Reality Check: Warum der FC Liverpool optimistisch in den Dezember gehen kann
England 6.Dezember.2017 Werner Sonnleitner 0
Vor einiger Zeit haben wir in Berichten zum FC Liverpool bereits die Baustellen und die fehlende Flexibilität dessen so beliebten Übungsleiters Jürgen Klopp analysiert und kritisiert. Nun hat mit dem Dezember ein intensiver wie richtungsweisender Monat begonnen. Die Fans der „Reds“ dürfen durchaus positiv wie optimistisch in die (vor)weihnachtliche Zeit gehen. Dafür gibt es berechtigte Gründe, die haben wir hier umfangreich zusammengetragen.
Ein machbarer Spielplan
Was in erster Linie den Reds-Fan gleich positiv stimmen sollte, ist der Blick in den Kalender. Wartet doch im Dezember zwar kein einfacher, aber ein durchwegs machbarer Spielplan. Heute muss mit einem Remis gegen Spartak Moskau in der Champions League der Pflicht-Aufstieg fixiert werden. Idealerweise per Sieg – weil dann als Gruppenerster im Achtelfinale ein vermeintlich einfacherer Gegner warten würde. Ein überraschendes Out – von dem wir jetzt nicht ausgehen – wäre natürlich ein Nackenschlag, der die Pro-Argumente der folgenden Absätze massiv torpedieren würde.
In der Meisterschaft geht’s nach fünf Siegen aus den letzten sechs Partien dann am Wochenende wieder weiter. Am Sonntag wartet das Merseyside-Derby gegen den zuletzt wiedererstarkten Rivalen aus der blauen Stadthälfte. Da spielt die Form hie wie dort ohnehin nur eine Nebenrolle. Im „Friendly-Derby“ geht – Taktik hin, aktuelle Formkurve her – wie so oft vieles über Emotion und Leidenschaft. Da behielten die „Roten“ zuletzt meist die Oberhand, die „Toffees“ warten schon seit Oktober 2010 auf einen Derbysieg.
Drei Tage später folgt dann schon ein Heimspiel gegen Alan Pardew’s neuen Klub West Bromwich Albion und dann steht der Trip nach Bournemouth am Programm. Statt wie kurzzeitig zwecks TV-Vermarktung angedacht am Nachmittag des Heiligabends, kann man nun doch am Freitag vor Weihnachten die Reise nach London zu Arsenal antreten. Da steigt der Kracher im Dezember-Spielplan der „Reds“. Von den nationalen Top-Teams sind die „Gunners“ einer der beliebteren Gegner für Jürgen Klopp, der mit Liverpool gegen Arsene Wenger noch nie verlor. Bis Jahreswechsel folgen dann in der Wohlfühloase Anfield Road noch zwei machbare Heimspiele gegen Swansea und Leicester. Mit einem Neujahrskonzert im Heavy-Metal-Modus möchte Jürgen Klopp dann 2018 einläuten, wenn es zu der Überraschungsmannschaft aus Burnley geht. Auf der dritten Hochzeit tanzt man zu Drei-König, wenn man im FA-Cup abermals den Stadtrivalen aus Everton gegenübersteht. Dann folgt bis Mitte Jänner die achttägige Pause zum Akku aufladen.
Doch gerade der Fan weiß nur zu gut, dass es sich die „Reds“ oft selber (unnötig) schwer machen und vermeintliche Pflichtsiege oft in einer bösen Überraschung enden. Spiele gegen defensiv ausgerichtete „Midtable-Teams“, in die Kategorie einige der oben genannten Gegner fallen, waren zuletzt oft eine Tortur. Doch in den nächsten Absätzen möchten wir ein paar Gründe anführen, die dem Liverpool-Supporter positiv stimmen sollten.
Mehr taktische Flexibilität
Beim überzeugenden 5:1-Erfolg in Brighton verwunderte Jürgen Klopp vor dem Spiel mit der taktischen Ausrichtung. Während beim Insert am TV so mancher „Liverpoolian“ im Pub noch einen Lapsus des Grafikers vermutete, stellte sich gleich nach Ankick die neuformierte Dreierkette als real aus. Neben dem gelernten Innenverteidiger Dejan Lovren komplettierten tatsächlich die Defensivallrounder Emre Can und Georginio Wijnaldum die Dreierkette. Ein taktischer Kniff, den selbst Reds-Insider so nicht am Zettel hatten. Der aber gerade gegen defensiv ausgerichtete, mauernde Tabellennachzügler durchaus Sinn macht. Da durch die beiden gelernten Mittelfeldspieler ein besserer Spielaufbau möglich ist, als mit einem Ragnar Klavan oder Joel Matip, der ohnehin verletzt ausfiel. Mit zwei flinken Außenspielern (Andrew Robertson und Trent Alexander-Arnold) wurde über die Flügel nach vorne zusätzlich Wirbel gemacht, die andererseits in der Rückwärtsbewegung die Vorteile der Fünferabwehr komplettieren.
Doch dieser Samstag-Nachmittag an der britischen Südküste mit dem überraschenden 3-4-2-1 war jetzt gar nicht mehr die große Ausnahme. Seit dem Debakel gegen Tottenham im Wembley adaptierte Jürgen Klopp vermehrt die taktische Ausrichtung, switchte gegnerangepasst durch die Systeme. Während bis dahin kaum differenzierte Ausrichtungsvarianten gewählt wurden. Abwechselnd im favorisierten 4-3-3 gegen Southampton, Sevilla oder Chelsea oder im 4-4-2 gegen Stoke, Maribor oder West Ham. Der vielkritisierten, taktischen Inflexibilität des Motivationsmonsters Jürgen Klopp wird dadurch langsam etwas Wind aus den Segeln genommen.
Personalrotation in der Offensive
Im Vorjahr verspielte der Vierte der Endtabelle ein besseres Resultat unter anderem auch durch müde Beine. Der Fokus war – vor allem in der Offensive – auf die üblichen Protagonisten reduziert, Wechsel folgten meist spät – wie auch in dieser Saison. Rotation war – vielleicht ob der nicht vorhandenen Mehrfachbelastung Europacup nicht so notwendig – eine glatte Fehlanzeige. Dies ist neuerdings zumindest anders! Seit dem bereits angesprochenen Knackpunkt bei Tottenham, wird auch personell mehr aber doch behutsam rotiert. Während bis dorthin acht Stammspieler in mehr als 75 % der Pflichtspiele starteten, standen seitdem nur mehr fünf Spieler vergleichbar oft in der Anfangself. Gleich 15 unterschiedliche Spieler liefen in der Folge bei mindestens der Hälfte der Partien ein. Wobei dies allesamt wichtige Spiele in der Meisterschaft wie Champions League waren.
Vor allem in der Offensive versprüht man durch die zahlreichen Personal-Alternativen so etwas wie Unberechenbarkeit. Auf der Neuner Position ist man mit Roberto Firmino bzw. Daniel Sturridge oder Dominic Solanke als Back-Up prominent aufgestellt. Tempo machen über die Seiten bevorzugt Sadio Mané und Mohamed Salah, mit Alex Oxlade-Chamberlain verfügt man auch über eine fitte Alternative. Dazu ist mit Adam Lallana auch der Aufsteiger der ersten Saisonhälfte 2016/17 bald wieder voll an Bord.
Dahinter zieht ein wiedererstarkter Philippe Coutinho die Fäden, der als ziemlich einziger nicht so einfach ersetzt werden kann. Dem kleinen Zauberer vom Zuckerhut wird von James Milner, Jordan Henderson, Emre Can oder Georginio Wijnaldum der Rücken freigehalten und die Defensivarbeit abgenommen. Außen machen aus den Defensivpositionen Alberto Moreno bzw. vielleicht auch vermehrt Andrew Robertson über links und Trent Alexander-Arnold über rechts offensiven Druck – Aushilfsweise auch Joe Gomez. Der Stammrechtsverteidiger Nathaniel Clyne soll dann irgendwann im neuen Jahr den Konkurrenzkampf weiter anheizen.
Gestützt werden diese Thesen auch durch Fakten. In Anlehnung an die berühmtesten Söhne der musikalischen Industriestadt, weisen die kickenden „Fab-Four“ eine beeindruckende Statistik auf: Mohamed Salah hält in allen Bewerbspielen bei schon 17 Toren und 5 Assists, Roberto Firmino bei 11/5, der alte wie neue – zumindest bis zum nächsten Fernweh Richtung Barcelona – Fanliebling Philipe Coutinho bei 6/7 und der Star der Vorsaison Sadio Mané netzte heuer fünfmal und bereitete ebenso oft einen Treffer vor.
Langsame Weiterentwicklung in der Defensive
Aber auch in der Defensive ist ein mehr an Flexibilität möglich, wenn auch auf ungleich niedrigeren Niveau. Die Sechser sind zurzeit etwas bieder, Team-Captain Jordan Henderson sucht seine Form. Emre Can kann wenn er will großes leisten, ist aber auch für Total-Ausfälle bekannt. Einzig Wijnaldum und wenn benötigt Milner bringen meist unspektakuläre, aber effiziente wie konstante Leistungen. Im Zentrum der Abwehrkette fällt Joel Matip bis Neujahr aus, Dejan Lovren hat sich nach dem Horror-Nachmittag im Wembley gegen Tottenham wieder etwas konstituiert. Mit dem aufstrebenden Joe Gomez bzw. den verlässlichen, aber doch vielleicht manchmal etwas überforderten Ragnar Klavan gibt es Alternativen.
Im Tor zeigte Simon Mignolet zuletzt akzeptable und konstante Leistungen. Der Champions-League Goalie Loris Karius ist die Nummer zwei. Warum aber Huddersfields Aufstiegsheld und Wales-Ersatzkeeper Danny Ward bislang gar keine Rolle in Klopps Plänen spielt, bleibt für externe Beobachter ein Fragezeichen.
Noch einmal zurück zu den heutzutage so wichtigen Außenverteidigern, die offensiv durchaus für Akzente sorgen. Defensiv hat sich der wieder erstarkte Alberto Moreno stabilisiert, abgesehen des Totalausfalls gegen Sevilla in Halbzeit zwei. Spielt Joe Gomez rechts, ist auch hinten meist alles dicht, wenngleich da auch die offensiven Akzente etwas bescheidener ausfallen. Mit Alexander-Arnold wäre es dann eher umgekehrt.
Der „Staff“ und die Festung Anfield
Soweit also zum „grünen Rasen“ – dort wo schlussendlich die Wahrheit liegt und wo der FC Liverpool zurzeit gerade ganz gut aufgestellt ist. Auch abseits davon, belehrt Jürgen Klopp langsam aber doch seine Kritiker mit mehr taktischer Flexibilität und Rotation eines Besseren. Dazu dürfte auch die medizinische Abteilung bzw. die Trainingssteuerung Fortschritte machen. Nach den vielen Muskelverletzungen in Klopp’s Anfangszeit, haben sich Fitness- und Belastungslevel zuletzt scheinbar entsprechend angeglichen. Bei Verletzungen resultierend aus Überbelastung sind die „Reds“ bislang wieder aus den Schlagzeilen verschwunden, wobei die kritische Zeit wohl erst bevorsteht. Die hart kritisierte Scouting-Abteilung – weil nicht fähig die offensichtlichen Defensivprobleme am Transfermarkt zu lösen – hat im Nachhinein mit dem so nicht erwarteten Einschlagen des Mohamed Salahs wieder etwas an Kredit gewonnen. Wenngleich die Transfermarkt-Aktivität summa summarum weiterhin noch schwer ausbaufähig bleibt.
Mit Peter Krawietz hat es das „Eye“ dieser Tage vom Backoffice in die Schlagzeilen geschafft. Klopp’s „Analysator“ aus Mainzer und Dortmunder Zeiten hat wie so vieles auch das Freistoß-Verhalten der Mauer von Brighton and Hove Albion durchleuchtet. Mit dem Ergebnis, dass die Mauer ganz besonders gerne hoch springt. Mit diesem Hintergrund-Wissen platzierte Philippe Coutinho seinen Freistoß frech unter den Stollen der verdutzten Mauer flach ins Eck – wie sein Landsmann Ronaldinho 2006. Heißt zusammengefasst: Auch die Hausaufgaben abseits des rollenden Balles werden um Anfield gemacht, aus den begangenen Fehlern inklusiver konstruktiver Kritik sind nun durchaus Fortschritte erkennbar.
Da wären wir schon beim Stichwort. Die Festung „Anfield Road“ ist seit der Bestellung des Deutschen wieder richtig „on fire“, vor allem bei Flutlicht. Der berüchtigte „Roar“ sorgt wieder für den in den vergangenen Jahren etwas vergilbten Heimvorteil. Dort ist man durchaus souverän unterwegs, verlor zuletzt im April. Wenngleich es gegen die Liga-Krösusse von Manchester United und Chelsea „nur“ Punkteteilungen gab, so werden die Pflichtaufgaben gegen den Bus geparkten Gästen doch schon deutlich besser abgewickelt, als noch in den Vorsaisonen.
Geht der Trend der letzten Spiele so weiter, bleibt der FC Liverpool auch in den nächsten Wochen im Kampf um die begehrten Champions League Plätze voll auf Kurs. Vor allem im dichten Dezember-Programm kann sich zwar selten eine Vorentscheidung, aber doch ein Trend herauskristallisieren. Und vor allem ein nicht vernachlässigbarer mentaler wie punktetechnischer Bonus für die schwierigen Aufgaben in der zweiten Saisonhälfte im neuen Jahr lukrieren. Denn nach der Pause wartet mit Manchester City Mitte Jänner schon ein ganz schwerer Brocken auf die Mannschaft von Jürgen Klopp.
Werner Sonnleitner, abseits.at
Werner Sonnleitner
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