Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im... Men to (re)watch (41) –  Peter Knowles (KW 41)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an: In der einundvierzigsten Ausgabe reden wir über den Fußballer Peter Knowles, der seine vielversprechende Karriere plötzlich nicht weiter verfolgte…

3:3 stand nach 90 Minuten auf der Anzeigetafel. Die Wolverhampton Wanderers hatten gegen Nottingham Forrest eine 3:0-Führung verspielt, als der Schiedsrichter abpfiff. Die Spieler der Heimmannschaft ärgerten sich, doch wollten im nächsten, im neunten Ligaspiel der Saison 1969/70, wieder angreifen. Einer von ihnen verließ jedoch das Molineux-Stadion, ohne je wiederzukommen. Kein Abschied, kein Auf Wiedersehen. Nur wenige Wochen vor seinem 24. Geburtstag hatte der Stürmer Peter Knowles mit dem Profifußball abgeschlossen.

„Er war ein sehr spezieller Spieler.“

Geboren wurde Knowles als Sohn eines Rugbyspielers am 30. September 1945 im ländlichen West Yorkshire. Für Rugby zeigte jedoch nur Peters eineinhalb Jahre älterer Bruder Cyril jr. Talent: Er musste sich als Teenager entscheiden, ob er den Ball bei Featherstone mit den Händen spielt oder bei Middlesbrough mit den Füßen kickt. Cyril Knowles wählte den Fußball und sollte als Linksverteidiger Karriere machen: Er lief in über 400 Partien für die Londoner Spurs auf, wurde FA Cup- und UEFA-Cup-Sieger und legte somit summa summarum die erfolgreichere Karriere als Peter hin. Dabei galt Letzterer in jungen Jahren als überragendes Talent, niemand geringerer als der „neue George Best“ hätte Peter werden sollen.

Als Sechzehnjähriger wurde der Stürmer bei einem Match seiner Schülermannschaft von einem Scout entdeckt und unterschrieb für sechs Jahre bei den Wolverhampton Wanderers. Er schaffte es von der U 16 über die Reserve bis zu den Profis in kaum einem Jahr. Gleich bei seinem Debüt für die Kampfmannschaft traf er und galt bald als Englands zukünftige Stürmerhoffnung: Beidfüßig, gutes Passspiel, Spielintelligenz. Ab der Saison 1964/65 machte der junge Angreifer regelmäßig seine Tore und avancierte zum Topscorer seines Klubs. Knowles, der sowohl auf den Flügeln als auch in der Mitte spielte, galt als technisch gut, direkt und kräftig. Rasch avancierte er zu einem Fanliebling. „Er umspielte Verteidiger mit Leichtigkeit oder brach einfach durch sie hindurch.“, erinnert sich ein Zeitzeuge.

1967 schaffte es Wolverhampton in die höchste Spielklasse aufzusteigen und Knowles Karriere stand in voller Blüte. Er schoss Tor um Tor und war – trotz Verletzungspause – zweitbester Wolves‑Torschütze. Nachdem er schon in Englands Jugendnationalteams gekickt hatte, war eine Einberufung ins A-Team nur mehr eine Frage der Zeit. Gemeinsam mit Derek Dougan erzielte der Fanliebling in der Spielzeit 1968/69 über die Hälfte der Teamtore.

Als die WM‑Endrunde 1970 immer näher rückte, strebte der Profi einen Transfer an, doch sein Förderer, Wolves‑Trainer Ronny Allen, war mit dem Verkauf zum FC Liverpool nicht einverstanden. Stattdessen kickte Knowles während der Sommerpause ’69 in einer von der FIFA geschaffenen Mini-Liga als Gastspieler für die Kansas City Spurs um Werbung für den Fußball in den USA zu machen. Genau dieses zweifelhafte Vergnügen sollte der Knackpunkt in der Karriere des Angreifers sein.

„Er sagte zum Trainer: ‚In sechs Wochen höre ich auf.‘ Wir waren alle geschockt.“, erinnert sich ein Mitspieler an jenen Moment, als Peter Knowles sein Karriereende inoffiziell bekannt gab. Tatsächlich hatte kaum jemand der Wolves die innere Wandlung des Toptorschützen für möglich gehalten. Knowles galt als Inbegriff des Bruder Leichtfuß. Mit Koteletten und Pilzkopf sah er zwar aus wie einer der Beatles, der Fußballer lebte aber wie ein Rolling Stone und fuhr den neuesten MG-Sportswagen, auf dessen Kotflügel sein Name gedruckt war. Schreiende Mädchen begrüßten ihn am Eingang des Molineux-Stadions. In den Midlands behandelt man den Anfang Zwanzigjährigen wie einen Popstar: Knowles hatte Erfolg und die Fanherzen lagen ihm zu Füßen.

Leben ohne Fußball aber mit Glauben

Doch kaum einer wusste, dass den Offensivfußballer ein Erlebnis im Sommer 1968 nachhaltig verändert hatte: Irgendwann hatte es an Knowles Haustür geläutet und plötzlich war der Spieler vor zwei Zeugen Jehovas, die ihm ihre Broschüren in die Hand drückten, gestanden. Es ergab sich ein Gespräch, das das Leben des Kickers auf den Kopf stellen sollte. Während des Turniers in den USA, besuchte der Stürmer in seiner Freizeit regelmäßig Treffen der in Kansas ansässigen Zeugen Jehovas und wurde weiter in seinem neuen Glauben bestärkt. Nach der Sommertournee war sich Knowles sicher, er würde seine Fußballschuhe bald an den Nagel hängen.

„Als 23‑Jähriger habe ich Fußball geliebt und war richtig gut darin, doch dann habe ich angefangen die Bibel zu lesen und ich wurde Zeuge Jehovas. Ich habe versucht beides zu verbinden, aber das ging nicht.“, erinnerte sich Peter Knowles vor mehr als zwei Jahren. Jetzt ist der Ex-Spieler 77 Jahre alt, hat eine sanfte Stimme und scheint mit seiner Entscheidung gegen den Profisport nicht zu hadern. Damals jedoch waren nicht nur die Anhänger der Wolverhampton Wanderers enttäuscht. Seine Teamkameraden und der Staff glaubten zunächst, dass dies nur eine Phase des lebenslustigen Burschen sei: Ein Spieler, der über seine Qualitäten verfüge, würde seine Leidenschaft nicht aufgeben. Selbst der Zeugwart hatte die Wäsche des Stürmers für den nächsten Trainingstag nach dem Unentschieden gegen Nottingham Forrest pflichtbewusst in die Kabine gelegt.

Doch Knowles kam nie wieder. Er blieb bis 1982 vertraglich ein Wolves-Kicker ohne je wieder ein Training zu besuchen oder im Kader zu stehen. Stattdessen arbeitete der hochtalentierte Kicker als Milchmann, Fensterputzer oder in einer Filiale von Marks & Spencers. Während sich seine Kollegen in der Kabine umzogen, stand der Ex-Profi in Anzug und Krawatte vor fremden Haustüren, um den Bewohnern seinen Glauben näher zu bringen. Er zog sich schließlich völlig aus der Öffentlichkeit zurück und gab Jahrzehnte später zu Protokoll: „In den letzten vierzig Jahren habe ich nie bereut meine Karriere beendet zu haben. Mein Lebensstandard ist zwar gesunken, aber ich bin gesund und immer noch verheiratet. Hätte ich nicht aufgehört Fußball zu spielen, wäre das nicht der Fall.“ Bis zu seiner Pensionierung arbeitete Peter Knowles bei der Stadtverwaltung von Wolverhampton. Ab und an traf man ihn bei Jubiläumsveranstaltungen seines Ex-Arbeitgebers, dem er nach eigenen Angaben noch immer die Daumen drückt, doch als er hörte, dass ein Buch über ihn in Planung sei, drohte Knowles dem Autor mit Klage.

Viele Fans fragten sich damals wie heute, warum der Stürmer seine hoffnungsvolle Karriere für ein Leben im Dienste des christlichen Glaubens aufgab. Knowles selbst gab einmal an, er hätte bereits kurz nach seiner bombastischen Hochzeit 1968 erste Zweifel an seinem Leben als Fußballstar bekommen. Er war mit seiner Existenz als selbstsicherer Stürmer unzufrieden. Außerdem hatte er alte Wunden nie aufgearbeitet: Peter hatte als Elfjähriger seinen Vater verloren, als dieser im Alter von nur 46 Jahren plötzlich gestorben war. Wenige Wochen später starb seine Schwester, die noch ein Baby war. Einige Jahre danach erlag eine weitere Schwester einer Lungenentzündung. „Wir haben zuhause nie über Gott geredet; uns nie gefragt, warum sie so jung sterben mussten.“, erinnert sich der ehemalige Profi. Zwei wildfremde Menschen, jene beiden Zeugen Jehovas, die im Sommer 1968 vor seiner Haustür standen, sprachen ihn jedoch auf diese Todesfälle an und regten ihn so an nach Sinn und Zweck seines Lebens zu fragen. Für Peter Knowles war die Antwort klar: Ball weg, Bibel her.

Marie Samstag, abseits.at

Stefan Karger