Die Spurs haben nach dem Hickhack um Redknapp und den britischen Verband sowie einem abermaligen Einbruch in der Rückrunde einen Schlussstrich gezogen. Der Kulttrainer... Wofür steht André Villas-Boas bei Tottenham Hotspur?

Die Spurs haben nach dem Hickhack um Redknapp und den britischen Verband sowie einem abermaligen Einbruch in der Rückrunde einen Schlussstrich gezogen. Der Kulttrainer verlässt den Verein diesen Sommer und ein ehemaliger Chelsea-Coach wird sein Nachfolger: André Villas-Boas. Der junge Coach konnte bei Porto vollends überzeugen, holte den UEFA-Cup und ohne Niederlage gewann er die portugiesische Liga. Bei den Londonern war ihm dieser Erfolg jedoch nicht vergönnt. Im Gegenteil, er wurde nach weniger als einem Jahr vorzeitig entlassen. Neben internen und medialen Problemen lag es auch an der mangelhaften Umsetzung seiner Spielphilosophie. Ob das bei den Spurs besser werden wird?

Das passende Spielermaterial ist da, aber nicht für die gewünschte Formation

Villas-Boas ist eigentlich ein frenetischer Anhänger des 4-3-3. Bei Porto feierte er damit große Erfolge und seine Mannschaft war auf eine asymmetrische Sturmreihe, klare Aufgabenverteilung der Mannschaftsteile und kompaktes Spiel gegen den Ball konzipiert. Oftmals wurde ihr Spielstil auch mit dem FC Barcelona verglichen. Bei Chelsea London gab es dann große Probleme: für eine hohe Verteidigungslinie waren die Verteidiger zu langsam, im Mittelfeld fehlte es an den passenden Spielertypen und im Angriff wurde viel rochiert, weil keiner konstant in Form war. Selbst Didier Drogba lebte erst gegen Saisonende wirklich auf und zeigte Weltklasseleistungen: davor war er fast wie Fernando Torres ein Schatten seiner Selbst.

Bei Tottenham besitzt er durchaus ein passenderes Spielermaterial. Mit Luka Modric, Scott Parker und Sandro Ranieri kann eine starke Doppelsechs gebildet werden. Dazu kommen mit Jermaine Jenas, Jake Livermore und Tom Huddlestone auch akzeptable Ersatzspieler, allerdings wäre dank des Neueinkaufs Gylfi Sigurdsson auch eine Umstellung auf ein 4-1-2-3 statt eines 4-2-3-1 möglich. Hierbei würden sich nicht van der Vaart und Sigurdsson um die Zehnerposition streiten, sondern einer der beiden würde neben Modric (oder, falls dieser geht, eventuell gemeinsam oder mit Parker) auf der Doppelacht spielen. Mit Huddlestone, Sandro und Parker stünden drei Spieler für die Position des alleinigen Sechsers bereit.

Das Problem liegt allerdings im Sturm. Gareth Bale auf der linken Außenbahn könnte den asymmetrischen Part wohl perfekt spielen, würde aber seiner Stärke – dem aus der Tiefe kommen – beraubt werden. Adebayor und Defoe wären zwei unterschiedliche Spielertypen für das Sturmzentrum, allerdings fehlt ein zweiter verkappter Mittelstürmer für die rechte Außenbahn. Bei Porto hatte diese Rolle Hulk inne. Aaron Lennon ist zu eindimensional und von seiner Geschwindigkeit abhängig, um diese Rolle zu spielen, während Giovani dos Santos sein Potenzial bislang nie abrufen konnte. Es wäre möglich, einen offensivstarken Mittelfeldspieler wie van der Vaart oder den Stürmer Jermaine Defoe auf den rechten Flügel zu stellen. Diese Variante wäre aber aufgrund der jeweiligen Veranlagungen nur suboptimal. Ein neuer Spieler für die rechte Außenbahn sowie ein Ersatz für den womöglich zu Real oder nach Manchester abwandernden Modric ist somit Pflicht.

Wenn Ledley King fit bleiben oder Steven Caulker sich weiterentwickeln würde, wäre die Viererkette stark besetzt. Mit Vertonghen kam hier ein moderner Innenverteidiger von Ajax Amsterdam, weitere Spieler für die Innenverteidigung gibt es mit Kaboul und Dawson ebenfalls. Dank Assou-Ekotto und Kyle Walker, zwei offensivstarken und jungen Außenverteidigern, sind die defensiven Flügel perfekt nach Villas-Boas’schen Maßstäben besetzt.

Alternativen zum 4-3-3?

Es wäre gut möglich, dass sich Villas-Boas für ein 4-1-4-1 entscheidet. Diese Formation würde eine defensive Spielweise verlangen, könnte aber dafür sorgen, dass Van der Vaart oder Sigurdsson in der Mitte spielen können. Bale und Lennon würden in ihren Wegen nicht eingeengt werden und vorne hätte Adebayor bessere Karten als Defoe. Er könnte als Zielspieler fungieren und sich mit seiner Athletik als Prellbock an vorderster Front anbieten. Gegen stärkere Mannschaften hätten sie mit Defoe auch eine weitere Option für Konter, was mit dem spielstarken Mittelfeld und den pfeilschnellen Außenspielern für zusätzliche Gefahr sorgen könnte.

Allerdings würde es überraschen, wenn sich Villas-Boas gegen seine grundlegende Fußballanschauung und Spielphilosophie entscheiden würde. Wahrscheinlicher ist es, dass das 4-4-1-1 oder das 4-2-3-1 genutzt werden wird: ähnlich wie letzte Saison, aber mit einem größeren Fokus auf die Punkte Ballrückeroberung und Ballzirkulation. Hierbei gäbe es einen offensiveren und einen defensiven Sechser (Parker/Sandro beziehungsweise Modric/Sigurdsson), einen hängenden Stürmer (Van der Vaart / Defoe) hinter Adebayor und zwischen Lennon und Bale. Inwiefern letztere vier Spieler ein geduldiges Aufbauspiel praktizieren können, ist fraglich. Allerdings ist es wahrscheinlich, dass Villas-Boas nach den Erfahrungen bei Chelsea sein Spiel etwas vertikaler und dynamischer ausrichten wird. Die ein oder andere Verpflichtung für die Bank und ein eventueller Modric-Ersatz sollten dennoch geholt werden.

Ein Ausblick

Aktuell scheint Tottenham etwas zu stagnieren – gute Ergänzungen wurden geholt, doch auch die Konkurrenz hat eingekauft. Ob es zu mehr als Platz vier reichen wird? Dies hängt sicherlich davon ab, ob Modric gehalten werden kann, wie sich die Neuzugänge auf dem Platz und daneben auf der Trainerbank einfinden. Sollte wirklich Moutinho als Modric-Ersatz herhalten und Sturridge oder Dzagoev als Alternativen und Erweiterungen für die Offensivreihe kommen, dann sind sie jedoch ein Geheimfavorit auf den Platz hinter den beiden Giganten aus Manchester. Ob solche Transfers umsetzbar sind, insbesondere ohne Champions League, scheint unwahrscheinlich. Die Stärke Tottenhams wird es in der nächsten Saison wohl sein, dass man sich im Idealfall von einem dominanten Team je nach Gegner zu einem überaus reaktiven Spielstil verändern kann und dadurch extrem gefährlich wird. Diese Unberechenbarkeit und Flexibilität könnte einer erster Schritt der medialen Rehabilitation von Villas-Boas werden – und gleichzeitig die Basis für einige Achtungserfolge in den Spielen gegen Chelsea, Arsenal, United und City legen.

Rene Maric, abseits.at

Rene Maric

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