Transfers erklärt: Darum ersetzt Luis Alberto Andy Carroll beim FC Liverpool
England 25.Juni.2013 Rene Maric 1
Wie schon in der vergangenen Winterpause gehen wir in dieser Rubrik auf einzelne fixe Transfers zumeist größerer Vereine ein, wo die Hintergründe und Motive beleuchtet werden. Wieso holt eine Mannschaft diesen Spieler? Wer ist dieser Spieler überhaupt? Was erwartet sich sein neuer Verein von ihm? Kann er die Erwartungen in seinem neuen Verein erfüllen?
Diese Fragen sollen hauptsächlich beantwortet werden. Auch die taktische Perspektive soll nicht zu kurz kommen, immerhin ermöglicht ein neuer Spieler oftmals eine Vielzahl neuer Kombinationen und Synergien, die ebenfalls kurz erläutert werden sollen.
In dieser Ausgabe blicken wir auf den „Stürmertausch“ des Liverpool FC, der auch einen Übergang in der englischen Liga und der Spielerauswahl bei Transfers markieren könnte. Außerdem gibt er den Reds neue und dem Spielstil entsprechende Möglichkeiten.
Der klassische Stürmer der vergangenen Saison – ein Auslaufmodell und schlechter Witz?
Für 17,5 Millionen Euro wechselt Andy Carroll nun von Liverpool zu West Ham. Wohl ein Transfer, von dem alle Beteiligten profitieren werden. Doch aktuell erscheint der Transfer nur wie die Fortführung einer Lachnummer, die Andy Carroll selbst darstellt – so zumindest scheint der Eindruck in diversen Fanforen und auch den britischen Medien zu sein. Dieser vermeintliche Running Gag begann am 31. Januar 2011, als Liverpool nach dem Verkauf von Fernando Torres an Chelsea einen neuen Mittelstürmer benötigte.
Diesen fanden sie im damaligen Shootingstar Andy Carroll von Newcastle United, den sie für 41 Millionen Euro loseisen konnten. Jeder wusste, dass sie über Wert zahlten – es war nichts anderes möglich. Durch den Torres-Transfer wusste jeder, wie viel Geld Liverpool mindestens zur Verfügung hat, jeder wusste, dass sie einen Stürmer benötigen und es war der letzte Tag der Transferperiode. Denkbar schlechte Voraussetzungen, um einen britischen Spieler mit einer kleinen Glückssträhne zu veröffentlichen.
Carroll sollte aber für Liverpool nicht einmal die Hälfte wert sein. In 44 Partien konnte er nur sechs Tore erzielen; viel zu wenig für die Ansprüche der Reds, die mit Luis Suarez im Kader einen neuen, internen Ersatz fanden. Gleichzeitig erregte Carroll mit einigen privaten Eskapaden und Verletzungsproblemen Aufsehen. Ende August 2012 wurde er dann an West Ham United ausgeliehen, die von Sam „Big Sam“ Allardyce trainiert werden und wie Stoke City eher auf das gepflegte Kick and Rush setzen, dem stereotypen britischen Fußballstil des letzten Jahrhunderts.
In 26 Partien (1953 Minuten) in der Premier League kam er auf immerhin elf Scorerpunkte, was eine passable Torquote darstellt. Für die Taktik von Allardyce scheint er der fast perfekte Spieler zu sein. Er ist durchschlagskräftig, ein dankbarer Abnehmer von Flanken und Zielspieler bei langen Bällen, die er auf nachrückende Spieler prallen lässt. Er ermöglicht einem technisch schwachen Team somit schnelles Überbrücken der Mittelfeldräume, macht aus Befreiungsschlägen Konter und kann eine Macht bei Halbfeldflanken darstellen.
Für Liverpool, die sich in der Tabelle an der Top-4 orientieren und mit Brendan Rodgers auf der Trainerbank einen Freund des Ballbesitzfußballs haben, wäre Carroll wohl weiterhin eine Lachnummer gewesen. Seine Spielweise, seine Koordination und seine Entscheidungsfindung stünden dort nahezu in Kontrast zu seinen Mitspielern. Bei West Ham übernimmt er eine Schlüsselrolle.
Ob er diese allerdings auf einem Niveau ausführen kann, dass er über 17 Millionen Euro wert sein kann, steht in den Sternen. Einige Experten aus England verglichen ihn mit Didier Drogba, was er allerdings aufgrund des Mangels an Balltechnik kaum werden kann. Mit seiner Durchsetzungskraft und einer wirklich herausragenden Kopfballstärke – womöglich seiner einzigen Eigenschaft auf Weltklasseniveau – könnte er aber langfristig die Summe für West Ham einspielen. Es wird auch Ausschlag darüber geben, ob Carroll wie bei der Europameisterschaft 2012 eine Stammposition in der englischen Nationalelf erobern kann, aktuell gibt es dafür bessere Optionen.
Der moderne Stürmer der Zukunft – ein kommender Star oder ein potenzieller Flop?
Statt Carroll – und womöglich auch statt Suarez, der Abwanderungsgedanken hegt –holte sich Liverpool in diesem Sommer Luis Alberto. Seine Spielweise und sein Spielcharakter stehen beinahe im Gegensatz zu Andy Carrolls. Dies tut auch seine Geschichte.
Während Carroll schon Unsummen bewegen konnte, kostete Luis Alberto bislang nur 800.000€ an Leihgebühr, als er vom FC Sevilla zu Barcelona B ausgeliehen wurde. Die Katalanen hätten nun eine Kaufoption gehabt, ließen diese aber verstreichen, da Alberto in eine höhere Liga drängte, aber die Katalanen lediglich in der zweiten Mannschaft Verwendung gehabt hätten.
Nun zahlte Liverpool 8 Millionen Euro für den Stürmer, der bei den Reds und Trainer Brendon Rodgers die Optionen im Sturm erhöhen soll. Gleichzeitig hat Liverpool einen direkten Ersatz für Coutinho (Linksaußen oder zentraler hängender Stürmer) oder auch für Suarez (Mittelstürmer). Sollte der uruguayische Star den Verein wechseln, gibt es mit Luis Alberto bereits Ersatz – ob als Stammspieler oder als Ersatzspieler.
Es wird interessant zu sehen sein, wie dem jungen Spanier der Sprung in die Premier League gelingt. Alberto wirkt schmächtig und schlaksig, ist auch kein Sprinter oder Dauerläufer und alles andere als ein Kopfballungeheuer. Seine Stärken liegen auf dem Boden– und in seinem Kopf. Bei Barcelona B spielte Alberto mehrere Positionen, unter anderem als Außenstürmer oder als zentraloffensiver Mittelfeldspieler.
Seine Paraderolle dürfte aber die Position des Mittelstürmers sein, die er ebenfalls schon oft verkörperte. Bei der zweiten Mannschaft des katalanischen Topteams rochierte er aus der Mitte immer wieder auf die Flügel und tauschte dort mit seinen Mitspielern die Position. Insbesondere Jungstar Gerard Deulofeu profitierte davon, er konnte dadurch situativ in die Mitte rücken und mit seinen Dribbelfähigkeiten und seiner Abschlussstärke Gefahr ausüben.
Zusätzlich zu diesen Positionswechseln ließ sich Luis Alberto oft aus dem Sturmzentrum in den Zwischenlinienraum fallen, bot sich dort in freien Räumen an und sorgte dafür, dass das Tiqui Taca der Katalanen funktionierte und es eine zusätzliche Anspielstation gab. In gewisser Weise spielte Luis Alberto also eine hochmoderne Mischung aus einem ausweichenden Stürmer und einer hohen spielmachenden Neun.
Dies erklärt auch seine Statistik, denn in 38 Spielen (3028 Minuten) erzielte er zwar beeindruckende 29 Scorerpunkte, aber „nur“ 11 Tore – dafür aber beeindruckende 18 Vorlagen, die zu weiten Teilen auf das Konto von Gerard Deulofeu gingen (18 Tore und „nur“ sechs Vorlagen in 33 Partien), der wiederum verhältnismäßig Vorlagen für einen Außenstürmer hatte.
Auch bei Liverpool könnte er eine solche Rolle als ausweichender und/oder hoher spielmachender Neuner, als, vorzugsweise linker inverser, Flügelstürmer oder als hängender Stürmer agieren. Mit seiner Spielintelligenz, seinem gruppentaktischen Gefühl und Bewegungsspiel sowie seiner guten Balltechnik könnte er eine Schlüsselrolle im Ballbesitzfußball Liverpools spielen. Allerdings könnte er auch ein Flop werden.
Wie schafft es einer, der zwar Leistungsträger in der spanischen zweiten Liga war, aber keineswegs der alles zerschießende Star, in der englischen Liga? Dies ist das Risiko, welches der Transfer in sich birgt. Generell zeigt die Verpflichtung aber, wohin Brendan Rodgers möchte: Zu einem modernen, anspruchsvollen Fußball mit den dazugehörigen spielintelligenten und technisch versierten Kombinationsfußballern.
Rene Maric, abseits.at
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