zu dem Schluss, dass es ungemein schwer wird auf entsprechende Einsatzzeit zu kommen – vor allem für Spieler der zweiten Reihe, von blutjungen Akteuren wie zum Beispiel Fabregas einer war ganz zu schweigen. Wenn selbst mehr oder weniger gestandene Profis wie Mertesacker, Gervinho, Ramsey, Diaby oder Rosicky um einen Stammplatz zittern müssen, deutet das – im Verbund mit den letztjährigen Investitionen – darauf hin, dass es für Nachwuchskicker zusehends schwerer wird kurzfristig ins Team zu rutschen. Will man jedoch endlich wieder Titel gewinnen muss man entsprechende Kompromisse eingehen. In den letzten Jahren musste Wenger immer wieder kurzfristig auf die Abgänge seiner Stützen reagieren, da diese erst kurz vor Schließen des Transferfensters wechselten. Heuer ließ der Franzose schon zu Beginn des Sommers eine offensivere Marschroute erkennen. Die frühen Transfers von Podolski und Giroud ließen die Arsenal-Fans träumen, mit Cazorla setzte man noch einen drauf. Die Tatsache, dass sämtliche Neuzugänge potenzielle Stars in den Zwanzigern sind und nicht bloß abgegebene Spieler langfristig ersetzen sollen, scheint zwei Jahre vor Wengers Vertragsende ein klares Zeichen zu sein um wieder an die Spitze vorstoßen zu wollen und an die erfolgreichen Zeiten zu Beginn dieses Jahrtausends anzuschließen.

axl, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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