Liverpools 4-3-3 – Blitzschnelles Umschalten, direkte Kombinationen und ein sensationelles Sturmtrio
England 3.März.2014 Leonard Dung 0
Heute widmen wir uns dem FC Liverpool, dessen kontrolliertes Kurzpassspiel Brendan Rodgers um die Komponente des schnellen vertikalen Fußballs erweitert hat. Dafür ordnen sie sich nun im 4-3-3 an, dabei stechen die brandgefährliche Offensive und die jüngst fulminanten Ergebnisse hervor.
Eine stabile Innenverteidigung mit eher anfälligen Außen
Bei den Reds hütet Mignolet das Tor. Er ist technisch auf einem guten Niveau, hat dafür noch Probleme bei der Strafraumbeherrschung.
Die Stamminnenverteidigung besteht aus Agger und Skrtel. Ersterer zeichnet sich neben Kopfball-und Zweikampfstärke durch eine gute Spieleröffnung aus. Damit nimmt er eine Schlüsselrolle ein, da Rodgers für seinen ballbesitzorientierten Spielstil einen fehlerfreien Aufbau aus der Abwehr heraus fordert. Auch wenn Liverpool davon etwas abkehrte, um schneller die Spitze anzuvisieren, hat das flache Kurzpassspiel nicht an Bedeutung verloren.
Weil sowohl Glen Johnson als auch Jose Enrique fehlten, war die Außenverteidigung eine Problemzone. Enrique, der wegen seiner Knieverletzung erst acht Saisonspiele absolvierte, ist weiterhin absent, allerdings kehrte Johnson zurück. Obwohl die rechte Flanke gewöhnlich sein Territorium ist, ersetzte er gegen Swansea Cissokho auf dem linken defensiven Flügel. Der Engländer ist ihm technisch, aber auch in der klassischen Abwehrarbeit überlegen. Cissokho hatte mit technischen Mängeln immer wieder das Passspiel behindert.
Gerrard endlich als Kopf der Spielgestaltung
Liverpools Urgestein, Steven Gerrard, bekam eine neue Rolle. Entgegen der Kritiker, die sein defensives Stellungsspiel und sein unstrategisches Spiel anprangern, verschob Rodgers ihn ins defensive Mittelfeld. Das ist der deutlichste Ausdruck davon, dass Liverpool sein Spiel nun noch riskanter gestaltet. Denn Gerrard kann es in puncto Defensivstärke tatsächlich nicht mit Lucas Leiva aufnehmen, der jedoch verletzt ausfällt.
In der Offensive ergänzt Gerrard das Spiel hingegen um eine weitere Facette. Für einen defensiven Mittelfeldspieler agiert er sehr vertikal, obgleich seine Vorstöße durch diese neue Position natürlich begrenzt wurden. Außerdem kann er seine langen, hohen Diagonalbälle nun besser einsetzen, zumal sie ideal mit der Schnelligkeit des Sturmtrios harmonieren. Somit sind sie eine vorzügliche Waffe für das Konterspiel.
Technik und Dynamik in der Mittelfeldzentrale
Vor ihm dürfen sich mit Coutinho und Henderson zwei Jungstars beweisen, die mit Beweglichkeit, Technik und Kreativität glänzen. Henderson ist zudem äußerst ausdauernd und dynamisch, so dass er häufig in den gegnerischen Strafraum vorstoßen kann. In dieser Saison legte er einen gewaltigen Entwicklungssprung hin, war sein Passspiel doch früher eher uninspiriert und nicht sehr effektiv. Dort hat er sich verbessert, insbesondere agiert er nun strategisch geschickter, dennoch ist er nicht so grazil wie sein Partner.
Coutinho ist ein Spieler, der immer den Überraschungsmoment kreieren kann. Er verhält sich sehr gut in engen Räumen, serviert regelmäßig tödliche Pässe und kann seine Gegenspieler dank seiner Antrittsschnelligkeit und Ballgewandheit auch auf dem Flügel vernaschen. Obwohl er nun im zentralen Mittelfeld aufgeboten wird, verschleppt er selten das Tempo, sondern sucht meist den schnellsten Weg zum Torerfolg. Zusammen bilden er, Gerrard und Henderson eine Schaltzentrale, die über ein exquisites Passspiel verfügt und dazu tendiert, das Tempo der Partie stets hochzuhalten.
Suarez – ein kompletter Angreifer
Als Prunkstück des Teams wird allgemein das Sturmtrio angesehen. Im Zentrum treibt sich Luis Suarez herum, der mit 23 Treffern und neun Assists eine absolut außergewöhnliche Bilanz sein eigen nennen kann. Er ist schnell und hat einen starken Torabschluss, zudem ist er im Zweikampf kaum aufzuhalten. Seine enge Ballführung und Beweglichkeit, gepaart mit seinem Durchsetzungswillen garantieren, dass er selbst Duelle mit mehreren Gegenspielern für sich entscheiden kann.
Doch anstatt nur auf Torchancen zu lauern, beteiligt er sich engagiert und effektiv am Spiel. Er rochiert immer wieder auf die Außen oder tauscht ganz für mehrere Minuten die Position mit dem Rechtsaußen, noch häufiger lässt er sich aber zentral zurückfallen. Damit bietet er einen Anspielpunkt für das Mittelfeld, wegen seiner ausgezeichneten Technik kann er das Spiel dann nach vorne verlagern.
Wenn ihm niemand folgt, kann er sich umdrehen, um aus dem Zwischenlinienraum einen Steilpass zu spielen. Das ist ein Grund, warum Suarez seinen Kollegen drei „key passes“ pro Partie, deutlich die meisten bei Liverpool, kredenzt. Wegen seiner variablen Rolle, durch die er Gegenspieler aus ihren Positionen zieht, öffnet er Raum, den seine Mitspieler nutzen.
Torgefährliche Flügel
Der Profiteur davon ist Daniel Sturridge. Er nutzt sein enormes Tempo, um in die von Suarez geschaffenen Löcher zu sprinten. Das ist neben seinem formidablen Torabschluss und seinen klugen Laufwegen der Grund, warum der Engländer in den letzten sieben Ligaspielen mindestens ein Tor erzielt hat. Um seine Durchschlagskraft zu nutzen, werden seine defensiven Pflichten manchmal etwas gelockert. Da er aber immer Gefahr bei potentiellen Gegenstößen suggeriert, hindert er durch seine Präsenz die Abwehrkette des Kontrahenten daran, sich weit vorzuwagen.
Sterling, der die linke Flanke beackert, verhält sich eher balancierend, indem er stärker seine Position hält als seine Sturmpartner. Dazu sucht er immer wieder das 1-gegen-1 mit dem Außenverteidiger, wobei er versucht, ihn nach einer Körpertäuschung schlicht zu überlaufen. Dennoch ist Sterling kein reiner Flügelläufer, schließlich hat er gelernt, immer wieder das Zentrum zu füllen, wenn Suarez und Sturridge so hoch oder so breit positioniert sind, dass die Verbindung zum Mittelfeld abreißen könnte.
Wechsel zwischen hohem und abwartendem Pressing
Im Pressing fährt Liverpool normalerweise eine hohe Intensität, die anschließend sukzessive zurückgefahren wird. In Idealform setzten sie diesen Plan beim 5:1 gegen Arsenal um. Sie pressten in einem mannorientierten 4-1-4-1, wodurch zwar ein Verteidiger frei blieb, aber alle Mittelfeldspieler direkte Zuordnungen zum jeweiligen Gegenspieler hatten. Der freie Verteidiger genoss Zeit am Ball, konnte aber niemanden anspielen. Da sie das mit entsprechender Dynamik und Bissigkeit im Herausrücken kombinierten, eroberten sie mehrmals den Ball und nutzten die schnellen Stürmer, um Arsenals Defensive zu zertrümmern. Vor allem der Edeltechniker Özil litt an Liverpools Pressing, folglich leitete er mit Fehlpässen zwei Gegentreffer ein.
Danach zog sich Liverpool weiter zurück und interpretierte die eigene Formation passiver, raumorientierter und abwartender. Sie behielten jedoch die 4-1-4-1-Grundordnung bei, wobei die Mittelfeldspieler den Weg in die gefährlichen Zonen durch ihren Deckungsschatten verriegelten. Falls das nicht gelingt, hat der Sechser noch die Möglichkeit, das zu reparieren.
Große Offensivwucht mit kleinen Schattenseiten
Insgesamt generiert Liverpool beeindruckende Durchschlagskraft, wobei sie neben direkten Vertikalangriffen immer noch dem kontrollierten Spielaufbau, dem Markenzeichen von Rodgers‘ Teams, vertrauen können, um destruktive Kontrahenten zu zerlegen.
Dabei besteht nach der Umstellung auf vertikaleren Fußball jedoch die Gefahr, dass sie etwas überdrehen. Das offenbarte sich beim 4:3-Sieg gegen Swansea City, wo sie insbesondere in der Phase nach der Halbzeitpause in Swanseas Pressingfalle tappten. Swansea ließ immer wieder einzelne Räume offen, um im Fall eines Passes dorthin Überzahl zu schaffen und den Ballgewinn zu erzwingen. Liverpool ließ dabei phasenweise das strategische Geschick vermissen, um diesen Fallen zu entgehen. Sie konnten sich glücklich schätzen, dass die Waliser nach der Pause nicht in Führung gingen. Mit dem Ziel, dem Spiel seiner Mannschaft wieder mehr Ruhe zu verleihen, wechselte Rodgers dann in der 58. Minute den Strategen Allen für den quirligen Sterling ein. Es wird interessant zu sehen sein, ob die Reds die richtige Balance finden werden.
Leonard Dung, abseits.at
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