Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im... Men to (re)watch (46) –  Harry Maguire (KW 46)

Jeden Sonntag wollen wir in dieser Serie Spieler beleuchten, die ungewöhnliche Wege eingeschlagen haben. Wir möchten Geschichten von Sportlern erzählen, deren Karriere entweder im Konjunktiv stecken blieb, die sich zu einem gegebenen Zeitpunkt radikal verändert haben oder sonst außergewöhnlich waren und sind: Sei es, dass sie sich nach dem Fußball für ein völlig anderes Leben entschieden haben, schon während ihre Profizeit nicht dem gängigen Kickerklischee entsprachen oder aus unterschiedlichen Gründen ihr Potenzial nicht ausschöpften. Auf jeden Fall wollen wir über (Ex)-Fußballer reden, die es sich lohnt auf dem Radar zu haben oder diese (wieder) in den Fokus rücken. Wir analysieren die Umstände, stellen Fragen und regen zum Nachdenken an: In Folge 46 steht ein Spieler im Mittelpunkt, der aktuell viel Kritik einstecken muss…

„Ich glaube, Maguire geht jeden Tag nach Hause und erzählt seiner Frau: ‚Ich bin so scheiße im Fußball, aber ich verdiene so viel. Sie glauben wirklich, dass ich gut bin.‘“, wetterte Ex-Profi Rafael van der Vaart im Interview mit einem niederländischen TV-Sender gegen Man. United Kapitän Harry Maguire. Es war nicht das erste Mal, dass der ehemalige niederländische Teamspieler gegen den aktuellen englischen Nationalkicker austeilte. So behauptete Van der Vaart auch, er kenne genügend Amateure, die genauso gut wie der 29-jährige spielen würden und er könne deshalb nicht glauben, wieviel Ablöse der englische Rekordmeister für den Mann aus Sheffield ausgegeben habe. Tatsächlich sind Maguires Aussetzer seit einiger Zeit Grund für viele Fußballfans verächtliche Memes oder Videos zu erstellen. Der Innenverteidiger durchläuft aktuell wohl die schwierigste Phase seiner bisherigen Karriere.

Der 80 Millionen Pfund-Mann

Während Harry in der Premier League mit seinem Klubkollegen Cristiano Ronaldo unglücklich zusammenstieß und dieser Kopf-Crash sinnbildlich für die gehäuft auftretenden Fehler des Defensivspielers herangezogen wurde, waren seine Leistungen im Trikot der Three Lions bis in den Herbst noch ohne gröberen Lapsus. Doch seit dem Länderspiel gegen Deutschland im September 2022 haben die Kritiker des 29-jährigen einen Grund mehr über ihn herzuziehen: Harry holte Deutschlands Musiala beinahe „mustergültig“ von den Beinen und verursachte so einen Strafstoß, den jeder TV-Zuschauer als lupenrein bezeichnet hätte. Aktuell hat der Verteidiger in seinen Teams seinen jeweiligen Stammplatz verloren, doch ist Maguire wirklich so schlecht, wie viele vermeinen?

Seine Karriere startete der Innenverteidiger in seiner Heimatstadt Sheffield, wo er am 5. März 1993 geboren wurde. Für Sheffield United schnürte Harry auch seine ersten Schuhe als Profi, wobei er damals noch als Mittelfeldspieler agierte. Seine Wurzeln im zentralen Mittelfeld zeigen sich noch heute, wenn er sich zu Vorstößen, die für Innenverteidiger sonst eher unüblich sind, anschickt. Maguires Zukunft schien schon als Junger vielversprechend, so wurde er dreimal in Folge zum Spieler der Saison seines Klubs gewählt. Über Hull und Wigan kam Harry schließlich 2017 zu Leicester City; wo er seine Leadershipqualitäten entdeckte: Er grätschte alles weg, war kopfballstark und Dreh- und Angelpunkt der Defensive des englischen Meisters von 2016. Seine langen Pässe machten ihn zudem zu einer gefährlichen Waffe für das Angriffsspiel der Füchse.

In der Folge duellierten sich beide in Manchester ansässigen PL-Klubs um eine Verpflichtung des damals 26-jährigen. Der Mann mit den markanten Gesichtszügen wechselte schließlich 2019 für die Rekordsumme von ca. 80 Millionen Pfund zu United, wobei er zum teuersten Verteidiger der Welt avancierte. Mit seinen Maßen – 1,94 Meter und 100 Kilo – galt Harry als echtes Ass neben Phil Jones und Experten überschlugen sich mit Lob: Der Nationalspieler sei stark in der Luft, schalte und walte auf dem ganzen Platz. Bereits nach sechs Monaten wurde der Vater zweier Töchter zum Kapitän des prestigeträchtigen Vereins ernannt.

Ab der Saison 2020/21 konnte man jedoch „Best of worse“-Videos aus seinen Leistungen zusammenschneiden. Seine fehlende Schnelligkeit und Dynamik wurde von vielen Gegnern ausgenutzt, außerdem schlichen sich regelmäßig Unaufmerksamkeiten in Harrys Defensivarbeit ein, die im knallharten Profifußball unverzeihlich sind. Zwar sind Maguires Werte im Luftzweikampf bis heute hervorragend und seine Foulquote gering, insgesamt hat man sich vom 80 Millionen Pfund-Mann aber mehr erwartet.

Zwischenfall im Sommerurlaub

Manche erklären Maguires radikalen Leistungsabfall mit jenem seelischen Knacks, den sich der Fußballer beim Urlaub in Griechenland im Sommer 2020 zugezogen hat. Stockend musste Harry im TV zugeben: „Das wünsche ich niemanden.“ Er erzählte von jenem verhängnisvollen Abend, der damit begonnen hatte, dass er und seine Schwester von zwei fremden Männern angesprochen worden waren. Dann sei es schnell gegangen: „Ich dachte, wir würden gekidnappt. Wir sind auf die Knie gegangen und sie haben begonnen uns zu schlagen. Sie haben mich auf die Beine geschlagen und gesagt, dass meine Karriere vorbei ist: ‚Kein Fußball mehr!‘ In diesem Moment wusste ich, dass sie keine Polizisten waren. Ich hatte Angst um mein Leben und versuchte wegzulaufen.“ Zwei Tage lang wurde Maguire daraufhin in einem griechischen Gefängnis angehalten, während sich seine Kollegen – auf dem Erdball verstreut – in der Sonne aalten oder lang entbehrte Cocktails schlürften. Letztendlich verurteilte ihn ein griechisches Gericht wegen aggressiven Verhaltens, Widerstand gegen die Staatsgewalt und versuchter Bestechung zu einer Bewährungsstrafe.

Viele meinen, dieser Zwischenfall habe den Kicker nachhaltig verändert, denn in der folgenden Saison ließ sich die Nummer 5 der Red Devils zu Fehlpässen hinreißen oder rutschte häufig daneben. Nur in der Nationalmannschaft funktionierte der gebürtige Sheffielder noch, so spielte er eine sehr gute EM 2021, wurde Vize-Europameister und ins All-Star-Team des Turniers gewählt.

Sein einstiger Hull-Teamkollege Elmohamady hat eine andere Erklärung dafür, dass Maguire von Fans angefeindet und ausgepfiffen wird. Der Ägypter meint, die Rolle des Kapitäns sei zu viel für Maguire. Außerdem habe dieser „nicht die Fähigkeiten für den größten Klub der englischen Fußballgeschichte zu spielen.“ Maguires Fehlerquote führte schließlich dazu, dass Trainer ten Hag nach einer 0:4-Pleite gegen Brentford die Konsequenzen zog und Harry auf die Ersatzbank verbannte. Maguire will nicht so einfach aufgeben: „Ich möchte mich nicht daran gewöhnen. Ich muss im Training hart arbeiten und dann meine Chance ergreifen.“ Doch der Gegenwind wird stärker. Mittlerweile ist es ein richtiger Orkan, der dem Man. United-Kapitän entgegenbläst. „Zu oft sieht es so aus, als laste das Gewicht der Welt auf seinen Schultern, als sei er eher ein aufgeregter Hase als der verlässliche Innenverteidiger, der er einmal war.“, urteilte etwa Jamie Carragher.

Manche sehen in Harry Maguire einen Durchschnittsspieler, der nur bei einem Mittelständer gut funktioniert. Aufgrund seines Körperbaus wirkt er behäbig, muss fehlende Schnelligkeit durch Stellungsspiel ausgleichen. Lieblingsfeind Van der Vaart fragte einst live im TV ungläubig bei Jamie Redknapp nach: „Sagtest du wirklich, er hat eine gute Technik?“ Für den Niederländer und viele andere ist klar, dass Maguire weder das Zeug zum Manchester United-Kapitän noch zur Premier League-Stammkraft hat. Die Stimmung ist längst gekippt, das merkt man auch daran, dass der Profi im Frühsommer 2022 aufgrund einer Bombendrohung Besuch von der Polizei hatte. In Momenten wie diesen darf man jedoch nicht vergessen: Maguire ist ein Mensch, er hat kein Preisschild umgehängt. Letztendlich ist Fußball ein Spiel, kein Kampf auf Leben und Tod. Vielleicht wird das in der ein oder anderen hitzigen Diskussion über die Qualitäten des Defensivspielers vergessen.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag