Verkehrte Taktikwelt: Analyse des 3:1-Siegs der Hammers gegen Swansea City
England 8.Dezember.2014 Rene Maric 0
West Ham United und Swansea City sind (neben dem bereits hier analysierten Southampton) die beiden Überraschungsmannschaften der aktuellen Saison in der englischen Premier League. Swansea befindet sich auf dem achten Tabellenrang vor so großen Vereinen wie Liverpool, Tottenham und Everton, West Ham hingegen kann sich nach 15 Spieltagen gar auf Platz 4 wiederfinden und befindet sich aktuell auf Kurs sogar Arsenal hinter sich zu lassen. An diesem Wochenende trafen die beiden Mannschaften im direkten Duell aufeinander. Wer einen „clash of styles“ wegen der unterschiedlichen Trainerphilosophien erwartet hatte, sollte überrascht werden.
West Hams Transformation
In der vergangenen Saison war West Ham statistisch gesehen eine von nur drei Mannschaften, die sich in puncto Passmuster klar vom Rest Europas unterschied (neben dem FC Barcelona und dem AC Turin). Sie waren jene Mannschaft mit dem größten Anteil an direkten langen Bällen in die Angriffszonen, einem enormen Fokus auf Luftzweikämpfe und zweite Bälle bzw. Gegenpressingduelle, sowie einem mehr oder weniger nicht vorhandenen Aufbauspiel in der eigenen Hälfte. Sam Allardyce ist schon seit Jahren für diese Spielweise bekannt, doch in der aktuellen Saison wurde dies eindeutig umgestellt. Zwar liegen sie im Schnitt noch immer unter 50% Ballbesitz (47,1%), haben sich aber um drei Prozentpunkte gesteigert und in einzelnen Partien verbuchen sie sogar über 60%.
Dies war gegen Swansea bis zur Führung nach 65 Minuten ebenfalls der Fall, obwohl Swansea in den letzten drei Jahren seit ihrem Aufstieg in die EPL als eine von nur sehr wenigen Ballbesitzmannschaften der Liga (neben Arsenal und phasenweise Manchester City und Liverpool) galt. West Ham war aber schlichtweg die im Aufbauspiel und Pressing dominantere Mannschaft.
Intelligente Nutzung der Raute
Auf dem Papier starteten die „Hammers“ mit einem 4-3-1-2. Diese Raute im Mittelfeld war etwas unorthodox besetzt: Noble begann als Zehner, Downing als linker Halbspieler, Kouyate als rechter Halbspieler und Alex Song als Sechser, doch diese Spielweise war flexibel ausgelegt und mit einem guten Bewegungsspiel versehen. Downing schob beispielsweise einige Male auch auf die Zehn und Noble ließ sich zurückfallen, Song besetzte nicht nur den Sechserraum oder kippte zwischen die Innenverteidiger ab, sondern ging auch in den linken Halbraum und Kouyate konnte den rechten Halbraum besetzen. Somit hatten sie zwar eine Raute, diese wurde aber leicht unorthodox mit einem zurückfallenden Zehner und einer Flügelasymmetrie gespielt.
Durch die vier Mittelfeldspieler und deren flexible Bewegungen sowie das sehr weite Vorrücken der Außenverteidiger hatte man eine gute Besetzung der Spielfeldmitte und bot den Innenverteidigern viele Anspielstationen. In dieser Szene sieht man das sehr gut:
Wenn Swansea diese versperren und großen Druck erzeugen konnte, war West Ham aber im Stande direkt auf eine effektive Spielweise ohne Kurzpässe umzustellen und zu ihrer ursprünglichen Spielweise mit langen Bällen über das Mittelfeld direkt in die Angriffszonen zurückzukehren.
Die Aufstellung und die Formation waren hierfür ebenfalls überaus passend; mit Andy Carroll hatten sie einen großgewachsenen und körperlich präsenten Riesen im Sturmzentrum, der von Enner Valencia als zweitem Stürmer unterstützt wurde. Zusätzlich konnten die drei zentralen Mittelfeldspieler vor Sechser Song aggressiv auf den Ball schieben und Ablagen von Carroll erobern, um dann direkt nach vorne anzugreifen oder auf die Seite für Flanken und Flügeldurchbrüche abzulegen. Diese Mischung machte es Swansea schwer Zugriff zu erzeugen; und hatte eine negative Wechselwirkung mit ihrer Ausrichtung unter Monk.
Gary Monk normalisiert die Schwäne
Unter Michael Laudrup war Swansea eine der taktisch interessantesten Mannschaften in ganz Europa. In eigenem Ballbesitz spielten sie ein flüssiges, kurzpassorientiertes und komplexes Positionsspiel, durch welches sie vielfach auch gegen stärkere Gegner das Spiel und den Ball dominieren konnten; insbesondere gegen Manchester City und Arsenal gab es ein paar herausragende Partien. Doch auch gegen den Ball waren die in England als Ballbesitzfanatiker verschrienen Waliser sehenswert. Ihre Raumdeckung war weder starr in Positionen noch konstant an freien Gegenspielern orientiert, sondern wechselte auf jeder Position fließend und situationsbedingt.
Diese Spielweise wurde meistens in einer eher passiven und zurückhaltenden Ausrichtung, wenn auch mit höherer Pressinglinie und vielen leitenden Elementen ausgelegt. Unter Monk ist diese Freiheit und Improvisationsgabe in der individuellen und kollektiven Entscheidungsfindung bei gegnerischem Ballbesitz aber nicht mehr so stark ausgeprägt, während die Passivität und Zurückhaltung nach wie vor klar erkennbar sind.
Deswegen war West Ham nicht nur im Stande, sondern phasenweise auch dazu gezwungen den Ball so lange zirkulieren zu lassen. Alle Anspielstationen nach vorne waren versperrt, aber direkten Druck auf die erste und phasenweise auf die zweite Aufbaulinie gab es schlichtweg nicht. Problematisch war es aber, wenn West Ham nach vorne durch das Mittelfeld kam, weil hier die Optionen nicht mehr so stark versperrt werden konnten, wie es bei höherer Stellung und noch unter Laudrup der Fall war.
Meistens standen die „Swans“ dann in einem kompakten 4-4-2/4-4-1-1, in welchem Ki und Britton auf der Doppelsechs sich zwar wie üblich sehr intelligent bewegten und von Zehner Sigurdsson unterstützt wurden, aber die Außenspieler einige Probleme im offensiven und defensiven Bewegungsspiel hatten. Diese Probleme führten zu relativer Harmlosigkeit in der Offensive und einzelnen Instabilitäten gegen den Ball.
Am problematischsten war aber die mangelnde Konsequenz in Ballbesitz.
Swansea lässt sich zu einer fremden Philosophie verleiten
Unter Druck – und West Ham entfachte viel zentralen Druck in Swanseas Schlüsselzone durch ihre Aggressivität und Rautenformation – schaltete Swansea viel zu häufig in einen unpassenden Rhythmus um. Anstatt mit ihrer eigentlich gemächlichen, ruhigen und intelligenten Zirkulation fortzufahren, gab es immer wieder versuchte Durchbrüche über die Seite oder lange Bälle auf Zielspieler Bony. Diese Ausrichtung war aber eher kontraproduktiv; Swanseas einziges Tor fiel nach einer intelligenten Kombination ohne hohen Ball und über den Halbraum, wo Linksaußen Montero nicht fokussiert, sondern im richtigen Moment eingebunden wurde. Das gab es aber zu selten und neben der mangelnden Ballkontrolle glitt Swansea auch das Spiel aus den Händen, trotz der Führung.
Fazit
Das Aufeinandertreffen der beiden grauen Mäuse in der oberen Tabellenhälfte wartete mit zwei der taktisch besten Mannschaften der Liga auf, in welchem aber die Erwartungen über die Spielweise der beiden Teams beinahe ad absurdum geführt haben. Ballbesitzmannschaft Swansea kam teilweise auf unter 40% Ballbesitz, West Ham dominierte das Geschehen über lange Zeit und konnte auch einen Rückstand souverän drehen und schlussendlich mit 3:1 gewinnen. Damit können sie ihren Aufwärtstrend fortsetzen und liegen nun mehr auf Platz 4. Die rote Karte für Swanseas Torwart und die Unterzahl direkt nach dem Rückstand tat ihr Übriges für Swansea; zu zehnt dominierten sie zwar das Spiel und hatten ein paar Abschlüsse, aber West Ham spielte fortan sehr defensiv und stellte gegen Ende sogar auf eine Art 5-3-2 um.
René Maric, www.abseits.at
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