Mourinho statt Guardiola: Die ungewisse Frage nach der Philosophie des FC Chelsea
England 22.Juli.2013 Leonard Dung 7
Im Mai 2012 triumphierte der Chelsea FC in der UEFA Champions League und realisierte damit den Traum des Eigentümers Roman Abrahmovic. Dieser Erfolg markierte aber nicht den Beginn einer Ära, sondern ihr Ende. Nun sucht der Club nach seiner spielerischen Identität.
Es stand nie zur Debatte, dass man den Spielstil, der zum CL-Sieg führte, so nicht fortführen durfte. Zu unübersehbar war, welche Rolle Glück bei diesem Erfolg spielte. Im Finale schoss Bayern über 40-mal aufs Tor, dennoch trafen sie nur ein Mal. Hingegen nutzten die Blues die erste Torchance nach ihrer ersten Ecke der Partie. Auch im Halbfinale hatten sie bereits mit exzellenter Chancenverwertung geglänzt.
Mit der Verbesserung des Spielstils beauftragte Abramovich Roberto di Matteo. Abramovich spekulierte allerdings schon darauf, dass er für die nächste Saison Pep Guardiola verpflichten könnte, weshalb er den Kader auf seine Vorstellungen ausrichtete. Der Club akquirierte mit Kevin De Bruyne, Lucas Piazon, Eden Hazard und Oscar junge, kreative, bewegliche und technisch starke offensive Mittelfeldspieler. Mit Juan Mata und dem schnellen sowie technisch versierten Innenverteidiger David Luiz verfügte die Mannschaft schon über zwei Spieler, die für Guardiolas Vorstellung prädestiniert wären.
Die Saison verlief zwar nicht miserabel, jedoch nicht überzeugend genug, um Di Matteos Amt zu sichern. Er setzte häufig auf Hazard, Oscar und Mata in der offensiven Dreierreihe, was attraktiven Kombinationsfußball bis zu einem gewissen Grad garantierte. Die Probleme lagen vor allem daran, dass die spielfreudige Offensivreihe manchmal nicht genug Zug zum Tor in Form von Läufen durch die Schnittstellen entwickelte, Chelsea kein funktionierendes Gegenpressing praktizierte (was z.B. gegen Atletico Madrid bei der 1:4-Schlappe im europäischen Supercup evident war) und Hazard und Mata nicht immer konsequent defensiv arbeiteten. Letzteres war beispielsweise bei der 2:3-Niederlage gegen Manchester United ein entscheidender Faktor, als Ashley Cole Rafael und Valencia nicht aufhalten konnte, da Hazard ihn nicht unterstützte.
In der Hoffnung auf Besserung entließ Abramovich Di Matteo nach der Pleite gegen Juventus und dem damit verbundenen Ausscheiden aus der Champions League. Rafael Benitez übernahm seinen Platz. Er ließ die Mannschaft etwas rigider agieren. Die freien Pärchenbildungen zwischen der Offensivreihe schränkte er ein, indem er einen Spieler instruierte, sich positionstreuer zu verhalten oder direkt den disziplinierteren Moses aufbot. Mehr Siege errang er damit nicht. Chelsea qualifizierte sich für die Champions League, was jedoch vermutlich auch mit Di Matteo gelungen wäre. Im FA Cup scheiterten sie an Manchester City. Die destruktive Einstellung, die Chelsea am Beginn Benitez‘ Amtszeit an den Tag legte, gab er sukzessive wieder auf, sodass sie höher verteidigten. Im Finale der Europa League errangen die Blues gegen Benfica Lissabon dennoch einen Titel. Defensiv standen sie stabiler als ein Jahr zuvor in München, zudem entfachten ihre langen Pässe mehr Gefahr. Trotzdem offenbarte sich erneut, dass sie in taktischer Hinsicht zu limitiert waren. Sie fanden weder gegen den variablen Spielaufbau noch gegen das hohe Pressing der Portugiesen spielerische Mittel.
Der erklärte Wunschtrainer Pep Guardiola hatte derweil bei Bayern München unterschrieben. Auf der Suche nach einer Alternative wurde man schnell fündig und bemühte sich erfolgreich um den ehemaligen Coach Jose Mourinho.
Diese Konstellation ist ziemlich brisant, da Mourinho sich als Madrid-Trainer als Guardiolas Nemesis inszenierte. Er attackierte ihn und den FC Barcelona permanent über die Presse, um Unruhe zu stiften. Doch Mourinhos Real war auch fußballerisch die Antithese zu Barcelona. Die Katalanen vertrauten auf ruhiges, ballbesitzorientiertes Kurzpassspiel durchs Zentrum, Real konterte mit direktem Spiel über die Flügel. Barca verkörperte die Idee des totalen Fußballs, dass jeder Spieler alles können müsse, während Real um Cristiano Ronaldo sich durch eine klarere Arbeitsteilung auszeichnete.
Daher wirft es Fragen nach Chelseas Konzept auf, wenn sie als Alternative zu Guardiola den komplett gegensätzlichen Mourinho präsentieren. Dass er nun einen Kader, der für Ballbesitzfußball wie geschaffen ist, anführt, zwingt ihn womöglich dazu, seine typische Spielweise umzustellen. Als er Chelsea zum ersten Mal trainierte, forcierte er ein sehr physisches Spiel mit drei kampfstarken Mittelfeldspielern, schnellen Außen und Didier Drogba als Sturmtank. Bei Inter Mailand und Real Madrid entschied er sich für schnellen Umschaltfußball mit Wesley Sneijder bzw. Mesut Özil als kreative Spieler im Zentrum. Im Kader Chelseas tummeln sich mit Hazard, Mata, Oscar und de Bruyne hingegen vier tolle Kreativspieler. Natürlich könnte er einen davon im Zentrum postieren und die anderen anweisen, klassische Außen zu mimen oder direkt Schürrle, Moses oder Ramires dort einsetzen. Aber damit würde er das Potential seiner Auswahl verschwenden. Stattdessen sollte er die freie Fluidität innerhalb einer gewissen Ordnung fördern, damit sich ihr Potential entfaltet.
David Luiz und Ivanovic sind durch ihre Schnelligkeit und Qualität im Aufbau ideale Innenverteidiger für eine aggressiv pressende Ballbesitzmannschaft. Azpilicueta und Cole erfüllen die Anforderungen als Außenverteidiger. Nur im zentralen Mittelfeld mangelt es noch an einem tiefen Spielgestalter à la Luka Modric. Eventuell könnte der junge Holländer van Ginkel in diese Rolle wachsen. Er verfügt über die grundlegenden Fähigkeiten in puncto Passsicherheit, Ballbeherrschung und defensive Antizipation, benötigt aber wahrscheinlich noch Zeit. Eine andere Idee wäre eine 4-1-2-3 -Formation, in der Oscar und de Bruyne die Halbpositionen bekleiden. Sie könnten abwechselnd nach vorne stoßen und ihre Stärke in engen Räumen ausspielen und würden sich ihre defensiven Aufgaben teilen. Zudem hätten sie kürzere Wege zum Flügel, um dort Breite zu offerieren, während Mata und Hazard ins Zentrum ziehen. Absichern würde sie vermutlich Obi Mikel. Außerdem könnte Wayne Rooney als mitspielender Angreifer fungieren, der sich situativ fallen lässt, um seine Kollegen in Szene zu setzen. Mit Lukaku, Torres und Ba gibt es jedoch auch andere Kandidaten dafür, Rooney wäre allerdings technisch allen überlegen.
Mit diesem Spielermaterial könnte man eine der drei besten Mannschaften der Welt kreieren. Allerdings widerspricht die Idee des extrem ballbesitzorientierten und kurzpassbetonten Spiels, die sich durch diese Akteure aufdrängt, fundamental allem, was Jose Mourinho bisher seine Mannschaften lehrte. Ob diese Verpflichtung als Erfolg in Erinnerung bleiben wird, hängt also davon ab, ob er eine Taktik entwickeln und vermitteln kann, die zu diesem Team passt. Es hängt davon ab, ob er sich auf Bewährtes besinnt oder den Mut aufbringt, sich selbst neu zu erfinden. Seine Flexibilität ist mehr denn je gefordert.
Leonard Dung, abseits.at
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