Three Lions beißen sich die Zähne aus – 1:1 gegen die Ukraine
England 15.September.2012 Florian Eliadakis 0
Nur knapp drei Monate nach dem umstrittenen Spiel bei der EM-Endrunde trafen England und die Ukraine im Wembley-Stadion aufeinander. Beiden Mannschaften war der Respekt voreinander in einem lange Zeit ausgeglichenen Match anzumerken, das schließlich in dramatischen Schlussminuten und einem nicht unverdienten Lucky Punch für die Engländer gipfelte.
Englands Ideen…
Lampard und Gerrard begannen wieder nebeneinander. Meistens sollte einer der beiden (oder manchmal auch Cleverley) sich den Ball bei den Innenverteidigern abholen und ihn dann schnell auf die Flügel oder in die Spitze spielen, während sich der jeweils andere nach vorne orientierte. Auf den Flügeln sollten sich dann Oxlade-Chamberlain und Milner im Eins-gegen-Eins versuchen und mithilfe der Außenverteidiger gefährliche Situationen erzeugen, wobei der ballferne Flügelspieler (vor allem Milner) ins Zentrum zog. Cleverley gab häufig den zweiten Zentrumsstürmer neben Defoe und sollte Aufmerksamkeit auf sich ziehen, Lampard und/oder Gerrard in der zweiten Reihe lauern bzw. einer der beiden in den Strafraum eindringen. Eingestreut wurden auch hohe Diagonalpässe hinter die ukrainische Abwehr, um die Schnelligkeit der Flügelspieler und von Defoe auszunützen. Um das Zurückfallen von Tymoshchuk zu verhindern und damit den Spielaufbau der Ukrainer zu stören, befanden sich öfters Cleverley oder Defoe in seiner Nähe, während der andere der beiden den ballführenden Verteidiger anlief.
Allgemein waren die Engländer mit gutem Grund sehr darauf bedacht, riskante Pässe und damit einhergehende Ballverluste zu vermeiden. Die ballsicheren und schnellen Ukrainer sind in Kontern brandgefährlich, wie sich auch im Spiel zeigen sollte. Die Engländer übten sich daher meistens lieber einmal zu viel in Geduld und spielten den Ball zurück in die Abwehr. Erst in der etwas chaotischen Schlussphase ging man auf Risiko.
…und die klugen Antworten der Ukrainer
Lescott und Jagielka sind nicht gerade für ein Aufbauspiel á la Mats Hummels bekannt, was sich wohl schon bis in die Ukraine herumgesprochen hat. Den beiden Innenverteidigern wurde daher von den Ukrainern viel Raum zugestanden, da sie außer uninspirierten Horizontalpässen ohnehin wenig zustande brachten. Erst wenn einer der beiden Anstalten machte, den Ball in die gegnerische Hälfte zu führen – was ohnehin kaum der Fall war –, wurden sie attackiert. Ließ sich einmal Cleverley nach hinten fallen, wurde auch er zumeist in Ruhe gelassen. Die volle Konzentration der Ukrainer galt der Achse Lampard-Gerrard. Beide wurden beim Abkippen nach hinten von jeweils zumindest einem Spieler verfolgt, während das restliche Mittelfeld sich eher tief positionierte, englische Anspielstationen gut zustellte, und auf Balleroberungen in der eigenen Hälfte wartete, um dann die gefürchteten schnellen Gegenstöße durchzuführen.
Die schnellen und technisch hervorragenden Flügelspieler Yarmolenko (rechts) und Konoplyanka (links) sollten bei Offensivaktionen mit Sololäufen für Unruhe sorgen. Beide zogen öfters mit dem Ball oder ohne ihn ins Zentrum und setzten die sie hinterlaufenden Außenverteidiger ein. Vor allem Gusev hatte starke Anfangsminuten. Rotan zog ebenfalls mit nach vorne, während Tymoshchuk hinten absicherte.
Die Anfangsphase als Déjà-vu
In den ersten Minuten fühlte man sich stark an das schon angesprochene Vorrundenspiel der Europameisterschaft erinnert. Beide Mannschaften starteten in einem recht klaren 4-2-3-1, mit Ausnahme von Cleverley, der öfters als zweiter Stürmer neben Defoe spielte. Die Ukraine machte auch sofort das Spiel und setzte vieles von dem um, was bereits im Juni praktiziert wurde. Die Flügelspieler zogen stark ins Zentrum, vor allem Gusev rückte auf rechts sehr hoch auf und brachte Bälle in den Strafraum, Einzelaktionen der technisch starken Spieler sorgten für Verwirrung in den englischen Reihen, während sich Tymoshchuk fallen ließ, hinter Gusev absicherte, und so phasenweise eine Dreierkette in der Abwehr bildete. Immer wieder entstanden so gefährliche Situationen vor dem englischen Tor.
England findet langsam ins Spiel
Nach einem aberkannten Tor von Jermain Defoe in der zehnten Minute ging aber ein Ruck durch die englische Mannschaft. War man zuvor noch sichtlich beeindruckt von der Aggressivität der Ukrainer, war man nun um einiges energischer. Das neu entfachte Selbstbewusstsein führte aber vorerst zu einer Großchance für die Ukraine, da Lampard in der gegnerischen Hälfte einen riskanten Pass auf Cleverley spielte, der den Ball verlor, woraufhin sofort fünf Ukrainer mit Volldampf Richtung englisches Tor zogen. Nach diesem Paradebeispiel eines Konters klärte Gerrard noch auf der Linie. Trotzdem konnten die Engländer in weiterer Folge die Ukrainer etwas nach hinten drängen und fanden auch Chancen vor, u.a. eine 100%-ige von Cleverley nach guter Vorlage von Gerrard und Defoe. Die Ukrainer konnten aus zwei Chancen genauso wenig Kapital schlagen wie die Engländer.
Das 0:1 fiel nach einer etwas kuriosen Situation. Nach einem leichten Rempler von Lampard ging Yarmolenko zu Boden, während Ersterer den Ball zu Lescott köpfelte. Doch als der Ukrainer noch am Boden lag und Lampard einen Augenblick lang auf einen Pfiff des Schiedsrichters wartete, der nicht kam, spielte Lescott Yarmolenko den Fehlpass genau in die Beine. Blitzschnell stand dieser auf und spielte den Ball ins Zentrum, Rotan leitete den Ball weiter zu Konoplyanka, der ließ Gerrard mit einem guten Haken aussteigen, Lampard und Milner waren zu weit weg, und der Ball flog aus ca. 20 Metern unhaltbar ins Kreuzeck.
Zweite Halbzeit
Lampard und Gerrard halfen jetzt aktiver im Pressing mit, und Jagielka traute sich im Spielaufbau einmal etwas weiter nach vorne, was prompt einen Fehlpass mit anschließender Großchance für die Ukrainer nach sich zog.
Einige gute Ballgewinne führten ab der 60. Minute zu phasenweiser Überlegenheit der Briten, die sich nun immer wieder vor den Strafraum kombinierten. In dieser Drangphase kam Welbeck für Cleverley. Er orientierte sich anfangs eher als Linksaußen, während Oxlade-Chamberlain ins Zentrum ging, tauchte aber danach immer wieder im Zentrum hinter und neben Defoe auf, eine Doppelrolle, die er bereits im letzten Meisterschaftsspiel gegen Southampton einnahm (-> http://www.abseits.at/fusball-international/england/wie-southampton-erneut-einen-giganten-ins-wanken-brachte-und-dennoch-wieder-verlor/ ). Kurz darauf kam mit Sturridge ein weiterer Stürmer für Oxlade-Chamberlain.
Englische Brechstange bringt den Ausgleich
Vor allem Sturridge und Welbeck brachten nun immer wieder gefährliche Aktionen zustande, was den Druck auf die ukrainische Abwehr schlagartig enorm erhöhte. Positionstreue galt in diesem 4-3-1-2 bzw. 4-3-3 bei Offensivaktionen aber kaum mehr. Zumeist wurde nur noch versucht, den Ball irgendwie in den Strafraum zu bringen, in dem schon möglichst viele Spieler warten sollten. Welbeck war fast nur noch im Zentrum unterwegs, Bertrand (für Baines gekommen) übernahm die linke Seite meistens alleine, Sturridge ließ sich öfters fallen, Defoe half auch mal rechts aus, Lampard und Gerrard führten den Ball soweit wie möglich in die gegnerische Hälfte oder schlugen ihn gleich hoch nach vorne. Nach einer guten Hereingabe von Sturridge traf Welbeck aus acht Metern nur die Stange. Auf der anderen Seite war die englische Abwehr in der 85. Minute ungeordnet, was zu einer Riesenchance für Zozulya führte. Nach einem guten Diagonalpass von Sturridge auf Bertrand, der den Ball volley in den Strafraum weiterspielte, kam es zum Handspiel, woraufhin Lampard den fälligen Elfmeter zum 1:1 verwertete. Gerrard holte sich noch die gelb-rote Karte für ein hartes Einsteigen ab und wird damit gegen San Marino fehlen.
Fazit
England hatte enormen Respekt vor diesem Gegner, immerhin war die Ukraine im letzten Aufeinandertreffen überlegen. Starke Positionstreue und enge taktische Vorgaben sollten das gegnerische Ausnützen von Freiräumen auf ein Minimum reduzieren. Die Folge war ein lange eher stures Anrennen gegen gut in der Tiefe positionierte Ukrainer, die ihre technischen Stärken immer wieder gekonnt einsetzten. Erst mit dem Auflösen der starren Ordnung, mehr Flexibilität im Angriffsdrittel, und ein bisschen Glück konnte England den Ausgleich erzwingen.
Florian Eliadakis, abseits.at
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Florian Eliadakis
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