Erstmals seit 1999 steht zu diesem Zeitpunkt der Saison keiner der üblichen Verdächtigen (Chelsea, Arsenal, Liverpool oder einer der Manchester Klubs) an der Tabellenspitze.... Leicester City – ein Underdog rockt die Premier League

Christian Fuchs 2_abseits.atErstmals seit 1999 steht zu diesem Zeitpunkt der Saison keiner der üblichen Verdächtigen (Chelsea, Arsenal, Liverpool oder einer der Manchester Klubs) an der Tabellenspitze. Ein Abstiegskandidat rockt die Premier League. Mittendrin statt nur dabei: ÖFB-Teamkapitän Christian Fuchs. Nachdem wir uns ja schon das Geschehen abseits des Platzes etwas ausführlicher ansahen, möchten wir jetzt die sportliche Komponente näher beleuchten. Wer ist dieser Tabellenführer, wie läuft es für unseren Teamkapitän und dazu auch ein paar Begründungen warum der Erfolgslauf doch noch länger anhalten könnte bzw. umgekehrt auch die Gegenargumente, warum Leicester doch bald wieder zurückfallen wird.

Bislang wie im Traum – die Saison 2015/16

Nachdem der „Retter“ Nigel Pearson in der Sommerpause vor die Tür gesetzt wurde, war die unsichere Frage, ob der in Griechenland zuvor erfolglose Claudio Ranieri der richtige Mann für die Foxes sein sollte. Doch die Kritiker wurden gleich mal mit zwei Auftaktsiegen gegen Sunderland und West Ham ruhiggestellt, danach gab es aus vier Spielen drei Punkteteilungen. In Runde sieben schien der Höhenflug dann endgültig gebremst zu sein und der Traumstart womöglich nur der Euphorie geschuldet: Ein 2:5 daheim gegen Arsenal bedeutete die erste Saisonniederlage. In den nächsten sechs Spielen gab es dann aber fünf Siege.

Dann kam der Rekordmeister aus Manchester ins King Power Stadium. Christian Fuchs bediente per Zuckerpass Jamie Vardy, der stellte auf 1:0 und luchste Ruud van Nistelrooy – einer ehemaligen Legende des Gegners – einen Rekord ab: In elf Premier-League-Partien hintereinander hat der zuvor nur Insidern bekannte Newcomer getroffen. Der darauffolgende Ausgleich kostete zwar die zwischenzeitliche Tabellenführung, doch die holte man sich am vergangenen Samstag mit einem beeindruckenden 3:0 im walisischen Swansea schnell wieder zurück.

Nun folgen die Wochen der Wahrheit: Bis Mitte Jänner gehen die Reisen zweimal nach Liverpool (Everton und LFC) und nach London zu Tottenham. Begrüßen dürfen die Ranieri-Schützlinge in dieser Zeit den FC Chelsea, Manchester City und den AFC Bournemouth. Entscheidende Spiele stehen also unmittelbar bevor. Stehen die Foxes danach weiterhin noch so weit oben in der Tabelle, ist wahrlich nichts mehr ausgeschlossen!

So spielt der Tabellenführer

Im Sommer übernahm Claudio Ranieri also die Foxes. Der Italiener spielt bevorzugt mit einem 4-4-2 System, je nach Spielsituation hängt dabei meist eine Spitze etwas zurück. Dabei soll in der Defensive ohne großen Schnickschnack verteidigt werden, kompromisslos und konventionell. Bei Balleroberung geht’s dann blitzschnell, mit wenigen flachen Pässen oder manchmal auch mit einem langen hohen, soll der Gegner überrumpelt werden. Dieses einfache, aber durchaus effektive Rezept funktioniert bislang überaus gut. Das simple Einmaleins des Fußballs wird bei Leicester mit viel Power und noch mehr Leidenschaft umgesetzt, kann also auch in einer Liga die von Scheichs, Oligarchen und Fernsehanstalten mit Geld praktisch überschwemmt wird, erfolgreich sein.

Die Stammformation hat sich schon längst gefunden. Im Tor steht mit Kasper Schmeichel ein bekannter Name. Die Viererabwehr scheint gesetzt: Innen das Duo Robert Huth und Kapitän Wes Morgan, rechts Danny Simpson. Die linke Seite gehörte zu Saisonbeginn Jeffrey Schlupp, ehe dann Christian Fuchs seine Chance bekam und diese auch nutzte. Im Zentrum setzt Ranieri auf Sicherheit mit einer klassischen Doppelsechs, die meist Danny Drinkwater und N’Golo Kante besetzen. Am rechten Flügel ist der Algerier Riyad Mahrez fix gesetzt, der am letzten Samstag Swansea per Hattrick im Alleingang erledigte. Die linke, offensive Seite beackert nun meist Schlupp oder als Backup der routinierte Engländer Marc Albrighton. Vorne rittern der Ex-Mainzer Shinji Okazaki und Leonardo Ulloa um den zweiten freien Platz neben Jamie Vardy.

Dieser Jamie Vardy ist auch der Mann der Stunde, das Gesicht das die momentane Gefühlslage im Verein wiederspiegelt. Ein kometenhafter Aufstieg, vor drei Jahren noch in Liga fünf, führt er jetzt die Premier League Torschützenliste an. Damals im Unterhaus des britischen Fußballs hatte er noch mit ganz anderen Dingen zu kämpfen. Der Topscorer war nach einer Schlägerei nur auf Bewährung frei, spielte teilweise mit einer Fußfessel. Eine Ausgangssperre machte vor allem Auswärtsfahrten zu logistischen Herausforderungen. Doch der 28-Jährige ist die Identifikationsfigur im King Power Stadium, irgendwie ist er einer von ihnen, der es in Rekordzeit von der Fankurve in das Nationalteam geschafft hat. Dazu liebt ihn der englische Fußballfan, weil er ganz nach deren Geschmack noch einer der letzten Profis mit Ecken und Kanten ist, einer der Kategorie „Typen“ und kein von Nachwuchsinternaten und Mediencoaches perfekt gedrillter, aussagelose Stehsätze schwingender Jungprofi.

Christian Fuchs und seine erste Monate bei den „Foxes

In den ersten sieben Runden spielte Fuchs nur 21 Minuten – zwei Kurzeinsätze standen zu Buche. Dazu zwei Einsätze im ungeliebten Liga-Cup. Doch dann, auch als Konsequenz aus dem Fünferpack von Arsenal rutschte der Teamkapitän Anfang Oktober erstmals in die Startelf und stand nach dem Sieg über Norwich gleich im Premier League Team der Runde. Von da an machte der gebürtige Neunkirchner alle Spieler über die volle Distanz – nur gegen West Bromwich fehlte er wegen einer Prellung. Ansonsten dürfte sich der Linksfuß schon ganz gut in den Midlands eingelebt haben. Wie schon so oft wurde dem 29-Jährigen bei seinen Wechseln (zuerst in die Bundesliga zu Mainz, dann zum Champions League Aspiranten Schalke und nun in die Premier League) anfangs der Durchbruch nicht zugetraut, schlussendlich belehrte er aber wieder einmal die Experten am Rasen eines Besseren.

Pro: Deswegen wird Leicester heuer noch eine große Rolle spielen…

Einfach zusammengefasst, hat der Verein schon Anfang Dezember einen großen Schritt in Richtung Saisonziel getan: Den Klassenerhalt. Die Mannschaft hat sich gefunden, das System funktioniert und man kann ohne die lästigen Existenzsorgen frei von der Leber drauf losspielen. Dazu hat man im Gegensatz zu den Konkurrenten ganz oben keine internationale Mehrfachbelastung. Mit dem Rückenwind des fulminanten Saisonauftakts stieg auch das Selbstvertrauen. Angesichts der momentan besonders inkonstanten Konkurrenz wäre ein internationaler Startplatz heuer punktetechnisch wohl so wahrscheinlich wie selten zuvor. Und ein Name könnte zugleich Fluch oder Segen für die Foxes sein: Der bereits angesprochene Topscorer Jamie Vardy. Ein Premier-League-erprobter Torjäger weckt die Begehrlichkeiten der großen Fische im Teich. Es ist wohl ziemlich sicher, dass das Jänner-Transferfenster von zahlreichen Transfergerüchten rund um den 28-jährigen Teamspieler geprägt sein wird. Bleibt er, wird er sicherlich auch im Frühjahr noch das eine oder andere wichtige Tor für Leicester erzielen.

Contra: Deswegen wird Leicester schlussendlich doch wieder zurückfallen…

Kann der Mann der Stunde aber den Verlockungen nicht widerstehen, könnte das auch eine Negativspirale in Gang setzen. Kaum zeigt eine Mannschaft auf, wildern die großen Namen der Liga in deren Reihen – bestes Beispiel: Der FC Southampton nach der fulminanten Aufstiegssaison. Dazu ist die Spielzeit mit 38 Runden doch noch sehr lange. Verletzungspech und vielleicht auch noch gesperrte Spieler – dann wird es für Ranieri schon schwieriger. Die Kadertiefe ist naturgemäß weit weniger ausgeprägt, als bei den namhaften Konkurrenten. Dazu sollten die „Foxes“ mittlerweile von der Konkurrenz ernster genommen werden. Für die hinteren Mannschaften besteht die Motivation gegen die Mannschaft der Stunde zu überraschen. Alles Gründe, warum es für den Underdog nicht leichter werden wird.

Außerdem setzt sich in der Meisterschaft schlussendlich, über eine lange Premier-League-Saison gesehen, dann doch meist wieder einer der Favoriten – mit dem passenden Kontostand inklusive – durch. Die Ausnahmen die diese Regel bestätigen kann man auf einer Hand abzählen. Nur fünfmal gab es in den Top vier seit der Jahrtausendwende nicht die üblichen fünf Verdächtigen (Chelsea, Arsenal, Manchester City und United, FC Liverpool). Ein dritter Platz gelang einmal Newcastle 2002/03, „Überraschungs-Vierte“ gab es mit Tottenham (2011/12), Everton (2004/05), Newcastle (2001/02) und Leeds (2000/01).

Die Wahrheit wird wohl irgendwo dazwischen liegen

Auf alle Fälle ist Leicester City eine Bereicherung für die Liga, ein frischer Wind der durch die scheinbar über Jahre geschlossene Gesellschaft der obersten Tabellenregion weht. Ein lästiger Underdog der bei den Ligagrößen für etwas Erklärungsnotstand sorgt. Langfristig wird auch Leicester nicht in den Kreis der großen fünf (sechs) eindringen können. Doch kurzfristig genießt das Team rund um Christian Fuchs die Leichtigkeit des Seins und macht einfach Spaß. Die nächsten Wochen werden auf jeden Fall spannend, zuerst die schwierigen Spiele am Rasen und dann im Jänner die nicht minder leichten Duelle abseits des Grüns, wenn das Transferfenster wieder öffnet und dort die Leicester-Akteure gefragte Namen sein könnten.

Werner Sonnleitner, abseits.at

Werner Sonnleitner

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