Merry Matchdays – Eine Wintergeschichte
England 6.Januar.2018 Paul Stelzhammer 0
Paul Stelzhammer verbrachte die Zeit rund um Silvester auf der Insel und sah sich dabei gleich vier Partien an, von denen er uns in diesem Artikel berichtet.
Late Turnstile – Wigan Athletic : Charlton Athletic 0:0 – 29.12.2017
Raus aus dem Auto eilen wir Richtung Stadion, der Halbzeitpfiff könnte jeden Moment ertönen, doch wie lange nach Anpfiff gibt es eigentlich die Möglichkeit dort rein zu kommen? Durch die Flugverspätung ergibt sich eine ganz neue Erfahrung für uns, nämlich das Late Turnstile zu nutzen. Ein Ordern winkt uns rein, verkauft uns direkt in den engen Eingangstoren die Tickets und wir finden uns im Auswärtssektor wieder. Gut, dass das Drittligaspiel zwar zahlreich besucht ist, im großen Stadion aber locker dreimal so viele Leute reinpassen. Somit herrscht freie Platzwahl auf der Tribüne.
„Will Grigg‘s on fire“ – immer und überall, nur treffen tut er an diesem Abend nicht. Das Gefühl ist sehr authentisch, sich diesen unterklassigen Kick bei Wind und Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt zu geben. Man muss entweder den Sport und sein Team wirklich mögen oder Fußballromantiker sein. Wir fühlen uns wohl. Die vier Tribünen sind aus einem Guss im gleichen Stil, aber die Ecken nicht geschlossen und somit ist es durchaus windig und ungemütlich, die grauslig ausgewaschenen Sitze auf den nicht belegten Plätzen sind deutlich sichtbar.
Theatre of Dreams – Manchester United : Southampton FC 0:0 – 30.12.2017
Zlatan Ibrahimovic wird bei Aufwärmen nicht gesichtet oder dieser ist vom hohen Oberrang einfach nicht zu erkennen. Wie bei den Top-Clubs üblich ist es zu einem vernünftigen Preis nicht möglich Karten näher am Spielfeld zu bekommen.
Nett auch die Begegnung während der obligatorischen Stadionjause bei Burger, Fish and Chips und Hot Dogs. Mit seinen beiden Enkeln unterwegs, erzählt deren Großvater, Dauerkartenbesitzer, dass sie die staubedingte fünfstündige Anreise aus der Londoner Gegend in Kauf genommen haben nur damit der der jüngste Red Devil (5) das erste Mal ohne seine Mutter ins Stadion kommt.
Der Gegensatz zum Vortag ist krass, dass Event gleicht einem modernen Gladiatorenkampf, welcher die Massen bewegt. Es stellt sich die Frage was der vielleicht bekannteste Fußballverein der Welt für eine Motivation bietet diesen zu supporten. Eine Brassband vorm Stadion verbreitet Volksfeststimmung, der Megastore riesig und überfüllt. Aber der DJ im Stadion schafft es nicht Stimmung aufzubauen. Der Sport lebt vom Spielverlauf, kann seine eigenen Geschichten schreiben.
Die Sun sollte nach der torlosen Partie und vier Unentschieden in Folge am nächsten Tag „Jose Drawinho“ titulieren, in Anlehnung an ihren Trainer. Nach dem Spiel wird Zlatan beim Spielerausgang, aus sicherer Entfernung hinter den großräumig angelegten Absperrgittern unter Aufsicht von einer Vielzahl an Stewards, beobachtet, wie er unmotiviert aus dem Stadion schlendert. Er war nicht im Kader. Ashley Young und Victor Lindeloef machen sich die Mühe, gehen die Runde und nehmen sich die Zeit jeden einzelnen Autogrammwunsch zu erfüllen.
Top of the League – West Bromwich Albion : Arsenal FC 1:1 – 31.12.2017
West Bromwich ist ganz oben zu finden, nicht in der Tabelle, sondern über dem Meeresspiegel. Im höchstgelegenen Stadion der Premier League ist es nach 215 torlosen Minuten unseres Ausfluges endlich soweit. Unser Tor Fluch ist gebrochen, Alexis Sanchez verwandelt einen Freistoß direkt zum 1:0. Wir sitzen in der ersten Reihe auf Höhe der Eckfahne und unser Kopf ragt gerade noch so über die Werbebanden. Die Arsenal-Spieler laufen auf uns zu um den Torjubel zu zelebrieren, mitbekommen tun wir das aber nicht wirklich. Einen Sitz hinter uns hat ein Zuschauer eine unpassende Geste gemacht und wurde von Ordner umzingelt und nun aus dem Stadion begleitet. Seine Familie folgt ihm, sehr skurril das Ganze.
Der Ausgleich kurz darauf ist für den zu diesem Zeitpunkt Tabellenletzten verdient. Die Partie ist ausgeglichen und auch West Brom schafft es die Aktionen zu Ende zu spielen. Auch durch den Spielverlauf bedingt ist die Stimmung ausgezeichnet und das Stadion darf als Schmuckkästchen bezeichnet werden. Die Sitze und Fassaden glänzen im schönen dunkelblau und auch sonst ist der saubere Bau im englischen Stil und viel Wellblech ohne Makel. Erwähnenswert ist auch, dass die stimmungsvollen Auswärts – und Heimfans sich eine Hintertortribüne teilen und nur durch eine Menschenkette aus Stewards, wie die Ordner genannt werden, getrennt sind. Dass Arsene Wenger mit seinem 811. Manager Einsatz Sir Alex Ferguson in dieser Statistik überholt bleibt nur eine Randnotiz.
Nice weather for ducks – FC Burnley : Liverpool FC 1:2 – 01.01.2018
Man sagt es gibt zwei Wetterberichte im Norden in Burnley: „Regen oder fast Regen“. Die Szenerie rund um die hügelige Stadt ergibt sich epochal und der Weg zum Stadion, welches schon vom Bahnhof in Sichtweite erscheint, ergibt sich spektakulär. Ein mittelalterlicher Legendenfilm könnte sich hier abspielen.
Beim Warten auf den Liverpooler Mannschaftsbus geht der erste Schauer nieder, doch das Warten macht sich bezahlt. Der komplette Kader inklusive Trainerteam marschiert neben der Absperrung zum Spielereingang.
In der ersten Reihe der Tribüne steht das Wasser unter den Füßen, auch richtig bewegen kann man sich nicht. Der Regen wird stärker. Das Dach dient nur zur Dekoration, da der Wind die Feuchtigkeit verbläst. Wenn man körperlich so dem Freiluftsport involviert ist, baut dies als Trotzreaktion eine neue Verbundenheit zum Spiel auf. In der Halbzeit strömen die durchnässten Zuschauer in den Stadioninnenraum, sind aber pünktlich zum Anpfiff der zweiten Halbzeit wieder auf den Rängen zu finden.
Zur Stärkung dienen die traditionellen Pasteten, oder „Pies“ wie sie hier genannt werden. Sie schmecken besser als anderswo und es gibt mehrere verschiedene Geschmacksrichtungen, von Steak über Fleisch und Leber, bis hin zu vegetarischen Varianten. Der Tee kommt selbstverständlich direkt mit Milch.
Die Euphorie des unerwartet Tabellensiebten ist deutlich zu spüren, eine Begegnung auf Augenhöhe. In der Schlussphase überschlagen sich die Ereignisse. Nach dem Ausgleich des Heimteams ist die Stimmung am Siedepunkt, jedoch zeigt Liverpool Klasse und schafft die erneute Führung Sekunden vor dem Schlusspfiff.
Mehr Spiegelbild der Gesellschaft als nur Zeitvertreib
Warum sympathisiert man mit einem Team? Dies kann man auf zwei Varianten reduzieren: Entweder das lokale Team zu unterstützen wegen dem Bezug durch die geographische Nähe. Oder die Faszination entwickelt sich durch die Komfortzone Erfolg, transportiert durch die Medien. Ein Spiel objektiv zu betrachten und den Besseren den Sieg zu wünschen ist eine seltene Motivation, jedoch fällt es im Stadion leicht sich der Masse der Heimfans anzuschließen und sich dem Jubel hinzugeben.
Die Mechanismen der Fans sind oft dieselben, jeder hat seine besonderen Lieblinge, interessanter Weise sind die nächsten Nachbarn oft die größten Konkurrenten. So skandieren die Arsena- Fans gerne gegen den zweiten Verein aus Nord London „We ain’t Tottenham“. Manchester United ist besonders gegen die Scouser aus Liverpool emotional: „Could be worse, could be scouse!“.
Objektiver betrachtet und weniger individuell gefühlt, gibt es (nicht nur im Fußball) revolutionäre Änderungen wird dies überall schnell nachgezogen und übernommen. Lieder haben dieselbe Melodie, im Fanshop gibt dieselben Dinge in verschiedenen Farben zu kaufen.
Doch spielt sich das Ganze auf einer emotionaleren Ebene ab, die sich mit einer Welt voller Pläne nicht vergleichen lässt. Die Komplexität eines Mannschaftsgefüges verursacht eine Unberechenbarkeit im Ausgang, welche die große Faszination ausmacht. Wenn man sich dem hingibt, ist man befangen. Und am Ende bleibt oft die Genugtuung eines Commitments und besser zu sein als andere, oder zumindest das gegebene Potential bestmöglich ausgeschöpft zu haben.
Es folgen Impressionen dieser Reise. Alle Bilder lassen sich per Klick vergrößern.
Paul Stelzhammer, abseits.at
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Paul Stelzhammer
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