Gewaltiger Konkurrenzkampf beim englischen Meister: Wie wird Manchester City die weitere Saison anlegen?
England 14.September.2012 Rene Maric 1
Letztes Jahr holte Manchester City die Meisterschaft zwar nur hauchdünn vor Manchester United, zeigte aber phasenweise wunderbaren Fußball und wurde von den englischen Medien als „Barcelona der Premier League“ gefeiert. In der Sommerpause verstärkten sich die Citizens mit sechs neuen Akteuren und ein großes Talent kehrte von einer Leihe zurück.
Das Tor – ein Riesentalent, ein gescheitertes Talent und ein scheiterndes Talent
Im Tor sieht der Meister weiterhin Joe Hart als unumstrittene Nummer eins. Der gleichaltrige Pantilimon ist der Herausforderer, kommt jedoch weder beim Talent noch Qualität an Hart heran. Die neue Nummer drei ist Richard Wright – vor 15 Jahren galt er als kommender Weltklassetorhüter und debütierte 1995 mit 17 Jahren bei Ipswich; und behielt im ersten Spiel gleich eine weiße Weste. Fünf Jahre später war er Führungsspieler beim Aufstieg in die Premier League und hatte gar zwei Einsätze in der Nationalmannschaft, woraufhin er 2001 zu Arsenal wechselte. Dort sollte er langfristig Nachfolger von David Seaman werden, konnte den hohen Erwartungen aber nie gerecht werden und wechselte später zu Everton, wo er viel Pech mit Verletzungen hatte. Besonders kurios: 2005/06 missachtete er ein Schild, man solle sich nicht bei den Toren aufwärmen, woraufhin er sich beim Aufwärmen in dieser gesperrten Zone am Knöchel verletzte. In den letzten zwei Jahren bestritt er nur drei Ligaspiele, ist also die Rolle des Ersatzmannes mehr als gewohnt.
Die Abwehr – von wegen „Schwachstelle“
Auch vor dem Torhüter wurde der Kader vergrößert. Auf der Position des Rechtsverteidigers ist Maicon von Inter Mailand gekommen, welcher hier Richards und Zabaleta Konkurrenz machen soll. Richards wird dadurch wohl verstärkt eine Option für die Position des Innenverteidigers sein, da er die defensivste aller Varianten ist. Allerdings ist Richards ungemein athletisch und schnell, weswegen er in einigen Jahren durchaus in die Position des offensiven Außenverteidigers auf höchstem Niveau hineinwachsen könnte.
Neuzugang Maicon verkörpert weiterhin internationales Niveau, ist aber doch einiges von seiner Weltklasseform aus der Saison 2009/10 entfernt. Im Antritt hat er etwas verloren und wird deswegen wohl nur einen Bankplatz hinter Zabaleta innehaben, welcher sich bei Manchester City stetig verbessert hat. Der Argentinier überzeugt offensiv und defensiv, spielte bereits als offensiver Innenverteidiger in einer Dreierkette oder gar als Linksverteidiger. Dank seiner Ausdauer gilt er als Liebling des Trainers und wird voraussichtlich einen Stammplatz besitzen.
Links gibt es mit Clichy und Kolarov zwei offensive Außenverteidiger, wobei der Serbe defensiv etwas schwächer ist, jedoch bei Standards und Schüssen aus der Distanz weitere Stärken ins Spiel der Citizens bringt. Der Franzose Clichy ist technisch etwas unterlegen und bringt deutlich schwächere Flanken, ist aber viel dynamischer und sichert seine Seite defensiv besser vor Angriffen. Auch hier besitzt Mancini die Qual der Wahl, wie auch in der Innenverteidigung. Mit Kompany steht der wohl beste Innenverteidiger Europas in der abgelaufenen Saison unumstritten als Abwehrchef fest, mit Kolo Toure, Micah Richards, Joleon Lescott und Matija Nastasic gibt es vier Möglichkeiten für den Platz neben ihm.
Richards ist defensiv etwas anfällig, weswegen er wohl mit dem letztes Jahr lange gesperrten Toure kaum Chancen auf den Stammplatz hat. Diesen hatte Lescott in der vergangenen Saison, welcher ein körperlich starker und klassischer Innenverteidiger ist, der Mängel in der Spieleröffnung besitzt. Auf dem Papier ist er Toure zwar unterlegen, dürfte aktuell aus Formgründen und Eingespieltheit dennoch die Nase vorn haben. Matija Nastasic kam vom AC Florenz, für ihn wechselten eine hohe Millionensumme (angeblich fast 20 Millionen Euro) und Stefan Savic den Besitzer. Der Serbe aus der italienischen Liga gilt als Weltklassetalent und die moderne Version von Nemanja Vidic. Es bleibt abzuwarten, ob der 19-jährige Linksfuß diese hohen Erwartungen erfüllen kann.
Das defensive Zentrum – punktuelle Verstärkungen und Modernisierung
Hier verließ De Jong die Citizens und stattdessen wurden gleich zwei Spieler als Ersatz verpflichtet. Einer ist der junge Jack Rodwell, der als Achter, Sechser und Innenverteidiger auflaufen kann. Er kam vom FC Everton und gilt als Dauerläufer ohne technische Mängel mit Potenzial zu internationaler Klasse. Der 21-jährige benötigt aber noch ein paar Jahre, um auf dieses Niveau zu kommen, weswegen als zweiter Neuzugang Javi Garcia von Benfica Lissabon kam. Auch dieser ist defensivorientiert, kann als Innenverteidiger einspringen und soll Yaya Toure den Rücken freihalten.
Sein Spielerprofil entspricht in etwa einem älteren Rodwell mit etwas weniger Talent, was wohl eine überwindbare, aber keine einfache Herausforderung für den jungen Engländer darstellen soll; allerdings nur auf der Bank. Den Stammplatz neben Toure auf der defensiven Sechs im 4-2-3-1 oder 4-4-1-1 wird wohl weiterhin Gareth Barry behalten. Er ist ein laufstarker und spielintelligenter Akteur, der in der letzten Saison eine gute Partnerschaft mit dem Ivorer hatte. Toure kann dadurch die Offensive beackern und galt letztes Jahr mit seiner Athletik, Technik und idealen Mischung aus Offensiv- und Defensivstärke als der beste Mittelfeldspieler der Liga.
Pure Kreativität in der Offensive
Auch hier wurde ein Spieler durch einen anderen ersetzt. Rechtsaußen Adam Johnson wanderte ab und statt ihm kam Scott Sinclair von Swansea. Sinclair kann wie Johnson als vertikaler und diagonaler Flügelläufer auf rechts auflaufen oder links als inverser Winger spielen. Er ist extrem schnell und besitzt ein herausragendes Dribbling, was seine etwas begrenzten Fähigkeiten im Kombinationsspiel in höchstem Tempo wettmacht. Außerdem geht er offensiv oft die richtigen Wege und läuft sich gut frei, was für noch mehr Gefahr sorgt. Wie so viele andere wird er sich wohl dennoch auf der Bank wiederfinden. Mit Nasri und Silva stehen zwei Spieler für die Flügelpositionen bereit, welche beide auf beiden Seiten in einem 4-4-1-1 sowie zentral bei einem 4-2-3-1 auflaufen können.
Im Normalfall spielt Nasri links und Silva rechts, wodurch sie als Doppelzehn sowohl spielgestalterisch als auch als verkappte inverse Flügelstürmer spielen können. Allerdings entstehen defensiv Lücken dadurch, wodurch dann Milner ins Spiel kommt. Der Engländer ist flexibel, kann offensiv wie defensiv seine Seite beackern und gar als Achter spielen. Oftmals wählt Mancini einen der zwei Spielgestalter im Verbund mit Milner und einem Sturmduo, um eine bessere Balance bei hoher Durchschlagskraft zu erreichen. Sinclair stellt also den Rollenspieler dar, wenn mehr über die Außen gehen soll oder man überraschend ohne zwei Stürmer aufläuft.
Das Sturmduo – Luxus und Divas
Vier Topstürmer und ein Talent darf Mancini an vorderster Front sein Eigen nennen: kein Wunder, dass das System deswegen meist ein 4-4-1-1 ist. Als hängender Stürmer ist Tevez gesetzt, der diese Saison bereits drei Tore und drei Vorlagen in drei Spielen verzeichnen konnte. Er ist schnell, körperlich stark und machte auch im spielerischen enorme Fortschritte seit seinem Abgang von Manchester United. Darum verzieh ihm Mancini Ende der vergangenen Saison seine Eskapaden, die beim Spiel gegen die Bayern mit seiner verweigerten Einwechslung einen Höhepunkt hatten.
Ähnliches auch bei Balotelli, welcher trotz seiner unterschiedlichsten Skandälchen ein Standing ähnlich dem von Marko Arnautovic in Österreich besitzt; viele Dinge werden auch schlicht übertrieben, da sie beide Typen mit Kanten und Ecken, sowohl spielerisch als auch charakterlich, sind. Balotelli steht mit Dzeko und Agüero im Dreikampf um die Position als vorderster Stürmer, wobei sie unterschiedliche Stürmertypen darstellen.
Agüero ist der beweglichste, Balotelli ist auf die längeren Distanzen schnell und bewegt sich viel in der Horizontale, während Dzeko am ehesten eine klassische Nummer Neun ist. Agüero verbindet in sich beide Spielertypen im Kleinformat, weswegen er gegen tiefstehende Gegner auch die beste Lösung darstellt. Mit ihrer Athletik und Mischung aus Talent mit Rustikalität werden allerdings der Italiener und der Bosnier weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Das Nachsehen hat John Guidetti, welcher in seiner schwedischen Heimat als großes Talent gilt. Der 20-Jährige war letztes Jahr verliehen und ist aktuell verletzt, er dürfte also kaum Chancen auf Einsätze erhalten.
Mögliche Formationen: 4-2-3-1, 4-3-3, 4-4-1-1 und Mancinis Experiment
Aufgrund der hohen Anzahl an außerordentlich guten Stürmern kommt ein 4-2-3-1 aktuell nicht in Frage. Allerdings ist es als taktische Option bei anfälligen Außen des Gegners oder der Suche nach Breite möglich. Dann würde wohl einer aus Nasri und Silva ins Zentrum rücken, während Milner und Sinclair die Außen beackern und vorne je nach Gegner der passendste unter den verschiedenen Mittelstürmertypen hineinkommt. Wegen der offensivstarken Außenverteidiger scheint aber in solchen Fällen ein 4-3-3 wahrscheinlicher. Silva und Nasri könnten sich auf der Position des offensivsten Achters abwechseln, einer spielt als inverser Winger und die Offensivstärke der defensiven Flügel wird genutzt. Agüero und Balotelli können – ebenso wie Tevez – als Flügelstürmer agieren und ebenfalls mit dem Mittelstürmer Rochaden machen, was für eine erhöhte Gefahr durch Überladen der Räume und das Kombinationsspiel sorgt.
Nichtsdestotrotz wird es wohl beim System der vergangenen Saison bleiben. Das 4-4-1-1 mit Nasri und Silva als verkappte Doppelzehn oder einem Balancegeber wie Milner oder Johnson statt einem der beiden sowie offensiven Außenverteidigern klappte hervorragend. Dennoch hat Mancini einige Verbesserungsmöglichkeiten gefunden und sieht diese in einer radikalen Formationsveränderung. Laut Aussage seines Trainerstabs soll mit einem 3-4-1-2 als Variation des 3-4-3 der Gegner früher unter Druck gesetzt werden und man sich selbst weiter in der gegnerischen Hälfte festsetzen können. Mit Akteuren wie Richards, Zabaleta und Kompany besitzen sie Spieler, welche dieses System als offensive Innenverteidiger spielen können. Womöglich würden auch Jack Rodwell und Javi Garcia eine Option darstellen, allerdings ist dies riskant. Es fehlt an der Eingespieltheit, der individuellen Erfahrung sowie daraus resultierender Fehlerreduzierung.
Ein weiteres Problem ist, dass bei Umspielen des Pressingwalles für den Gegner weite Räume frei sind. Inwiefern dieses System dem 4-4-1-1 langfristig Konkurrenz machen können wird, bleibt abzuwarten. Für einige Spieler wie Kolarov und Milner würde es womöglich einen Stammplatz bedeuten, da ihnen die Position des Flügelverteidigers besser liegt, als sämtliche Möglichkeiten im 4-4-1-1. Durch die Positionierung der drei Offensivakteure in einer 1-2-Ordnung würde weiterhin einer aus Nasri oder Silva hinter zwei Stürmern spielen. Diese würden durch dieses 3-4-1-2 keinen Platz an einen Flügelstürmer, wie es bei einem klassischen 3-4-3 wäre, verlieren.
Rene Maric, abseits.at
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