Der FC Liverpool: Vom gefürchteten Titelkandidaten zum gern gesehenen Punktelieferanten innerhalb weniger Wochen. Im Jänner – der Zeit wo früher die Klopp-Schützlinge in Mainz oder Dortmund für gewöhnlich die Akkus aufluden – verspielte der FC Liverpool den besten Saisonstart seit Beginn der Premier-League-Geschichte. Dazu prolongieren zwei Cup-Outs die titellose Zeit im roten Teil der Stadt. Taktisch und leistungstechnisch präsentierte man sich gegen defensiv ausgerichtete Teams durchwegs enttäuschend. Der Trainer hat zweifelsohne an der Anfield Road viel bewegt. Doch nun steht er erstmals seit seiner Ankunft an der Merseyside in der Kritik. Was läuft schief und vor allem: warum?
Die nackten Fakten
Mit einer Kraftleistung wurde am Silvesterabend ein zufriedenstellendes Jahr 2016 an der Anfield Road gebührend beschlossen: Da wurde Manchester City mit 1:0 nieder gerungen und somit der Titelkampf offen gehalten. Das neue Jahr dagegen ist bislang ein einziger Horror für die Reds! Nur ein einziger Sieg konnte aus zehn Spielen errungen werden, ein glückliches 1:0 beim Viertligisten Plymouth Argyle im Wiederholungsspiel des FA-Cups. Mickrige sechs Tore wurden in diesen Partien erzielt, dabei 13 kassiert und nur zwei Mal „zu null“ (beide Male gegen Plymouth) gespielt. Beim Duell um den Finaleinzug setzte es zwei 0:1 Liga-Cup-Schlappen gegen Southampton. Im anderen Pokal, dem FA-Cup folgte eine Heimniederlage gegen Wolverhampton – inklusive eines Weimann-Tores, sein erster Treffer in einer Kampfmannschaft seit November 2015. In der Liga gab es eine Heimniederlage gegen das damalige Schlusslicht Swansea, dazu eine bei Hull und ein Remis bei Sunderland. Die positiven Nachrichten zum Schluss, gegen die großen, offensiver ausgerichteten Teams tut man sich weiterhin leichter: so steht ein 1:1 im Old Trafford und daheim gegen Chelsea zu Buche.
Offensiv kein Plan B gegen tiefstehende Gegner
Während die Angriffsmaschinerie der Reds im Herbst die Hintermannschaften regelrecht durcheinander wirbelte, geht jetzt scheinbar gar nichts mehr. Die gegnerischen Mannschaften stehen tief, überlassen oft ideenlosen Liverpoolern bis zu 25 Meter vor dem Tor den Ball, der gefühlte 30 Mal hin und her gepasst wird. Das Problem: Die Zuspiele verlaufen meist horizontal statt vertikal, oft in niedrigem und somit ungefährlichem Tempo. Dazu sehen die Zuschauer aufgrund der momentanen Verunsicherung viel sicherheitsbedingtes Alibi statt Risiko im Duell Eins-gegen-Eins. Im Zentrum fehlt die Kreativität und am Flügel das Tempo.
Die noch immer torgefährlichste Mannschaft der Premier League steckt in einer Offensivkrise. Sinnbildlich zwei Protagonisten: Daniel Sturridge ist zurzeit nur ein Schatten seiner selbst, dazu für das arbeitsintensive Pressingspiel einer Kloppschen Truppe ohnehin nur bedingt geeignet. Divock Origi ist dagegen bemüht, aber zurzeit formschwach und wirkt mit dem Tempofußball oft überfordert. So werden die Abwehrketten nun mehr selten auseinander gerissen, alles läuft zu behäbig ab, ohne der Geschwindigkeit und der Unberechenbarkeit die im Herbst die Liga so begeisterte. In so einem Fall wären Standards eine willkommene Alternative, doch die Reingaben von Coutinho oder Milner lassen die Fans – gefühlt – in vier von fünf Fällen verzweifeln.
Verteidigen gegen den FC Liverpool im Ballbesitz erfolgt dieser Tage immer nach derselben, einfachen aber erfolgsversprechenden Formel: Im Handballstil sieht sich der tiefstehende Gegner das Ballgeschiebe an, verschiebt diszipliniert engstehend die Defensive, ehe bei Ballgewinn schnell gekontert wird.
Die Defensive außer Form
Da wären wir schon bei der nächsten Schwachstelle: Der Hintermannschaft! Zuletzt wurde der langsamste Spieler im Kader – Lucas Leiva – gegen Hull als Innenverteidiger aufgeboten, mit dem Resultat im Konter beim 2:0 überlaufen zu werden. Dejan Lovren im Zentrum fällt immer wieder durch Unkonzentriertheiten auf, wie jene die das 0:1 gegen Swansea einleitete. Außen wäre die Konstante James Milner, der defensiv verlässlich seinen Dienst verrichtet, offensiv – nach 26 Einsätzen mit im Schnitt 84 Minuten am Feld – bereits ausgepowert wirkt. Ähnliches gilt auf der anderen Seite für den nicht voll fitten Nathaniel Clyne, der brav aber letztendlich ungefährlich die Seite beackert. Und während im Jänner ausgerechnet der viel kritisierte Torwart Simon Mignolet der einzige aus der Defensive konstant in Superform agierte, leistete sich der Belgier beim Führungstreffer von Hull am Samstag einen Lapsus. Dazu noch das alte Leiden: Die Schwäche gegnerische Standards nicht verteidigen zu können.
Akkus wirken leer – selbst jetzt noch kaum Rotation
Gegen tiefstehende Gegner wie Hull wäre statt Milner der schnellere, offensiv ausgerichtete Standard-Linksverteidiger Alberto Moreno eine Alternative gewesen. Statt Lucas hätte sich die wieder genesene Innenverteidiger-Hoffnung Joe Gomez angeboten. Auf der sechs hält Klopp am angeschlagenen Emre Can fest, der Wijnaldum vorgezogen wird. Personaltechnisch hat man bei Misserfolgen im Nachhinein immer die bessere Alternative parat.
Doch Fakt ist: Eine Rotation in den „wichtigen Spielen“ (Meisterschaft und Ligacup-Halbfinale) war bislang so gut wie nicht vorhanden. Was Klopp direkt angekreidet wird, hatte er doch schon drei Transferfenster Zeit den Kader zu verbreitern. Dazu wird auf die Youngsters der zweiten Linie – mit Ausnahme von Alexander Trent Arnold gegen Manchester – außer im FA-Cup bislang verzichtet. Zum Beginn der Negativserie musste sich der Deutsche dies schon anhören lassen, als gegen Sunderland nicht mal 44 Stunden nach dem intensiv geführten ManCity-Duell auf das gleiche, verständlicherweise saftlose Personal gesetzt wurde (außer dem verletzten Henderson). Dazu wird Klopp jetzt auch fehlendes In-Game-Coaching vorgeworfen. Strategie- oder Personaländerungen erfolgen oft selten und/oder zu spät. Trotz genügend Gründe für Umstellungen in den letzten Partien, wurde der Großteil der Spielerwechsel erst in der Schlussviertelstunde vollzogen. Generell: Wechsel vor der 70. Minute resultierten fast ausschließlich aus Verletzungen und der Runternahme von noch nicht vollkommen fitten Spielern, wie beispielsweise Coutinho.
Kein Plan B für Mane und weitere Personalsorgen
Der Topscorer Sadio Mane weilte im Pannen-Jänner großteils beim Afrikacup. Dies war keine unvorhersehbare Verletzung, sondern eine Tatsache, die seit seinem Transfer im Sommer bekannt war, aber scheinbar ausgeblendet wurde. Wiederum muss sich Klopp den mangelnden Plan B vorwerfen lassen, die Offensive wirkt ohne ihren Schnellsten und Gefährlichsten zahnlos. Mit Joel Matip fiel auch der Nummer eins Innenverteidiger aus. Zuerst verletzt, dann in einem Wickel weil der eigentlich bereits zurückgetretene Teamspieler der Nominierung für Kamerun beim Afrikacup nicht nachkam.
Dazu kamen Kapitän Jordan Henderson sowie Spielmacher Philipe Coutinho von Verletzungen zurück und müssen erst wieder zu alter Stärke zurück finden. Kein leichtes Unterfangen im Zentrum einer aktuell nicht funktionierenden Mannschaft. Und gerade diese Positionen im Mittelfeldherzen, die Denker und Lenker im Zentrum, die Taktgeber und Führungsspieler die ihre Mitspieler mitreißen fehlen zurzeit ganz besonders.
Wie geht es weiter
Am Samstag wartet mit Tottenham ein gern gesehenes Top-6-Team! Denn gegen die anderen „großen 5“ hat Klopp eine beeindruckende Bilanz in der Meisterschaft: 15 Spiele, dabei nur eine Niederlage!
Nach dem Spiel am Samstag stehen dann 16 (!) matchfreie Tage am Kalender. Im Vorjahr gab es in dieser Zeit einen kleinen Abstecher nach Teneriffa, der gerade heuer zum Kopf frei kriegen gut tun würde. Erst am 27. Februar geht’s dann nach Leicester – einem weiteren Krisenklub, den wir gestern ebenfalls analysieren haben. Mit Heimspielen gegen Arsenal und der schwächsten Auswärtsmannschaft Burnley muss der Turnaround gelingen, wollen die Reds nach dem Meistertitel, nun nicht auch noch die Champions-League-Plätze vorzeitig nicht aus den Augen verlieren.
Wie eingangs erwähnt, Jürgen Klopp hat in seiner Amtszeit in Liverpool schon viel bewegt und die Fans begeistert. Wie immer und überall im Leben, kommen irgendwann auch schwierige Phasen. Eine solche erlebt der FC Liverpool aktuell gerade und für Klopp geht es jetzt darum, das Ruder wieder herum zu reißen. Gerade in dieser komplizierten Zeit muss sich der Motivationskünstler beweisen und zeigen, dass er zurecht in einem Atemzug mit den größten seines Fachs genannt wird.
Werner Sonnleitner, abseits.at
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