Nach dem 0:1 gegen Dinamo Zagreb war überraschend und völlig unerwartet Schluss für Thomas Tuchel beim Chelsea FC. Zuvor durfte der Deutsche noch 282... Wird Graham Potter der nächste André Villas-Boas?

Nach dem 0:1 gegen Dinamo Zagreb war überraschend und völlig unerwartet Schluss für Thomas Tuchel beim Chelsea FC. Zuvor durfte der Deutsche noch 282 Millionen Euro in neue Spieler investieren. Für ihn übernimmt Brighton-Erfolgscoach Graham Potter. Satte 23 Millionen Euro Ablöse legten die Blues für ihren neuen Trainer auf den Tisch. Bei einer derart hohen Ablösesumme werden Erinnerungen an André Villas-Boas wach, der 2011 um 15 Millionen Euro nach London geholt wurde. Nach nicht einmal einem Jahr und 40 Spielen war der Portugiese in London wieder Geschichte.

Villas-Boas um 15 Millionen Euro vom FC Porto zum FC Chelsea

Der damals 33-jährige André Villas-Boas wechselte 2011 um die damalige Rekord-Ablösesumme, die jemals für einen Trainer bezahlt wurde, zum Chelsea FC. Man bezeichnete ihn als den „neuen Mourinho“, weil er von José Mourinho in Portugal bei Porto, in London bei Chelsea und Mailand bei Inter gelernt hatte.

Nach seiner ersten kurzen aber sehr erfolgreichen Trainerstation bei Académica Coimbra folgte der Wechsel zum FC Porto, mit dem Villas-Boas in einer Saison, seiner einzigen im Estadio do Dragao, vier Titel, nämlich die Meisterschaft, den Pokal, den Super Cup und die Europa League, holte. Er war der jüngste Trainer, dem dieses Kunststück jemals gelang.

Bei Chelsea hielt sich Villas-Boas trotz großer Vorschusslorbeeren nur acht Monate, heute ist er nach Stationen bei den Tottenham Hotspurs (18 Monate), Zenit St. Petersburg (26 Monate), Shanghai SIPG (12 Monate) und Olympique Marseille (18 Monate) seit Februar 2021 vereinslos.

An die großen Erfolge bei Porto konnte Villas-Boas trotz des Gewinns des russischen Meistertitels 2014/15 nie wieder anknüpfen.

10 Trainer in 10 Jahren – das Karussell bei den Blues dreht sich schnell

Seit dem Abgang von Villas-Boas 2012 haben sich bei den Blues Roberto di Matteo, Rafa Benitez, José Mourinho, Steve Holland, Guus Hiddink, Antonio Conte, Maurizio Sarri, Frank Lampard und Thomas Tuchel versucht.

Roberto di Matteo holte 2011/12 die Champions League und den FA Cup. Rafa Benitez gewann 2012/13 die Europa League, José Mourinho gelang 2014/15 der Gewinn der Meisterschaft ebenso wie Antonio Conte 2016/17. In derselben Saison gewann Conte mit den Blues auch den FA Cup. Maurizio Sarri gewann mit Chelsea in seiner einzigen Saison 2018/19 die Europa League. Thomas Tuchel gewann mit den Blues 2020/21 die Champions League, den Super Cup sowie die Klub-WM. Eben jener Thomas Tuchel musste nun nach der Niederlage gegen Dinamo Zagreb in der Champions League und Platz 6 nach sechs Spielen in der Premier League völlig überraschend seinen Platz räumen.

Obwohl man in London in zehn Jahren national und international mit zehn Titeln Erfolge feierte, konnte sich nur Antonio Conte zwei volle Saisonen im Amt halten. Eine Reihe an renommierten Trainern wurde in London vornehmlich in der Regentschaft von Roman Abramovich verschlungen.

Doch für die wohl überraschendste Trainerentlassung sorgte nun der neue Eigentümer Todd Boehly, der sich von Thomas Tuchel trennte. Der Club gilt damit weiterhin als Pulverfass, bei dem nur Erfolge zählen. Wer nicht liefert, muss gehen, selbst wenn in der Vorsaison drei Titel gewann.

Was Potter beim FC Chelsea erwartet

Die Geschichte von Villas-Boas könnte sich mit Graham Potter wiederholen. Für Potter legte der Chelsea 23 Millionen Euro auf den Tisch. Nur Julian Nagelsmann war dem FC Bayern mit kolportierten 25 Millionen Euro inklusive Boni noch mehr wert.

Eines ist klar: Was Potter nicht haben wird, ist Zeit. Zeit ist im Londoner Nobelviertel Mangelware, das einzige das zählt, sind Erfolge. Ganz im Gegenteil, der 47-jährige Engländer wird sofort liefern oder seine Koffer packen müssen. Dass man in London vor Entlassungen trotz hoher Ablösesummen nicht zurückschreckt, zeigt die Geschichte von André Villas-Boas eindrucksvoll.

Anders als Villas-Boas ist Potter aber bereits seit zwölf Jahren im Trainergeschäft. Nach dem Trainerdebüt bei Östersunds FK (2011-2018), den Potter von der vierten in die erste schwedische Liga, zum Pokalsieg und in die Europa League führte, folgte ein Kurzaufenthalt bei Swansea City (2018-2019) ehe Potter für drei Jahre (2019-2022) in Brighton aktiv war und den Club trotz beschränkter finanzieller Ressourcen auf Platz 15, 16 und 9 führte. Durch einen fulminanten Start in die Saison 2022/23 liegt der FC Brighton zum Abschied von Potter auf Rang 4 der Premier League.

Anders als Villas-Boas kann Potter jedoch keine großen Erfolge in Form von Meisterschaften oder internationalen Pokalen vorweisen und hat sich noch in einer Situation befunden, in der er nationale und internationale Titel liefern muss. Der Engländer gilt als Stratege und Planer und agiert basierend auf einer langfristigen Planung. Im Vordergrund steht die Mannschaft und nicht der einzelne Spieler, das Gefüge muss passen. Es wird spannend zu sehen, wie Graham Potter mit dem Starensemble des FC Chelsea umgehen wird. Ein Starensemble, in das alleine im Sommer 2022 in puncto Neuzugänge noch von Thomas Tuchel 282 Millionen Euro investiert wurde.

Was Potter bringt ist Ruhe, eine klare Perspektive, eine langfristige Planung, einen guten Ruf in Sachen Transferpolitik, ein gutes Verständnis, wie er mit seinen Spielern umgehen muss und einen Spielstil, der zum FC Chelsea passt. Bei Brighton hat er ein schnelles Umschaltspiel etabliert, das innerhalb der Premier League durchaus für Furore gesorgt hat und bei Chelsea auf Grund der tempostarken Spieler problemlos übernommen werden kann. Vor allem Raheem Sterling könnte so zusätzlich profitieren. Als Engländer ist auch die viel zitierte Sprachbarriere keine Hürde und Potter hat sich in der Premier League einen guten Namen erarbeitet.

Trotz der guten Arbeit bei Brighton kam der Wechsel zum Chelsea FC für viele Experten nun doch überraschend. Jenes Chelsea, das in der Vergangenheit fast ausschließlich auf Startrainer gesetzt hatte, setzt nun auf einen eher unbekannten Engländer, der keine großen Titel vorzuweisen hat. Neben den zuvor genannten Trainern zierten auch Trainergrößen wie Carlo Ancelotti, Claudio Ranieri, Gianluca Vialli, Ruud Gullit, Luiz Felipe Scolari und Glenn Hoddle die Seitenoutlinie der Stamford Bridge.

Trotz hoher Ablösesumme – Potter dem Vernehmen nach nur 2. Wahl

Dass man in London bislang vornehmlich auf Startrainer gesetzt hat, sollte sich auch unter Neo-Eigentümer Todd Boehly fortsetzen, der Zinedine Zidane an die Stamford Bridge lotsen wollte. Medienberichten zufolge hat der Franzose aber abgesagt. Ebenso im Gespräch soll Mauricio Pochettino gewesen sein, der zuletzt Paris St. Germain trainiert hatte. Vor diesem Hintergrund überraschen die 23 Millionen Euro Ablösesumme umso mehr und sind vor allem darauf zurückzuführen, dass man in Brighton Potter partout nicht aus seinem bis 2025 laufenden Vertrag aussteigen lassen wollte.

Misslungenes Debüt

Am Mittwoch (14.9.2022) gab es den ersten kleinen Dämpfer, als sich die Blues zu Hause trotz großer Euphorie um den neuen Trainer an der Stamford Bridge gegen RB Salzburg mit einem 1:1 begnügen mussten. Noah Okafor sorgte für die Bullen in der 75. Minute nach Vorlage des eingewechselten Junior Adamu für den Ausgleich. Salzburg überzeugte in der Defensive, stand kompakt und agierte geschlossen, wodurch dem Favoriten aus London bei 72% Ballbesitz nur vier Torschüsse gelangen.

Platz 4 in der Premier League wohl Mindestziel

Platz 4 in der Premier League und damit der Einzug in die Champions-League gilt in dieser Saison wohl als Mindestziel, andernfalls werden die Blues im nächsten Jahr wieder auf Trainersuche gehen.

Patrick Stummer, abseits.at

Patrick Stummer