Im englischen Fußball-Sprech bezeichnet man ihn als einen klassischen „Unsung Hero“. An der „Anfield Road“ ist er nach den Abgängen der lokalen Helden Steven Gerrard und Jamie Carragher zur Identifikationsfigur aufgestiegen. In der Champions League führte er nicht zuletzt mit seinen neun Assists den FC Liverpool bis ins Finale. Von seiner Erfahrung profitieren die zahlreichen junge Wilden ebenso, wie die viel besungene Angriffsreihe. Die Rede ist natürlich von James Milner, seines Zeichens Vizekapitän und vor allem zuletzt auch der heimliche Leader bei den „Reds“.
Ein „langweiliger“ Musterprofi
Der 32-Jährige Allrounder besitzt zweifelsohne nicht die technischen Fähigkeiten eines klassischen Spielmachers. Auch nicht mehr die Grundausdauer sowie die Spritzigkeit eines jungen „Sechsers“. Und schon gar nicht die Strahlkraft neben dem Platz samt deren Trikotverkaufszahlen wie einige der jüngeren Kollegen, die dazu noch fleißig durch Klatschspalten und Instagram dribbeln.
Aber wenn es am Feld drauf ankommt – und solche Spiele hatte der FC Liverpool in der letzten Zeit öfters – war der 61-fache Teamspieler stets zur Stelle. Flexibel einsetzbar am Flügel oder zuletzt wieder auf seiner alten, neuen Position im Zentrum. Der dem Alkohol und Nikotin entsagende Milner enttäuschte seinen Trainer nur selten. So wie auch schon in der Vorsaison nicht, als er mangels Alternativen kurzerhand zum Linksverteidiger umfunktioniert wurde.
Die Power, der Ehrgeiz und die Leidenschaft mit der Milner unermüdlich über den Rasen wieselt, kommt vor allem im heimischen Fanblock „The Kop“ prima an. Vergleiche mit der Vereinslegende Steven Gerrard werden schon hervorgeholt, wenngleich diese ob dessen langjährigen Verdienste für den Verein und der Stadt trotzdem etwas zu hoch gegriffen sind.
Der in Leeds geborene Rekord-U21-Teamspieler (ganze 46-mal trug er das Trikot der Nachwuchsauswahl Englands) war im Starensemble des blauen Teils Manchesters nicht mehr „en vogue“. So wechselte er 2015 ablösefrei zu den von Brendan Rodgers trainierten „Reds“. Als damals schon fast 30-Jähriger zum Auslaufmodell und Lückenfüller – bestenfalls Backup – abgestempelt, machte man die Rechnung ohne Milner. Laut seinen Coaches gilt er als Vorbild, wenn es um Intensität und Überstunden am Trainingsplatz geht. So erfüllt der Musterprofi auch am Matchday regelmäßig die an ihm gesetzten Aufgaben konsequent. Seine Weggefährten streichen seinen unbändigen Willen, die körperliche wie mentale Fitness und natürlich auch das Talent des beidfüßigen Allrounders hervor. Mit einem unaufgeregten Lebensstil beweist er zudem, dass ein skandalbefreiter, untätowierter Oldschool-Fußballprofis mit 0815-Haarschnitt auch noch dieser Tage nicht ganz „out“ sein muss.
Von der Bank in die Mittelfeldzentrale
Zum Saisonbeginn war Liverpools Nummer sieben – wieder einmal – als Backup für das Zentrum rund um Kapitän Henderson, Wijnaldum, Can oder dem mittlerweile abgewanderten Coutinho kategorisiert worden. Die Einsätze ergaben sich ob der Vielzahl an Spielen zwangsläufig und der sichere Elferschütze (Quote in seiner Karriere bei über 80%) fand seinen Stammplatz im zentralen Mittelfeld. Verständlicherweise nicht mehr sooft von Beginn an, aber mit 46 Einsätzen oder knapp 2.700 absolvierten Minuten dann doch deutlich öfters als erwartet. Vor allem an den großen Abenden strahlte der Mittelfeldspieler mit dem Flutlicht um die Wette, meist im Schatten der größeren Namen. In erster Linie wurde die dynamische Sturmreihe ob ihres Offensivspiels gehuldigt. Doch im Hintergrund ackerte und dirigierte schier unermüdlich der Oldie. Mit seinen neun Assists in der Champions League, den meisten aller Spieler in der Königsklasse, ist er der gefährlichste Tor-Vorbereiter.
Das der als eher bescheiden und zurückhaltend beschriebene Leader auch Humor hat, bewies er nach dem kuriosen wie schmerzhaften Kopfball-Eigentor in Rom. So fragte er nach Tipps, wie man den das Champions-League-Logo wieder von der Stirn runter kriegt.
Das Karrierehighlight in Kiew
Selbstverständlich wird Jürgen Klopp auch in der neuen Spielzeit wieder auf seinen „Mister Zuverlässig“ bauen und ihn nicht als altes Eisen abstempeln. Der Vertrag läuft auch noch für die kommende Saison.
Natürlich werden auch die Ruhezeiten wieder behutsam eingestreut werden, jedes Spiel wird die Nummer sieben auch in der neuen Saison nicht absolvieren. Aber – und darauf kann sich Klopp verlassen – wird der stets faire Antreiber (kein Platzverweis in über 400 Partien) auch mit einem Jahr mehr am Buckel sich nicht schonen. Doch zuvor steht noch das Karriere-Highlight am Programm! In Kiew wird er eine zentrale Figur bei den „Reds“ sein, ob Klopp’s unerfahrene Rasselbande gegen die Finalspezialisten aus Madrid bestehen kann.
Danach ist genug Zeit zum Füße hochlagern und Akkus aufladen. Die WM wird sich James Milner im Fernsehen gönnen, nach der Europameisterschaft 2016 trat er von den „Three Lions“ zurück. Der Fokus gilt seitdem einzig und allein dem FC Liverpool und seinen Fans im Kop.
Werner Sonnleitner, abseits.at
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Werner Sonnleitner
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