Serge Gnabry: Stuttgarter Nachwuchsmann auf Abwegen
England 25.Januar.2014 Lennart Kühl 0
Der VfB Stuttgart beginnt die Bundesligarückrunde auf dem zehnten Rang. Als „best of the rest“ führen sie die Gruppe der Mannschaften, welche noch ernsthafterweise um den Ligaverbleib kämpfen, an. Bei ihnen schaffen immer wieder eigene Talente den Sprung in die Stammelf; neues Beispiel ist Timo Werner. Einen anderen Weg schlug der Offensivspieler Serge Gnabry ein. Er verließ die B-Jugend der Schwaben im Alter von 16 Jahren gen London, es verschlug ihn zum FC Arsenal. Dort spielt er in dieser Saison regelmäßig in der ersten Mannschaft, wird sogar zum Thema für Jogi Löws DFB-Elf.
Werdegang im Überblick
Zwischen Pforzheim und seinem Geburtsort Stuttgart trägt noch heute sein erster Verein seine Heimspiele aus. Der TSV Weissach ist in der Kreisliga A beheimatet, Serge Gnabry mittlerweile in Champions League und Premier League. Im Alter von gerade einmal vier Jahren begann er in der Jugend mit dem Fußballspielen. Von hier aus startete Serge seinen bis heute anhaltenden steilen Aufstieg. Über die Stationen Ditzingen, Hemmingen, Feuerbach und die Stuttgarter Kickers landete er schließlich 2006 in der Jugend des VfB. Seit seinem 14. Lebensjahr wurde er hier von Scouts der Gunners beobachtet, schließlich im Sommer 2011 von einem Wechsel überzeugt. Nach einem Jahr Eingewöhnungsphase debütierte er hier bereits im Herbst 2012 im Spiel bei Norwich City in der ersten Mannschaft. Ein Jahr darauf folgte dann nach langwieriger Rückenverletzung der erste Startelfeinsatz bei den Profis. Bei seinem zweiten wurde er der zweitjüngste Torschütze (nach Cesc Fàbregas) in Arsenals Historie, er schoss das erste Tor beim Auswärtssieg in Swansea. Aktuell erhält er regelmäßig Startelfeinsätze.
Vom Neckar an die Themse
Dabei ist der Schritt den Gnabry wählte kein gängiger. Nicht viele deutsche Talente wagen den Schritt ins Ausland bevor die Karriere so richtig begonnen hat. Das Lernen bzw. Vertiefen der neuen Alltagssprache, die Adaption eines neuen Spielstils und vor allem das Verlassen alter und erschwerte Finden neuer Freunde wirkt auf viele junge Spieler abschreckend. Doch der Wechsel zu Arsenal kam nicht von ungefähr. In seiner letzten Saison für den VfB wollte es für den Mittelfeldmann nicht mehr so recht laufen, er bestritt kaum ein Spiel innerhalb der Saison über die volle Distanz. Ein Umstand, der unweigerlich Veränderung erfahren sollte. Und in Stuttgart sah Gnabry hierfür wohl nicht mehr den großen Spielraum, zumindest nicht jenen den er bei Arsenal genießen würde.
Spielertyp
Denn Serge Gnabry passt allein vom bloßen Spielertypus her sehr viel besser in den Norden Londons als den Süd-Westen Deutschlands. Hier konnte er nie seine großen Stärken in vollem Maße zeigen, dokumentiert wird dies auch durch die vergleichsweise kleine Ablösesumme (100.000 €). Gnabry zeigt besonders für sein Alter enorme physische Stärke, ist darauf aufbauend sehr schwer vom Ball zu trennen. Ein Fakt, der ihn für das tendenziell eher auf Ballbesitz ausgerichtete Spiel Wengers sehr interessant werden lässt. Zudem ist er wie nahezu alle Spieler im Kader Arsenals technisch sehr stark, egal ob mit links oder rechts zeigt er einen guten Abschluss. Jenen Abschluss lässt er sehr gern und oft aufblitzen, genauer gesagt immer wenn er seine Durchsetzungskraft und Athletik miteinander verbinden kann. Wie viele Stuttgarter Flügelspieler ist er schließlich schnell, besonders auf den ersten Metern. Im Gegensatz zu ihnen sucht er allerdings viel weniger den Weg außen über die Grundlinie, liebt es stattdessen ins Zentrum hineinzuziehen und zu kombinieren bzw. abzuschließen. Dies unterscheidet ihn von Spielern wie sie überwiegend auf den Flügeln vorkommen, er nimmt dabei zu alledem auch häufiger eine ungewöhnlich tiefe Position für einen Außenspieler ein, um dann in Zwischenräume hineinzuspielen. All dies entspricht Wengers Ansprüchen und Wunschvorstellungen.
Ein Kandidat für Brasilien?
Immer wieder wurde die Frage aufgeworfen, ob er mit jenen Performances in der englischen Profiliga nicht auch ein Thema für Löw und freie Kaderplätze bei der WM im Sommer darstelle. Innerhalb des Stabes könne die Antwort bei fortlaufend guten Leistungen nur ein klares „Ja“ sein. Genauer betrachtet bringt er Qualitäten mit, die nur wenige der Nationalspieler in sich vereinen. Eine Affinität für das spielerische Zentrum besitzen viele der Außenstürmer der DFB-Elf, doch nahezu keiner lebt sie in kombinierender und zurückweichender Art wie Serge aus. Viel eher geht es für sie darum, den Torerfolg direkt durch sich selbst oder einen direkten Anspielpartner zu finden, als Ballzirkulation aufrecht zu erhalten und dennoch Tempo in Angriffe hereinzubringen. Die Interpretation seiner Rolle ist somit eine völlig andere, was ihn grundsätzlich, auch weil das DFB-Team immer mehr versucht zu einem spielbestimmenden Kollektiv zu werden, interessant macht.
Was er noch verbessern kann
Serge Gnabry ist dabei in seiner ganz eigenen Interpretation der Rolle des Flügelspielers sehr auffällig und bereits weit in seiner Entwicklung. Hin und wieder muss dabei noch die Abstimmung besser werden. Der eine Lauf besser abgestimmt, der andere Pass genauer oder in andere Schnittstellen gespielt werden. Körperlich kann er sich dagegen noch weiter steigern. Seine Grundschnelligkeit könnte er weiter trainieren, mit 18 ist zudem an seinem Körper sicherlich noch muskuläre Aufbauarbeit zu leisten, um einmal wirklich der das Spiel dominierende und ballsichere „hineinfallende Flügelspieler“ zu werden, der er werden kann. Ziemlich sicher ist, dass er egal ob vor oder nach dem diesjährigen Sommer, den Traum erfüllt bekommt einmal für Deutschland aufzulaufen.
Lennart Kühl, abseits.at
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