Transfers erklärt: Darum wechselte Nemanja Matic (wieder) zu Chelsea
England 20.Januar.2014 Rene Maric 0
Wie schon in der vergangenen Winterpausen gehen wir in dieser Rubrik auf einzelne fixe Transfers zumeist größerer Vereine ein, wo die Hintergründe und Motive beleuchtet werden. Wieso holt eine Mannschaft diesen Spieler? Wer ist dieser Spieler überhaupt? Was erwartet sich sein neuer Verein von ihm? Kann er die Erwartungen in seinem neuen Verein erfüllen?
Diese Fragen sollen hauptsächlich beantwortet werden. Auch die taktische Perspektive soll nicht zu kurz kommen, immerhin ermöglicht ein neuer Spieler oftmals eine Vielzahl neuer Kombinationen und Synergien, die ebenfalls kurz erläutert werden sollen.
In dieser Ausgabe blicken wir auf einen waschechten Kracher von Chelsea. Diese gaben nämlich am Mittwochabend die Verpflichtung eines potenziellen Weltklassespielers bekannt, der hierzulande fast unbekannt ist.
Der Rückkehrer
Nemanja Matic stand schon einmal beim Chelsea FC unter Vertrag. Nach Jugendjahren bei Roter Stern und Partizan Belgrad wechselte er mit 17 Jahren in den Profibereich zu Kolubara Lazarevac. Von dort aus ging es mit 19 Jahren in die Slowakei zum MFK Kosice. Zwei Jahre später wechselte er – etwas überraschend – für die geringe Summe von nur etwas über 2 Millionen Euro zu Chelsea. Zuvor war Matic bei Middlesbrough im Probetraining durchgefallen.
Nach einem Jahr mit zwei Einsätzen und einem Meistertitel wurde Matic von Chelsea verliehen. Er sollte in der niederländischen Liga wie so viele andere Chelsea-Jungstars Spielpraxis sammeln. Bei Vitesse Arnheim wurde er zwar fester Bestandteil der Stammmannschaft, doch er sollte nach seinem Leihjahr nicht zu Chelsea zurückkehren.
Stattdessen wurde Matic an Benfica Lissabon weiterverkauft, wo er in den letzten drei Jahren zu einem der wichtigsten Spieler wurde. Besonders dank Trainer Jorge Jesus konnte der heute noch – auch in seinem Heimatland – unterschätzte Matic in den letzten beiden Saisonen zu einem der besten defensiven Mittelfeldspieler Europas auf der alleinigen Sechs werden, weswegen ihn nun José Mourinho für eine Summe von knapp über 25 Millionen Euro zurück nach London holte.
Schlüsselspieler in Benficas 4-1-3-1-1/4-1-3-2
Jesus ließ in Lissabon mit einem sehr unorthodoxen System spielen. Die Mannschaft definierte sich über offensive Fluidität, technisch hochwertigen Offensivfußball mit vielen Kurzpässen und variablen Bewegungen im zweiten und letzten Spielfelddrittel sowie einer unüblichen Formation. Die meisten Mannschaften mit nur einem Sechser (hinter zwei Achtern) agieren in einem 4-1-4-1 oder einem 4-3-3. Benfica hingegen hatte zwei Stürmer, zwei Flügelstürmer und einen Zehner/Achter, weswegen Matic eine seltene Rolle verkörperte.
Als alleiniger Sechser wurde er im Aufbauspiel immer wieder von Enzo Perez unterstützt, während er sich defensiv besonders auf offene Räume und sein Stellungsspiel konzentrieren konnte. Vor ihm gab es ein hohes und aggressives Pressing, Matic kümmerte sich um die offenen Räume dahinter, um das Abfangen von Pässen durch die Schnittstellen der Offensivreihe und dem Stabilisieren der Abwehr.
Diese sehr komplexe Rolle gepaart mit seinen individuellen und taktischen Fähigkeiten sorgten für eine Schlüsselposition im System Jesus‘, mit welchem sie in der vergangenen Saison bis ins Finale der Europa League kommen konnten. Matic verfügt neben seinen Fähigkeiten im defensiven Stellungsspiel darüber hinaus auch über technische Finesse, eine hohe Handlungsschnelligkeit, Eleganz und Spielintelligenz. Besonders in engen Situationen überrascht der 1,94m Matic plötzlich mit enormen Fähigkeiten im Dribbling und Beweglichkeit. Dabei fungiert er sogar als Nadelspieler beim gegnerischen Pressing und zeigt ansatzweise auch spektakuläre Ansätze, die man bei Sechsern von seiner Spielweise oftmals vergeblich sucht.
Ist er die perfekte Besetzung für Chelsea?
Die Frage ist natürlich, ob er diese Fähigkeiten auch in der englischen Liga beziehungsweise im Trikot der Blues konstant umsetzen kann. Problematisch könnte es zum Beispiel werden, wenn Mourinho nicht das 4-1-4-1 aus einzelnen Spielen, sondern wieder ein 4-2-3-1/4-4-1-1 nutzt. In engeren Räumen ist Matic nicht so effektiv, sowohl offensiv als auch defensiv gehen dabei seine größten Stärken womöglich verloren. Das klingt etwas paradox, weil er ja mit Ball in sehr engen Räumen sehr gut ist, doch dafür müssen ihm woanders andere Räume geöffnet werden, in die er hineindribbeln kann.
Ein unflexibles Aufbauspiel mit zwei Sechsern ohne Herauskippen zwischen Innen- und Außenverteidiger, wie es Matic bei Benfica praktizierte, könnte seine Fähigkeiten als Nadelspieler einschränken. Seine Beweglichkeit im Abdecken großer Räume könnte durch eine solche Staffelung ebenfalls zum Problem werden.
Ein weiteres Problem in der Einbindung könnte sein, wenn Matic nicht als tiefster Sechser, sondern davor eingesetzt wird. Eventuell könnte ihn José Mourinho wegen seiner Dribbelstärken und seiner Ausdauer als Khedira oder Yaya-Touré-Typus sehen. Hier ist es fraglich, wie Matic sich in der englischen Liga zurechtfinden würde. Theoretisch könnte auch dies erfolgreich enden, doch gewisse Fähigkeiten Matics werden hier nicht eingebunden, während einzelne Schwächen womöglich zum Tragen kommen.
Alles in allem sollte es jedoch wahrscheinlich sein, dass Mourinho Matic auf der alleinige Sechs sieht. Dort gibt es mit Obi Mikel zwar schon einen alleinigen Sechser, doch er ist ein etwas anderer Spielertyp als Matic, insbesondere offensiv. Womöglich könnte Mourinho hier auch einfach eine intelligente Rotation einführen und die beiden je nach Gegner wechseln. So wäre es durchaus möglich, dass gegen stärkere und hoch pressende Gegner bei eigener Ausrichtung auf passives Spiel Mikel aus Stabilitätsgründen den Vorzug erhält, Matic dafür gegen schwächere Gegner und bei eigenem hohen Pressing spielt.
Nach eigenen Aussagen zu Saisonende plant Mourinho auch ein „proaktiveres Spiel“ mit viel hohem Pressing. Hierzu würde Matic ebenso wie Oscar perfekt passen. Oscar könnte ohnehin ein wichtiger Mitspieler für Matic werden.
Matic wirkt bisweilen mit seinen offensiven und defensiven Ausflügen so, als könnte er einen Balancegeber neben oder zumindest vor sich gebrauchen. Bei Benfica taten dies die Staffelungen und Perez, bei Chelsea könnte der enorm spielintelligente und laufstarke Oscar dieses Puzzlestück werden. Mit Ramires wäre dies womöglich eher etwas chaotisch.
Allerdings könnten bei einem hohen und aggressiven Pressing die leichten Mängel Matics in seiner Aggressivität und Passivität im Herausrücken, seiner Entscheidungsfindung und seiner Konstanz innerhalb eines Spiels durch den kampfstarken Ramires neutralisiert werden. Alles in allem ist Matic aber ein hervorragender Akteur. Wird er optimal eingebunden – auch wenn es nicht die einfachste Aufgabe ist -, dann sollte er wie Fernandinho in den nächsten Monaten zu einem der besten Spieler der Premier League auf seiner Position reifen.
René Maric, www.abseits.at
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