Bei einer der größten Katastrophe der Fußballgeschichte kamen am 15. April 1989 96 Menschen während des FA-Cup-Halbfinales zwischen dem FC Liverpool und Nottingham Forrest... Hillsborough: Wo bleibt die Gerechtigkeit?

Bei einer der größten Katastrophe der Fußballgeschichte kamen am 15. April 1989 96 Menschen während des FA-Cup-Halbfinales zwischen dem FC Liverpool und Nottingham Forrest ums Leben. Austragungsort des Spiels war das Hillsborough Stadion, die Spielstätte von Sheffield Wednesday. Der Name „Hillsborough“ steht seitdem nicht nur als Synonym für diese unfassbare Tragödie, sondern auch für die große Ungerechtigkeit, die vor allem den Anhängern des FC Liverpool während der Aufarbeitung der Vorfälle zu Teil wurde. Die Familienangehörigen der Opfer kämpfen nun bereits seit 30 Jahren für Gerechtigkeit – und darum festzustellen, wer für den Tod ihrer Eltern, Kinder oder Geschwister verantwortlich ist. Durch den Freispruch des damaligen Einsatzleiters der Polizei, mussten sie erneut einen Rückschlag hinnehmen. Eine chronologische Darstellung der Ereignisse rund um die Katastrophe von Hillsborough.

David Duckenfield heißt der Polizist, der an diesem 15. April 1989 als Einsatzleiter eigentlich für die Sicherheit der Besucher*innen des FA-Cup-Halbfinals zwischen dem FC Liverpool und Nottingham Forrest verantwortlich war. Duckenfield hatte noch nie als Einsatzleiter bei einem Fußballspiel agiert und war erst vor kurzem befördert worden. Später gab er zu, dass er keine Ahnung von den Gegebenheiten im Hillsborough Stadion in Sheffield hatte.

Schon vor dem Anpfiff herrschte beim Einlass ein großes Gedränge. Der Druck der Menschenmassen, die ins Stadion wollten, wurde dabei immer größer. Als Entlastung ließ Duckenfield einen weiteren Fluchttunnel öffnen. Eine für viele Menschen tödliche Entscheidung: Weitere Fans strömten durch den Tunnel auf die bereits hoffnungslos überfüllten Tribünen. Ein Regulativ für die anstürmenden Massen gab es nicht.

Zahlreiche Menschen versuchten dem immer bedrohlicher werdenden Gedränge zu entkommen und probierten dabei über Zäune sowie andere Hindernisse auf das Spielfeld oder in den Innenraum des Stadions zu gelangen. Teilweise wurden sie dabei von der Polizei wieder in die Blöcke, die sich mittlerweile zu einer Todesfalle entwickelt hatten, zurückgetrieben: Sie wurden als randalierende Störenfriede eingeschätzt.

Liverpool-Torhüter Bruce Grobbelaar hörte nach eigener Aussage Hilfeschreie von den Tribünen und machte Schiedsrichter Ray Lewis darauf aufmerksam. Wenig später kam auch ein Polizist auf den Rasen gerannt. Er bat den Schiedsrichter, das Spiel zu unterbrechen. Lewis kam dem nach.

Trotz der lebensbedrohenden Zustände in den Blöcken, ließ die Polizei die Fluchttore in den Innenraum nicht öffnen. 96 Menschen verloren im Gedränge ihr Leben – die meisten durch Erstickung-, 766 weitere wurden verletzt.

Duckenfield gab später zu Protokoll, die Liverpool-Fans hätten ihn dazu gedrängt, das zusätzliche Fluchttor zu öffnen. Schnell wurden die Anhänger der Reds als die Hauptschuldigen der Katastrophe ausgemacht. Duckenfield sowie die gesamte Polizei wuschen ihre Hände in Unschuld.

Auch die Medien griffen dieses Narrativ auf. In besonders widerlicher Manier tat dies die Boulevardzeitung The Sun. Die berichtete auf ihrer Titelseite, dass Fans den Opfern die Taschen durchwühlten, auf Polizisten urinierten und Sanitäter angriffen. Alles komplett haltlose Anschuldigungen wie sich später herausstellen sollte. Das Blatt wird seitdem in der Stadt Liverpool boykottiert.

Jahrelang kämpften die Angehörigen darum, dass die Ereignisse endlich wahrheitsgemäß wiedergegeben werden. 1991 hatte eine Untersuchung ergeben, dass es sich bei dem Tod der 96 um einen Unfall gehandelt hatte. Erst 2009, also 20 Jahre nach dem Unglück, wurde eine unabhängige Untersuchungskommission eingesetzt, die sich um eine erneute Aufarbeitung bemühte.

2011 beschloss das Parlament, die Kommission sollte alle Unterlagen der Tragödie erhalten. 2012 kam das Ergebnis: Nicht die Fans tragen die Schuld, sondern die Ordnungskräfte. Die Experten stellten zudem fest, dass 41 der 96 Toten hätten gerettet werden können. Der damalige Premierminister David Cameron entschuldigte sich „im Namen des gesamten Landes“ bei den Hinterbliebenen. Diese erfuhren an diesem Tag das erste Mal so etwas wie Gerechtigkeit. 2016 bestätigte ein Gericht die Ergebnisse des Berichts. Daraufhin stimmten einige außerhalb des Gerichtsgebäudes „You`ll never walk alone“ an, die Hymne des FC Liverpool. Sogar die Sun entschuldigte sich für die unwahre Berichterstattung.

David Duckenfield musste sich wegen fahrlässiger Tötung in 95 Fällen (Ein Opfer, Tony Bland, verstarb erst vier Jahre später, womit sein Tod nicht strafrechtlich verfolgt werden kann) verantworten. Nachdem dieser zuvor bei einer Anhörung einräumte, dass seine Maßnahme – die Öffnung des weiteren Tunnels – für den Tod der Menschen verantwortlich war, revidierte er dies später. Duckenfield schob die Schuld von sich auf andere.

Ende November sprach ein Gericht den 75-Jährigen von den Vorwürfen frei. Das Urteil sorgte für Bestürzung unter den Hinterbliebenen. „96 Menschen sind gestorben. Ich würde gerne wissen, wer für den Tod meines Vaters verantwortlich ist, denn irgendjemand muss es sein“, zeigte sich Christine Burke frustriert ob des Verdikts. Sie ist die Tochter des in Hillsborough verstorbenen Henry Burke.

Auch der FC Liverpool gab in einem Statement bekannt, dass der Verein „den Frust der Angehörigen und Betroffenen“ teile. Der Kampf um Gerechtigkeit wird an diesem Punkt jedoch bestimmt nicht enden.

Ral, abseits.at