Vier Tore in drei Partien – auch der gestrige EM-Tag verlief nicht gerade berauschend, allerdings etwas facettenreicher als der zweite Turnier-Tag. Zu gefallen wusste... Der torarme dritte EM-Tag: Boatengs Nachbarschaftsdienst und Corlukas Ausflug ins Kriegsgebiet

Bastian Schweinsteiger (Deutschland, Borussia Dortmund)_abseits.atVier Tore in drei Partien – auch der gestrige EM-Tag verlief nicht gerade berauschend, allerdings etwas facettenreicher als der zweite Turnier-Tag. Zu gefallen wusste vor allem der Weltmeister, der eine überraschend starke ukrainische Mannschaft am Ende doch recht souverän in die Schranken wies.

Doch der Reihe nach. Der erste Anzug der Kroaten scheint weitgehend zu sitzen. Die Türken gaben allerdings einen besseren Sparring-Partner ab, blieben enttäuschend. Der türkische Keeper Volkan Babacan verhinderte zusammen mit Aluminium eine höhere Niederlage und die Türkei ist in dieser Form wohl kein Aufstiegskandidat.

Modric trifft, Perisic marschiert auf links

Anders die Kroaten, wenn auch mit Schönheitsfehlern. Das zentrale Mittelfeld ist erwartungsgemäß stark, wird von den Stars Modric und Rakitic getragen, dazu vom unauffälligen, aber soliden Milan Badelj gestützt. Auch die Flügel wissen zu gefallen: Brozovic blieb auf rechts etwas glücklos, Ivan Perisic spielte links jedoch eine Top-Partie. Fraglich ist, wie stark die Zweitbesetzung der kroatischen Offensive ist. Hier gibt es zwar einige tolle Talente, aber auch viele Fragezeichen.

Nicht gerade Wellness für Corluka

Die Abwehr der Cacic-Elf dürfte ebenfalls halten. Einen besonders schweren Arbeitstag erwischte Vedran Corluka, der zu Spielende aussah, als hätte er gerade Sommerferien in einem südsudanesischen All-Inclusive-Club gemacht. Blutüberströmt und ob der zahlreichen Schläge auch schon leicht wankend verließ der Innenverteidiger schlussendlich als Sieger den Platz.

Streit im kroatischen Team?

Dennoch hatte man den Eindruck, dass das Teamgefüge bei den Kroaten nicht hart wie Granit ist. Es gab viele kleine Diskussionen, teilweise gegenseitige Schuldzuweisungen. Eine gesunde Streitkultur ist in einer Mannschaft durchaus wichtig, aber bei den Kroaten hatte es den Eindruck, dass diese Streitkultur auch schnell umschlagen kann. Die größeren Härtetests werden zeigen, was an dieser Vermutung dran ist.

Dread Locks verboten

Im weiteren Verlauf des Turniers etwas gut zu machen hat Fenerbahce-Youngster Ozan Tufan. Der wurde unmittelbar vor Luka Modric‘ entscheidenden Volley-Tor dabei erwischt, wie er sich mehr um seine Frisur kümmerte, als Modric am Abschluss zu hindern. Der nächste Gegner der ohnehin nicht gerade berauschenden Türken sind die Spanier und gegen die sollte man sich davor hüten, innerhalb der 90 Minuten Dreads oder ähnliches zu flechten.

Zähe Kost

Polen gegen Nordirland. Ein Spiel wie auf einer schiefen Ebene, in dem anfänglich stark wirkende Polen leichtes Spiel haben würden. Aber weit gefehlt, denn das zermürbende Anti-Spiel der Nordiren nagte irgendwann auch am Nervenkostüm der „Bialo-Czerwoni“. Im 4-4-1-1 der Polen war dauerhaft nur Freigeist Arek Milik ein Gefahrenherd. Er war es auch, der in der 51.Minute die Lücke fand und mitten ins Herz der brav kämpfenden, aber nicht anzuschauenden Nordiren traf.

Polen spielerisch nicht ruhig genug

Die Polen haben grundsätzlich Qualität, sind aber als Mannschaft noch nicht weit genug, Druck über eine längere Zeit aufzubauen. Demnach wird es für die Nawalka-Elf auch gegen die Ukraine nicht leicht werden, wenngleich dieses Spiel eine andere Gestalt haben wird. Die Polen werden in allen weiteren Spielen des Turniers deutlich mehr Platz vorfinden und dann vielleicht ein spielerisch weniger entnervtes Gesicht zeigen. Nordirland ist erwartungsgemäß nur ein EM-Passagier und muss sich auch weiterhin aufs Verhindern verlagern. Das ist nicht schön, aber für diese Mannschaft das einzig mögliche.

Kroos und Boateng mit fantastischen Pässen…

Deutschland zeigte im siebenten Spiel der EURO von allen bisher angetretenen Mannschaften die beste Leistung. Der Weltmeister zog ein unheimlich sicheres Passspiel auf und glänzte mit perfekten Spielverlagerungen. Vor allem Toni Kroos und Jerome Boateng – einer von den beiden könnte ihr Nachbar sein, falls sie in Deutschland leben – schüttelten phasenweise Wechselpässe zum mit der Zunge schnalzen aus dem Fußgelenk.

…und Akrobatik!

Letztgenannter sorgte für die bisher akrobatischste Einlage des Turniers, als er einen sichergeglaubten Treffer für die Ukraine im Retourfallen noch vor der Linie rettete. Eine Szene, die der Bayern-Defensivspieler noch seinen Nachbarn genauer schildern muss, denn diese hätten sich bei diesem Rettungsversuch mindestens drei Knochen gebrochen, zwei Muskeln eingerissen und schließlich noch das Syndesmoseband, von dem keiner so genau weiß wo es ist, überdehnt.

Mustafi als Gewinner des Spieltags

Speziell was die Deutschen in der zweiten Halbzeit zeigten, hatte schon Klasse. Dass der große Führungsspieler der letzten Weltmeisterschaft, Bastian Schweinsteiger, in der Schlussminute für die Entscheidung sorgte, wird dem Spirit der DFB-Elf gut tun. Der große Gewinner des gestrigen Abends war aber Shkodran Mustafi, der seine Aufstellung anstelle von Mats Hummels mehr als nur rechtfertigte. Der Sohn albanischer Eltern erzielte das wichtige 1:0 selbst und leitete das 2:0 mit ein.

Wie löst Löw das Stürmer-Problem?

Probleme könnte Deutschland an vorderster Front bekommen. Wenn der geschätzte ORF-Kommentator auch sonst keine Details oder taktische Facetten der Abendpartie mitbekam, dann wenigstens, dass Mario Götze in keiner guten Verfassung ist. Dem Bayern-Kicker fehlt die Leichtigkeit, die Selbstverständlichkeit und wohl auch ein wenig die Variabilität. Götze rochierte für einen falschen Neuner zu wenig, hätte durchaus von Zeit zu Zeit mit Müller tauschen können. Stattdessen hingen beide eher in der Luft, wobei Müller speziell defensiv eine tolle Partie machte. Auf Deutschlands Plan B im Sturmzentrum darf man jedenfalls gespannt sein – sehen werden wir garantiert einen.

Ukraine sehr zielgerichtet

Keinesfalls dürfen wir aber auf die Ukraine vergessen. Der Underdog präsentierte sich körperlich und auch taktisch sehr stark und schaffte es, den Weltmeister in der ersten Halbzeit immer wieder hinten rein zu drängen. Ohne einen herausstechenden Kicker, hievte sich die Elf von Mykhailo Fomenko stets Meter für Meter nach vorne, spielte erfrischend zielgerichtet und holte mit diesem Stil beispielsweise zwölf Eckbälle heraus.

Drei Grundprobleme im ukrainischen Spiel

Drei grundlegende Probleme waren im Spiel der Ukraine dennoch zu beobachten:

– Auch wenn die Deutschen zu den besten Gegenpressing-Mannschaften der Welt gehören, schafften es die Gelb-Blauen nie Stabilität in ihr Ballbesitz zu bringen. Dies gilt speziell für die Außenpositionen, an denen man nie für Ruhe und Ballsicherheit sorgen konnte, aber auch für den sonst passsicheren Innenverteidiger Yaroslav Rakitskiy, der sich zu sehr stressen ließ.

– Die Effizienz bei Standardsituationen lässt zu wünschen übrig. Obwohl man gegen einen hohen Favoriten wie Deutschland enorm viele Standards „zog“, wurde man viel zu selten daraus gefährlich. Das ist gerade für eine solch robuste Mannschaft eher ein Armutszeugnis.

– Die Qualität der Vertikalpässe durch die Mitte war zu gering. Dies hat aber auch damit zu tun, dass Roman Zozulya nicht gerade eine Stürmer-Koryphäe ist und wohl auch als größte Schwachstelle der ukrainischen Mannschaft anzusehen ist.

Ukraine dennoch voll dabei im Kampf um den Aufstieg

Nichts desto trotz wird diese Mannschaft den Polen gehörig zusetzen und schon jetzt geben wir den Tipp ab, dass Evgen Konoplyanka beim Aufeinandertreffen mit Nordirland zum Man Of The Match gewählt werden wird. Gruppe C hat eine Top-Mannschaft, ein schwaches Team und bleibt dennoch sehr spannend.

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen

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