Das Merseyside Derby zwischen dem FC Liverpool und dem FC Everton wird auf der Insel liebevoll „Friendly Derby“ genannt, so friedvoll präsentiert es sich für gewöhnlich im Vergleich zu anderen Stadtduellen. Im letzten Duell am vergangenen Sonntag, dem 219. in der Geschichte der beiden traditionsreichen Klubs, gab es trotz aller Freundschaft und Harmonie einiges an Zündstoff, der das Spiel im ausverkauften Goodison Park zu Everton zu einem der besseren seiner Art machte.
Suarez heizt Stimmung an
Im Zentrum der 94 Minuten stand einmal mehr Liverpools Luis Suarez, den die Fans der Toffees nicht unbedingt ins Herz geschlossen hatten. Das lag wohl einerseits daran, dass der Stürmer aus Uruguay zunächst in Minute 15 ein Eigentor von Linksverteidiger Leighton Baines, übrigens bekennender Reds-Fan, einleitete und nur fünf Minuten später per Kopf nach Gerrard-Maßflanke das 2:0 besorgte, andererseits aber auch an dessen durchaus provokanten Jubelgesten sowie anderer immer wieder vorkommender kleiner Nettigkeiten. Sei’s drum: Anders als die Fans ließ sich die Mannschaft des FC Everton nicht provozieren und spielte kontrolliert und geduldig nach vorne, wohl wissend, dass sich Liverpools Hintermannschaft nicht immer als sattelfest präsentiert.
Rechte Abwehrseite als ausgemachte Schwachstelle
Dabei gehören Martin Skrtel und Daniel Agger zweifelsfrei zu den besten Innenverteidigern der Premier League, zu oft wird das Gespann aber von seinen Außen im Stich gelassen. So auch in der ersten Hälfte des 219. Derbys und erstem für den jungen Andrew Wisdom, der statt der verletzten Gary Johnson und Martin Kelly auf der rechten Außenposition verteidigen durfte und die meiste Zeit über überfordert wirkte. Der Belgier Kevin Mirallas spielte ein ums andere Mal Katz und Maus mit dem jungen Verteidiger. Der Anschlusstreffer fiel dennoch nicht über die rechte Seite, sondern nach einem Eckball, bei dem ein anderer Youngster ganz schlecht aussah: Brad Jones, der den noch nicht ganz fitten Pepe Reina im Tor der Gäste vertrat, faustete einen Ball genau vor die Füße von Evertons Leon Osman, der sich diese Chance nicht entgehen ließ und trocken einschoss. Damit war das Spiel wieder völlig offen, auch, weil Everton nun Blut geleckt hatte und auf den Ausgleich drückte – vermehrt natürlich über die linke Offensivseite, auf der Liverpools Wisdom aufgrund mangelnder Defensivarbeit seiner Vorderleute – Suso und Sterling rotierten hier – meistens auf sich alleine gestellt war.
In Minute 35 war schließlich auch sein Widerstand gebrochen: Fellaini legt von links flach in die Mitte, wo Steven Naismith nur noch einschießen muss. Das erste Tor im Toffee-Dress für den Schotten, der auch schon andere Derbys erleben durfte. Als ehemaliger Glasgow-Rangers-Spieler ging es für ihn im altehrwürdigen Old Firm gegen Celtic wohl etwas rauer zu. Nicht hier im 219. Merseyside Derby, das Referee Andre Marriner stets unter Kontrolle hatte, auch wenn die knapp 40.000 Everton-Fans beinahe bei jedem Foul eine Karte forderten.
Systemumstellung brachte Sicherheit
Liverpool-Coach Brendan Rodgers erkannte die Mängel in seiner Defensive und stellte in der Halbzeitpause um, wobei aber kein Abwehrspieler weichen musste, sondern die unauffälligen Offensivspieler Suso und Sahin. Umgestellt wurde indes das System: Mit Coates kam ein weiterer Innenverteidiger, der mit Skrtel und Agger eine Dreierkette bildete, die in der Defensive auf den Seiten von Wisdom und Jose Enrique unterstützt wurde. Davor gesellten sich Joe Allen, Steven Gerrard und der eingewechselte Jonjo Shelvey zum stabilen Dreierverbund, vorne durften sich Suarez und Sterling die Lunge aus dem Leib rennen. Und wie auch schon bei den Italienern bei der EM 2012 funktionierte dieses ungewohnte 5-3-1-1-System. Zwar musste man nun den Großteil des Ballbesitzes dem Stadtrivalen überlassen, stand aber dafür hinten viel sicherer. Vorne war man indes auf Einzelaktionen der schnellen Stürmer angewiesen. Und tatsächlich: Sterling und Suarez kamen immer wieder zu aussichtsreichen Chancen. Everton kontrollierte hingegen das Spiel mit langen Ballstafetten, gefährlich wurde es aber immer erst, wenn Leighton Baines von links flankte. Vor allem auch deswegen, weil der starke Mirallas in der Pause angeschlagen in der Kabine bleiben musste und der umtriebige Fellaini besser abgedeckt wurde.
Späte Entscheidung verwehrt
Am Ende stand ein gerechtes Remis, das eigentlich keines sein durfte: In Minute 93 staubte – wie könnte es anders sein – der gescholtene Suarez nach Coates-Kopfball zum 3:2 für Liverpool ab und avancierte zum Matchwinner – hätte Schiedsrichter Marriner, der ansonsten eine tadellose Leistung ablieferte, nicht etwas dagegen gehabt. Wegen vermeintlichem Abseits verweigerte er dem Siegestreffer zu Unrecht die Anerkennung und pfiff wenige Sekunden später ab. Verständlich, dass Suarez mit dieser Entscheidung nicht einverstanden war und weitere „Sympathiepunkte“ bei den heimischen Fans sammelte.
Gerechtes Unentschieden hilft keinem
Beiden Teams hilft dieser gerechte Punkt wenig weiter, obwohl beide aufgrund des Spielverlaufs damit zufrieden sein können. Liverpool tritt weiter mit zehn Punkten aus neun Spielen als Elfter auf der Stelle, Everton hätte drei Punkte benötigt, um weiter im Spitzenfeld der Premier League mitzumischen.
Ein unterhaltsames Spiel war es allemal, man freut sich auf die nächste Begegnung, gerne wieder mit dem richtigen Maß an Zündstoff.
Michael Pinter, abseits.at
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