Das war die Europameisterschaft 2016!
EURO 2016 11.Juli.2016 Daniel Mandl 0
Die Europameisterschaft 2016 ist seit gestern Abend Geschichte. Portugal bewies, dass Offensiven Spiele, Defensiven Meisterschaften gewinnen und holte sich mit zwölfjähriger Verspätung den Pokal. Die EM in Frankreich sparte nicht mit Erkenntnissen und überzeugte nicht immer mit Spannung. Wir wagen uns an eine Nachbetrachtung eines Turniers, das nicht als eines der besten in die Annalen eingehen wird.
Portugal ist Europameister…
…und Österreich ist die einzige Mannschaft, gegen die die Selecao keinen Treffer erzielen konnte. Wieso dem nicht so ist, weiß man in der Koller-Elf zwar vermutlich selbst nicht, aber Hauptsache die österreichische Fußballseele ist mit dieser Tatsache wieder ein wenig mit Honig bestrichen. Klar, dass es sich nicht primär um eine freudige Erkenntnis, sondern eher um Galgenhumor handelt, aber kaufen können wir uns drum dennoch nichts. Halten wir unsere Erwartungen doch trotz dieses schönen Sidekicks hoch und geben wir uns nicht mit unserem einzigen Pünktchen „zufrieden“, nur weil’s gegen den späteren Europameister gelang.
Ronaldo ist Europameister…
…und wie eng Freud und Leid beieinander liegen, konnte man im Finale eindrucksvoll verfolgen. Zuerst Ronaldos Knieverletzung, dann die verzweifelten Versuche, doch noch weiterzuspielen und schließlich die tränenreiche Auswechslung. Plötzlich sympathisierte die ganze Welt mit dem stark polarisierenden Weltklassekicker. „Irgendwie wär’s doch eine schöne Geschichte, wenn sie jetzt für ihn gewinnen würden“, las es sich in den sozialen Medien. Je näher das Ende des Spiels bzw. der Verlängerung rückte, desto mehr frönte der Real-Madrid-Star aber wieder seiner Selbstdarstellung. Die Szene als Ronaldo in Trainermanier in der Coaching Zone und darüber hinaus herumhumpelte und –hopste, kann keinem Trainer egal sein. Trotzdem war Ronaldo für Fernando Santos untouchable, wie schon einst Drogba für Di Matteo. Standing hin oder her – den Disziplinenausflug in die Welt der UEFA-A-Lizenz kann sich jeder sparen, der noch seine Fußballschuhe schnürt.
Eine gar nicht so erfolgreiche Nation ist Europameister…
Das 2:0 über Wales war der einzige tatsächliche Sieg nach 90 Minuten für die Portugiesen. Unentschieden gab es gegen Island, Österreich, Ungarn, Kroatien, Polen und schließlich auch im Finale gegen Frankreich. Entscheidungen fielen erst in der Verlängerung oder im Elfmeterschießen. Wäre nach dem alten Modus gespielt worden, hätte sich Portugal nicht für die K.O.-Phase qualifiziert. Der einzige wirklich „gültige“ schwarze Fleck, denn mit unansehnlichem Fußball haben auch andere Mannschaften schon Turniere gewonnen. Sowohl auf Nationen-, als auch auf Klubebene. Unter anderem die Griechen 2004, die beim Gastgeber ähnlich unattraktiv den Pokal holten, wie die Portugiesen beim Gastgeber des 2016er-Turniers.
Offensiven gewinnen Spiele…
…Defensiven Meisterschaften. Auch diese Uralt-Binsenweisheit hat sich wieder mal bewahrheitet. Je näher der große Tag rückte, desto konsequenter wurde Portugals Hintermannschaft. Es wurde nach und nach immer weniger zugelassen, das Bespielen der portugiesischen Defensive wurde für die im Laufe des Turniers natürlich auch immer müder werdenden Gegner schwerer und schwerer. Fernando Santos hat seinem Team gut eingeimpft, dass ruhig die anderen laufen sollen und die Dosis das Gift macht. Nicht umsonst holte die einzige Mannschaft, die drei Verlängerungen wegstecken musste, den Pokal. Portugal war nicht das beste Team des Turniers, aber mit Sicherheit das cleverste.
Clever waren die wenigsten…
Schon nach der Vorrunde war klar: Das berühmte „Vercoachen“ wird zu einem Unwort der EM werden. Taktische Horrorleistungen von Hodgsons Engländern, Wilmots Belgiern oder teilweise auch Del Bosques Spaniern prägten das gesamte Turnier. Eine Nationalmannschaft zu coachen ist im Vergleich zur Betreuung einer Vereinsmannschaft wie eine andere Disziplin innerhalb des Fußballs. Dies musste man ob der im Großen gedachten Konzeptlosigkeit einiger Mannschaften gramgebeugt zur Kenntnis nehmen. Wirklich interessant werden derartige Turniere wieder, wenn sich auch Konzepttrainer an Landesauswahlen heranwagen. Das könnte allerdings noch ein wenig dauern und so werden leider vorerst weiterhin hauptsächlich Dinosaurier von außen die Hymne mitschmettern.
Kampfeslustig und schräg: Die Gewinner der Herzen
Ausgerechnet der Erstversuch mit 24 Mannschaften wurde entscheidend von den kleineren Nationen mitgeprägt. Island gewann im Sturm die Herzen, Nordirland-Reservist Will Griggs erhielt den kultigsten Schlachtgesang des Turniers und Colemans Waliser kämpften sich bis ins Halbfinale vor und blamierten damit trotz Vorrundenniederlage den großen Bruder aus England, den’s schon deutlich früher erwischte, bis auf die Knochen. Nicht zu vergessen ist auch, dass mit den Portugiesen – ebenfalls eine sehr kampfeslustige Truppe – nicht gerade ein großer Favorit den Titel holte. Dennoch gewann die portugiesische Nationalelf mit Fortdauer des Turniers an Sympathien, weil sie den von einem ungarischen Journalisten geprägten „100% sind das Minimum“-Leitspruch gut wiedergaben. Von einem wirklich unverdienten Titel sprechen demnach jetzt auch die allerwenigsten.
Too much
51 Spiele sind zu viel. Durch die Teilnahme von 44% aller UEFA-Verbände wird nicht nur das Turnier entwertet, sondern auch der Modus ad absurdum geführt. Die Parallelspiele an den letzten Spieltagen der Vorrunde waren an organisatorischer Idiotie kaum zu überbieten. Die ersten Zwei sollen rauf und basta! Dann erspart man sich eine Null-Siege-Diskussion wie mit Portugal oder seltsame „nicht höher verlieren“-Ansätze, wie sie die Nordiren gegen Deutschland verfolgten. Nicht umsonst hat das Turnier trotz hoher Underdog-Dichte den schlechtesten Torschnitt seit 20 Jahren und war allgemein kein Leckerbissen. Das Konzept mit 16 Teams und dem Viertelfinale unmittelbar nach der Gruppenphase war schon in Ordnung und schaffte es auch, die kleinere EM deutlicher von der größeren WM zu distinguieren. Natürlich geht’s um Vermarktung und das Ziel der UEFA war es nun mal mehrere Spiele unterzubringen. Aber das ginge auch mit anderen Konzepten, etwa einer ausgeklügelten Variante einer B-EM.
Angesagte Revolutionen finden nicht statt
Anfänglich gab’s Schreckensmeldungen über Hooligan-Attacken in Marseille, aber die französischen Veranstalter bekamen das Problem in den Griff und insgesamt darf man auf ein recht friedliches Fußballwelt zurückblicken. Die befürchteten Terrorangriffe blieben aus, aus den Fanzonen erzählen die EURO-Veteranen unter den Fans nur das Beste. Frankreich darf trotz der Finalniederlage stolz sein, ein weitestgehend pulsierendes Fußballfest veranstaltet zu haben.
Das Kreuz mit den Kommentatoren
Noch viel mehr Leute blieben jedoch zu Hause vor den Schirmen sitzen und lauschten wahlweise Polzer und Co. oder Réthy und Co. Man hatte mal wieder so manchen mühsamen Moment, wenn man tiefer in der Materie verwurzelt ist. Etwa wenn Thomas König beim EM-Finale zum dritten Mal Joao Mario mit Ricardo Quaresma verwechselte und auch sonst nicht gerade firm im Erkennen der Protagonisten und Ereignisse ist. In diesem Fall extraärgerlich, weil er es selbst gar nicht merkte und sich somit auch nur selten korrigierte. Aber gleichzeitig muss für ihn und einige seiner jüngeren Kollegen eine Lanze gebrochen werden, denn (wohl auch aufgrund der höheren Kritikfrequenz dank sozialer Medien) die Selbstironie in der ORF-Sportredaktion nahm bei diesem Turnier deutlich zu und war durchaus erfrischend. Einerseits während der Partien, andererseits auch im Studio: Während Pariasek, Mählich, Prohaska und Payer anfänglich noch etwas verkrampft wirkten, wurde das Studio über die Wochen immer mehr zum Wohnzimmer. Es wurde mit der Zeit witziger, man nahm sich nicht mehr so ernst. Man könnte fast sagen, dass das Team mit Fortdauer des Turniers „menschlicher“ wurde. In Wahrheit waren einige der Kicks mit der Zeit nicht mehr mitanzusehen und das sah man auch den Präsentatoren an, ohne dass diese destruktiv wurden. Insgesamt trafen alle Beteiligten über weite Strecken den richtigen Ton bzw. die richtige Stimmung und das ist gut so.
Kaum Emotionalität
Frühestens nach dem 0:2 gegen Ungarn und spätestens nach dem 1:2 gegen Island kehrte in den Wohnzimmern auf der anderen Seite des Bildschirms Wurschtigkeit ein. Großereignisse sind schwierige Wochen für Online-Analysten und (einige) Onlinemedien. Wenn der Schlusspfiff einer Partie ertönt, fühlt sich der Zuseher fertig unterhalten und macht sich keine großen Gedanken mehr, was da eigentlich gerade auf dem Platz los war. Eine umfassende Taktik- und Positionsanalyse zum Vorrundenspiel zwischen Irland und Schweden ist 99,9% der Konsumenten ebenso wurscht, wie eine ausgiebige Analyse über die ungarische Viererabwehrkette im Vorfeld des Turniers. Vier Wochen Berieselung ist angesagt. Somit ist es für Analysten und einigermaßen an Ernsthaftigkeit interessierten Schreiberlingen – respektive: z.B. uns – sehr schwierig bei einer EM an Reichweite zu gewinnen. Diese bekommt man, wenn die Coverstory beispielsweise Joachim Löws olfaktorische Geisterbahnfahrt in der eigenen Hose oder Cristiano Ronaldos neuer Hausfalter sind. Jede noch so kleine Analyse (im tatsächlichen Sinn des Wortes) über den Herzensverein zieht besser, als jede Analyse, die man während einer EURO herstellen kann. In diesem Sinne: Wir sind jetzt echt froh, dass es vorbei ist und freuen uns auf die angehende Europacup- und Bundesligasaison! 🙂
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Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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