Die Gruppenphase ist vorbei, Zeit für einen kurzen taktischen Rückblick. Wir haben für euch jedes Team kurz analysiert und die taktischen Vorkommnisse zusammengefasst.
Gruppe A
Die Franzosen bewiesen, dass sie eine grundlegend gute Mannschaft sind. Im Pressing ist man intensiv und hat einige gute Abläufe, die den Aufbau ihrer Gruppengegner weitestgehend stören konnten. Im eigenen Aufbau hat man jedoch deutliche Verbindungsprobleme, konnte das bis zum letzten Spiel, als man im 4-3-3 mit Cabaye als Sechser auflief, nicht wirklich ändern. Gegen Albanien entstanden teilweise sogar 6-0-3-1 Staffelungen, was beim Zuschauen sehr wehtat. Durchschlagskraft und Chancen erspielt man sich primär durch individuelle Aktionen, mannschaftlich sah man hier nur wenig.
Die Schweizer agierten durchwegs kontrolliert und durchschnittlich, in Offensive wie Defensive. Im Aufbau kippt Xhaka oder Behrami ab, jedoch fächert man dabei nicht allzu breit auf, was Probleme gegen höher pressende Mannschaften geben könnte. Im stabilen, aber sehr biederen 4-2-3-1 konnte man meist nur durch Individualität, ähnlich wie die Franzosen. Problem: viele besondere Individualisten hat man nicht.
Die Albaner zeigten vor allem gegen Frankreich eine aufopfernde Leistung in der man sehr tief im 4-1-4-1 verteidigte. Gegen Ende dieser Partie und gegen die Schweiz konnte man immer wieder über rechts mit Hysaj gute gruppentaktische Aktionen im Ballbesitz zeigen, alles in allem fehlt es hier jedoch vor allem mit Ball an einem klaren Plan der über simples Konterspiel hinausgeht.
Die passiven Rumänen agierten wie erwartet, meist im 4-4-2 im eher tieferen Mittelfeldpressing. Hier fehlte vor allem die Intensität, gegen die Schweiz zum Beispiel schaffte man es aber trotzdem den Gegner eben mit dieser leitenden Passivität durchaus in ungünstige Positionen zu bringen. Das Angriffsspiel offerierte wenig neben den vielen weiten hoch oder entlang der Linie gespielten Pässen.
Gruppe B
Wales überzeugte im 3-4-2-1 mit tiefem Mittelfeldpressing mit guten Abläufen, man agierte sehr flexibel und optionsorientiert. Im Ballbesitz hatte man ebenfalls einen klaren Plan, Ramsey und Allen zogen gemeinsam die Fäden, während man vor allem durch Bale und seinen wechselnden Sturmpartnern Durchschlagskraft erzielte.
England im 4-3-3 zeigte vor allem im Ballbesitz eine ansprechende Leistung, man war dominant und hatte meist gute Verbindungen, wenngleich man in der Entscheidungsfindung und im Positionsspiel je nach Personal manchmal unsauber agierte.
Die Slowaken zeigten rund um Hamsik ein gutes offensives Umschaltspiel. Im 4-1-4-1 ist man vor allem stark, wenn man mit hohem Tempo Angriffe vortragen kann. Trotz der Formation schafft man es in der Defensive jedoch aufgrund von schwachen, oft mannorientierten Abläufen im Pressing es nicht die Halbräume effektiv zu verschließen.
Russland bot der Euro außer Roman Neustäder, der (natürlich) auch im Osten falsch verstanden wird, gar nichts. Im 4-4-1-1 agierte man zu simpel, zu mannorientiert, einfach zu viel von allem was schlecht ist.
Gruppe C
Die Deutschen sind eigentlich sehr variabel in Personal und Formationsmöglichkeiten, zeigten dies jedoch kaum. Im 4-2-3-1 agierte man alle drei Spiele und dies auch, im Verhältnis zu den Möglichkeiten, recht simpel. Joshua Kimmich stach im letzten Gruppenspiel heraus, könnte von der Variabilität seines Spiels den so wichtigen Philipp Lahm nahtlos ablösen. Man agiert im Ballbesitz sehr dominant, hat jedoch durchaus seine Probleme effektiv Chancen herauszuspielen.
Die Polen waren wie erwartet sehr konterfokussiert. In ihren Mannorientierungen im Pressing agieren sie sehr konsequent und intensiv. Bartosz Kapustka zeigte am offensiven Flügel auf, mehr von ihm zu sehen würde die EURO sicher bereichern.
Die Nordiren fokussieren sich sehr auf lange Bälle im Angriffsspiel, in der Defensive geht es vor allem um Einsatz und Härte. Formationsmäßig stellte Trainer O’Neill gegen die Ukraine auf 4-3-3 um und wechselte auch personell durch. Man gewann die Partie 2:0, war jedoch alles in allem nicht überzeugend.
Die Ukrainer enttäuschten durch ihre allzu simple Spielanlage, zu sehr verließ man sich auf die zwei Flügeldribbler Konoplyanka und Yarmolenko. In der Defensive entstanden durch schwach ausgeführte Mannorientierungen große, einfach zu bespielbare Löcher, in der Offensive war die Last wie gesagt für die beiden Flügelspieler zu groß.
Gruppe D
Die Kroaten überzeugten nie durchwegs über 90 Minuten, haben jedoch einen hervorragenden Kader und konnten vor allem gegen Tschechien mit starkem Ballbesitzspiel überzeugen. Im 4-2-3-1 übernahmen Badelj und Modric die Verantwortung im Aufbau und taten dies strategisch hervorragend. Die Verletzung des Letztgenannten wiegt jedoch natürlich schwer. Im defensiven Umschaltmoment hat man noch Probleme, ebenso im höheren Pressing, die Spanier sie vor allem vor dem 1:0 entblößen konnten.
Die Spanier wurden bis zur Niederlage gegen Kroatien als wahrscheinlich stärkste Mannschaft eingeschätzt. Im 4-1-4-1/4-3-3 agiert man flexibel in der Pressinghöhe und die Linkslastigkeit rund um Iniesta sorgt für enorme Durchschlagskraft. Im Ballbesitz ist man wie immer dominant, jedoch hat man das Flanken ebenso für sich entdeckt, was man bisweilen jedoch (nicht so arg wie viele andere Teams, aber dennoch) inflationär betreibt.
Bei den Türken war der große Lichtblick Emre Mor, der vom BVB gekauft wurde. Im 4-3-3/4-2-3-1 Hybrid kann man weder klare und wirksame Abläufe im Pressing oder im Ballbesitz erkennen, für die teilweise durchaus hohe individuelle Qualität zeigten die Türken nur vereinzelt gruppentaktische Highlights. Mannschaftstaktisch ist man insgesamt schwach.
Die Tschechen ließen von ihrer offensiv ausgerichteten Strategie ab und versuchten sich Punkte zu ermauern. Dies gelang aufgrund der schwachen Abläufe im Pressing nicht. Zu viele, schwach ausgeführte Mannorientierungen verursachten Kompaktheits- und Zugriffsprobleme die sich, bis auf die erste Halbzeit gegen Spanien, durch alle drei Spiele zogen.
Gruppe E
Die Italiener zeigten sich einmal mehr von der pragmatischen Seite. Mit einem umstrittenen Kader zeigte man perfekt einstudierte Abläufe im Pressing wie im Ballbesitz. Auch gegen nominell schwächere Gegner spielte man vorsichtig, gegen die Schweden sah es lange nach einem Unentschieden aus. Die Italiener sind strategisch wie so oft hervorragend, gegen stärkere Gegner wird dies noch mehr passen.
Die Belgier zeigten vor allem in der Offensive nur Stückwerk. Vieles wirkt unangebunden und improvisiert, man lebt von der individuellen Qualität der Spieler. In der Defensive ist man anfällig, wurde jedoch noch nicht ausreichend qualitativ getestet, dass sich dies negativ auswirkt.
Die Iren sind eine simple Mannschaft, die über Kollektivität und Einsatz kommen. In der Offensive richtete man hauptsächlich hohe Bälle auf Einzelstürmer Shane Long, wenn man etwas Platz hatte ging´s auch über die Flügel. Die Belgier konnte man lange Zeit lahm stellen durch konsequente und intensiv ausgeführte Mannorientierungen. Alles in allem ist man jedoch taktisch eher schwach.
Schweden zeigte ebenso wie Irland kaum Durchschlagskraft, konnte die Fähigkeiten von Forsberg und Ibrahimovic nicht richtig einbinden. Zu sehr war man abhängig von der eigenen Physis, weder im Pressing noch im Ballbesitz zeigte man Besonderheiten und schied schlussendlich aus.
Gruppe F
Die Ungarn agierten im Pressing bezüglich dessen Höhe flexibel, konnte auch im Ballbesitz immer wieder gute gruppentaktische Bewegungen zeigen. Vor allem das erste Spiel gegen Österreich dominierte man durchwegs, auch gegen Island war man stärker. Die große Überraschung des Turniers, auch taktisch durchaus interessant.
Island zeigte sich im 4-4-2 von der vorsichtigen Seite, man war prinzipiell auf Risikovermeidung aus. Schnelle Konter und einstudierte Standard-Varianten sind die große Stärke, ebenso das tiefe Pressing, sofern der Gegner die Halbräume nicht effektiv nutzt.
Die Portugiesen agieren im Aufbau sehr sauber, sind in der Chancenvorbereitung jedoch nicht kollektiv genug. Zu viel hängt von individuellen Aktionen ab, was nicht wirklich erfolgsstabil ist und meist zu unsauberen Abschlusspositionen führt. Im defensiven Umschaltmoment zeigte man sich etwas anfällig, wie zum Beispiel im Spiel gegen Island.
Die Österreicher schafften es vor allem im Ballbesitz lange nicht die richtige Struktur zu finden. Im Pressing agierte man gegen Portugal etwas besser als noch gegen die Ungarn, jedoch auch nicht über 90 Minuten. Erst die zweite Halbzeit gegen Island konnte man aufgrund der erhöhten Intensität Dominanz aufbauen, die jedoch nicht stabil war und zu nicht mehr als einem Tor führte. Das Turnier war „zu kurz“ für die Österreicher, die sich schrittweise verbesserten.
David Goigitzer, abseits.at
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