Die Rolle von David Alaba im Spiel gegen Portugal: Opfer des Systems?
EURO 2016 19.Juni.2016 Alexander Semeliker 1
Im zweiten Gruppenspiel der Europameisterschaft holte das österreichische Nationalteam ein äußerst glückliches 0:0-Unentschieden gegen Portugal. Eine besondere Rolle spielte David Alaba, der statt Zlatko Junuzovic im offensiven Mittelfeld spielte. Dabei zeigte sich einmal mehr, dass Positionen und Rollen zwei unterschiedliche Dinge sind.
Während viele Medien und vor allem die Fans die Leistung von Alaba sehr kritisch und unterirdisch sahen, verteidigte Teamchef Marcel Koller seinen Starspieler im Interview nach dem Spiel. Dennoch wurde er 25 Minuten vor dem Schlusspfiff ausgewechselt. Wir haben uns seine Rolle genauer angesehen.
Österreichs reaktiver Matchplan
Das ÖFB-Team agierte erwartungsgemäß defensiver als beim Auftakt gegen Ungarn. Zwar hat man sich unter Koller in den letzten Jahren zu einem aktiven, dynamischen Kollektiv entwickelt, eine tiefe Ausrichtung sah dennoch regelmäßig – gerade gegen spielstarke Teams. Anders als in den meisten dieser Partien, wo man trotz einer tiefen Grundordnung aktiv gegen den Ball arbeitete, war Österreich gegen Portugal eher passiv. Man suchte im Mittelfelddrittel nicht den Zugriff, sondern versuchte durch kollektives Verschieben die Räume zuzustellen. Gelungen ist das dem ÖFB-Team praktisch nicht.
In diesem Bild sieht man die Ausrichtung und ihre Probleme. Alaba und Martin Harnik attackieren den Ballführenden nicht, sondern positionieren sich zentral am Mittelkreis. Damit wird verhindert, dass der Gegner bereits aus der ersten Aufbaulinie flach und kontrolliert in Richtung Sturmzentrum passen kann.
Auf den ersten Blick ist das hier nicht notwendig, da unmittelbar hinter den beiden ÖFB-Sturmspitzen die beiden Sechser lauern. Aufgrund der Positionierungen der portugiesischen Achter neben den beiden österreichischen Stürmern könnte eine andere Stellung von Alaba und Harnik jedoch dafür sorgen, dass eben jener Pass direkt ins Sturmzentrum möglich wäre. Wie man am obigen Bild erkennt orientieren sich Julian Baumgartlinger und Stefan Ilsanker zu den portugiesischen Achter, wodurch der Kanal von der ersten Aufbaulinie ins Sturmzentrum etwas geöffnet wird.
Somit blieben Alaba und Harnik passiv, mussten dem Ball meist hinterherschieben. In vielen Szenen, zum Beispiel der obigen, konnte Portugal problemlos auf ihre rechte Seite spielen und von dort aus dann über lokale Überladungen nach vorne kommen.
Unterstützung der Sechser
In tieferen Zone bekamen die portugiesischen Aufbauspieler noch mehr Räume, da Harnik alleine quasi die gesamte Breite abdecken musste. Alaba rückte nämlich oft eine Linie zurück, half Baumgartlinger und Ilsanker beim Sichern des Sechserraumes. Mit dem so entstandenen breiten 4-5-1 konnte Österreich zwar bei einen Pass auf Cristiano Ronaldo sofort diesen attackieren und schränkte so seine Kreise ein. Es entstanden aber andere Schwachstellen, die Portugal ausnutzte und Ronaldo eben über diese Wege in der Gefahrenzone dominieren konnte.
Dieses Bild zeigt die Entstehung einer sehr guten Möglichkeit in der ersten Halbzeit, als Portugal auf die linke Seite verlagerte, dort in Überzahl durchbrach und einen Querpass auf Ronaldo im Strafraum spielte. Man erkennt, dass Alaba nicht neben Harnik presst, sondern sich nach hinten orientiert. Dadurch bekommt der portugiesische Sechser viel Platz und kann die Torchance einleiten.
Man erkennt zudem, dass sich Österreich offenbar sehr stark auf Ronaldo konzentrierte. Der Superstar der Portugiesen bindet hier gleich vier österreichische Defensivspieler. Dringt also, wie in dieser Szene, ein anderer ein Mitspieler zusätzlich mit Tempo in diese Zone ein, dann würde das die Dynamik um Ronaldo schnell erhöhen. Dementsprechend wurde dieser Spieler von einem weiteren Österreicher, hier Alaba, übernommen.
Auch dieser Mechanismus passt zum reaktiven Matchplan Kollers. Alaba hätte ohne weiteres gemeinsam mit Harnik Druck ausüben können, dadurch hätte man zwar eine bessere Chance auf Zugriff, wofür aber eine entsprechende Absicherung gewährleistet werden müsste. Durch den hohen Fokus der Einzelspieler auf Ronaldo, hätte das aber potenziell wohl noch mehr Räume für dessen Nebenspieler gegeben. Am obigen Bild erkennt man nämlich einerseits, dass die Portugiesen auf ihrer linken Seite in Überzahl sind. Würde Alaba den Lauf von Ricardo Quaresma nicht verfolgen, dann wäre das auch auf der gegenüberliegenden Seite der Fall.
Schwächen im Verbindungs- und Passspiel
Gerade im Spiel gegen den Ball war die Rolle von Alaba also durchaus kompliziert zu spielen und in allen Punkten kaum zu erfüllen. Andererseits bekleckerte sich der ÖFB-Star in seinen Offensivaktionen auch nicht mit Ruhm. Er zeigte sowohl individuelle als auch gruppentaktische Fehler. Normalerweise ist er eine sehr zuverlässige Anspielstation und Angriffe versanden eher aufgrund technischer Probleme seiner Kollegen.
In diesem Spiel waren allerdings auch Alabas Ballan- und mitnahmen oft ungewohnt unsauber, wodurch mögliche Kontersituationen früh verpufften. Außerdem wirkten seine Aktionen oft überstürzt. Die Konsequenz: er spielte in 65 Minuten nur 19 Pässe und dabei lediglich auf eine unterirdische Passquote von 52,6%. Unterirdische Werte – insbesondere für einen der besten österreichischen Spieler der Geschichte.
Wie schon im ersten Gruppenspiel gegen Ungarn gab es zudem zwischen ihm seinen Mitspielern erneut einige unzusammenhängende Aktionen, die zusätzlich dafür sorgten, dass das österreichische Spiel nie wirklich in Fluss kam. Hier ein Beispiel.
Die erste Aufbaulinie der Österreicher wird hier von Portugal aggressiv angepresst. Die Außenverteidiger unterstützen die beiden Sechser und die beiden Innenverteidiger. Alaba und der Rest des Teams stehen jedoch sehr weit vorne, sodass sie nicht anspielbar sind, obwohl Österreich augenscheinlich von hinten rausspielen und nicht den Ball nach vorne dreschen möchte.
Nicht die klassische Junuzovic-Rolle
Nach der Auswechslung Alabas bekleidete Alessandro Schöpf diese Position, interpretierte sie allerdings etwas anders. Im Spiel gegen den Ball ließ er nicht so weit nach hinten fallen und auch wenn das ÖFB-Team den Ball hatte wirkte er in dieser Rolle komfortabler. Er wich häufiger auf die Seite aus, war nicht so hektisch am Ball. Er spielte und bewegte sich nicht stur in die Tiefe, sondern versuchte gegebenenfalls das Tempo etwas herauszunehmen.
Möglicherweise hatte Schöpf den Vorteil, dass er eine ähnliche Rolle bereits beim 1. FC Nürnberg über längere Zeit ausfüllte. Alaba agierte zwar im Nationalteam schon das eine oder andere Mal im zentralen offensiven Mittelfeld, weshalb das landläufige Argument, er spiele bei Bayern und auch sonst im Nationalteam woanders, etwas ins Leere zielen. Seine Aufgaben waren im Spiel gegen Portugal schlicht deutlich andere als es beim ÖFB-Zehner sonst der Fall war.
Gerade im Spiel gegen den Ball ist Österreich üblicherweise deutlich offensiver ausgerichtet. Somit kann man hier nicht von der klassischen Junuzovic-Rolle. Auch der Werder-Legionär war in der Vergangenheit eher unauffällig, wenn Österreich passiver agierte. Für eine langfristige Stabilität dieses Matchplans wären also ohnedies noch viele Trainingseinheiten nötig. Gestern kam man noch mit einem blauen Auge davon.
Alexander Semeliker, abseits.at
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