Spiele, die man nie vergisst: 12 Tore bei Arsenal gegen Reading
England 20.August.2017 Andreas Raffeiner 0
40 Minuten waren gespielt, als viele Arsenal-Fans den Kopf hängen ließen und mit versteinerten Blicken nach unten resignierten. Im Chor sangen sie, dass sie ihr Eintrittsgeld zurückverlangen wollten. Zu Recht, denn im Pokalspiel gegen den FC Reading lagen ihre Gunners schier aussichtslos zurück. Zugegeben, Arsenal war nicht mit allen Fußballgrößen angereist, aber das zwischenzeitliche 0:4 lag nicht nur Trainerfuchs Wenger im Magen. Keiner, nicht einmal der kühnste Fußball-Optimist setzte einen Pfifferling – oder im Englischen zu bleiben einen Penny – auf den Londoner Traditionsklub.
Was aber in der Folge Arsenal London gelang, war mehr als nur das anfangs zurückgeforderte Eintrittsgeld zurück. Die Fans der Gunners staunten nicht schlecht, als ihrem Team auf dem grünen Rasen eine spektakuläre, wie historische Aufholjagd gelang. Die Truppe von Arsene Wenger drehte die Partie und ging als 7:5-Sieger nach Verlängerung vom Platz.
Unglaublich, aber wahr. Der französische Trainerphilosoph sprach sogar davon, dass seine Jungs eine Katastrophe vermieden und ihren Stolz gerettet hatten. Mehr noch: Wenger meinte sogar, dass dieses Spiel mit einem der größten Siege seiner Karriere zu Ende ging. Die Fans peitschten die Gunners im zweiten Abschnitt nach vorne. Man muss kein Prophet sein, dass die Blamage, hätte man wie in der ersten Halbzeit gekickt, aus Sicht von Arsenal womöglich noch größer gewesen wäre.
Nach zwölf Minuten begann das muntere Scheibenschießen. Jason Roberts brachte den FC Reading mit 1:0 in Front. Sieben Minuten später konnten die Hausherren erneut jubeln – Laurent Koscielny erzielte ein Eigentor. Und so lag der Außenseiter bereits mit 2:0 in Führung. Der Minutenzeiger der Stadionuhr stand auf der 20, als es schon 3:0 stand. Mikele Leigertwood trug sich in die Torschützenliste ein. Die Sensation schien perfekt, als Noel Hunt das vierte Tor für die entfesselten Gastgeber erzielte. Der 1:4-Anschlusstreffer aus der Sicht von Arsenal London – Torschütze war Theo Walcott – fiel in Minute 45, just in einem Moment, als der FC Reading mit dem Gedanken schon in der Kabine war. Man kann auch sagen, dass das erste Tor des Favoriten zum psychologisch wertvollsten Zeitpunkt kam.
Allerdings mussten die Arsenal-Fans 19 Minuten warten, ehe sie über den zweiten Treffer ihres Ensembles jubeln durften: Olivier Giroud netzte zum 2:4 ein. Die Schlussminuten in Reading waren an Spannung kaum noch zu überbieten. So warfen die Gäste alles nach vorne. Laurent Koscielny erzielte in der vorletzten Minute der regulären Spielzeit das 3:4. Würde der Ausgleich noch fallen? Würden die Gunners sich in die Verlängerung retten? Das Publikum tobte, die wie die sicheren Sieger aussehenden Hausherren wankten und sehnten sich den Schlusspfiff herbei, als sich Theo Walcott ein Herz nahm und in der fünften Minute der Nachspielzeit den Ausgleichstreffer erzielte. Wie ein Stich ins Herz für den aufopferungsvoll kämpfenden Gastgeber!
Nun ging es in die Verlängerung, an die nach der ersten Halbzeit wohl niemand glaubte. Die Oberschenkel der müden Hausherren wurden massiert. Die beiden Trainer gaben ihren Akteuren Durchhalteparolen mit auf dem Weg. Marouane Chamakh erzielte in der 103. Minute das 5:4 für die Gäste. Arsenal drehte einen 0:4-Rückstand in eine 5:4-Führung um. Doch der FC Reading wollte sich nicht geschlagen geben und bäumte sich ein weiteres Mal auf. Pavel Pogrebnyak traf zum unfassbaren 5:5. Von nun an waren alle Schlachtenbummler sich im Klaren, dass das Spiel das Eintrittsgeld mehr als nur wert war. Außerdem wussten sie, dass das nächste Tor einen spielentscheidenden Charakter haben würde.
Die Stadionuhr zeigte die 120. Minute an, ehe Arsenal London binnen einer Minute zwei Tore erzielte und dem tapferen Außenseiter gleich zwei Genickschläge verpasste. Zuerst traf Walcott mit seinem dritten Treffer des Abends zum 6:5, ehe Chamakh den 7:5-Endstand fixierte. Am Ende zog der Favorit aus London noch einmal den Kopf aus der Schlinge. Reading-Coach Brian McDermott brachte es mit seiner messerscharfen Analyse auf den Punkt. In der ersten Emotion bezeichnete er den Spielverlauf als „Selbstmord“. Zudem hatte sich die Führung nie so komfortabel angefühlt, auch beim Stand von 4:1 nicht. Er wisse nicht, warum seine Jungs das Fußballspielen eingestellt haben.
Sei es, wie es ist, diese unglaubliche Aufholjagd der Gunners zeigt uns, wie wichtig es ist, von der ersten bis zur letzten Minute zu laufen und um jeden Zentimeter auf dem Platz zu kämpfen. Ein Treffer weniger in der normalen Spielzeit hätte die Begegnung anders enden lassen. Und wer weiß, vielleicht hätte Starcoach Wenger nach einer Blamage beim FC Reading den Hut nehmen müssen. Ob es eine 0:4- oder eine 3:4-Niederlage wird, ist dann nur noch etwas für die Freunde der Statistik, einem möglicherweise enttäuschten und vielleicht entlassenen Mann an der Seitenlinie hätte das auch nicht mehr geholfen.
Andreas Raffeiner, abseits.at
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Andreas Raffeiner
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