denisdenisNach unserem Paris-Wochenende als ganze Familie mussten wir wieder einige Tagen aus Termingründen und Meetings im  Büro verbringen, doch am Dienstagabend war es wieder... EM-Tagebuch aus Paris (18): Das große Finale in Saint-Denis

Stadion Stade de France Saint DenisdenisdenisNach unserem Paris-Wochenende als ganze Familie mussten wir wieder einige Tagen aus Termingründen und Meetings im  Büro verbringen, doch am Dienstagabend war es wieder soweit! Paris bzw.Saint-Denis wir kommen!

Per Auto ging es nach Stuttgart, von dort mit dem TGV via Karlsruhe und Strasbourg nach Paris, eine Nacht im Zentrum von Paris und mit TGV und Auto den gleichen Weg wieder zurück!

Schon am Hauptbahnhof Stuttgart fiel uns um 5:30 Uhr auf: In dem Zug fährt ein Teil der rot-weiß-roten Invasion! Nach knapp vier Stunden Zugfahrt  kamen wir in Paris Gare de l´est an und bezogen nach kurzem Spaziergang und einem Bistrobesuch unser Zimmer im Hotel Ibis Gare de Nord. Auf den ersten Schritten war klar: Paris ist eindeutig und fest in österreichischer Hand! Wieder warfen wir uns in unsere rot-weiß-rote Fankluft und machten einen Spaziergang zum vermeintlichen Fantreffpunkt in Montmatre.

Je näher wir Sacré-Coeur kamen umso deutlicher wurde die Übermacht der Österreicher, Isländer hatten wir bis dahin genau gezählte fünf getroffen – ein Heimspiel im Stade de France war zu vermuten! Unmittelbar vor und in der Umgebung von Sacré-Coeur war alles in roten Österreich-Shirts, vereinzelt auch weiße Away-Shirts und vor allem Fahnen und Schals getaucht – die Treppe zur Kirche hinauf war sprichwörtlich rot-weiß-rot eigefärbt! Die Stimmung war naturgemäß voller Optimismus, der Aufstieg, so die Meinung von ALLEN Anwesenden, nur eine Frage des Ergebnisses – wir werden die Mannschaft ins Achtelfinale peitschen hatte sich hier jede/r vorgenommen!

Während wir auf den Rest unserer Gruppe warteten, löste sich die Versammlung auf – aber warum? Das Gerücht machte sich breit der Marsch fände ab Trocadéro, dann wieder das Gerücht der Marsch starte in St. Denis bei der Basilika.

Uns war das dann doch zu ungewiss, weshalb wir uns gegen 14:00 Uhr entschieden uns auf den Weg Richtung Stade de France zu machen. Um den Massen in der Metro auszuweichen entscheiden wir uns nicht der Herde zu folgen sondern die Metro 12 Richtung Aubervilliers bis Front Populaire um den Rest des Weges zu Fuß zurück zu legen! Eines war an dieser Route das einzig Richtige: Die Metro war mehr oder weniger leer!

Der Bereich um die Endstation war ja noch akzeptabel, mitten in einem Businessquartier mit neuen und modernen Bürogebäuden, doch der Weg zum Stade de France war, sagen wir es mal so, abenteuerlich! Es ging vorbei an verfallenen Industriegebäuden, extrem abgewohnten Wohnhäusern (das kann man sich als Österreicher kaum vorstellen), dem Arbeiterstrich, herumlungernden Männern afrikanischer Herkunft auf der Suche nach irgendeiner Arbeit bzw. zur Abholung vom Arbeiterstrich bereit – es war nicht beängstigend, wir fühlten uns in keiner Sekunde unsicher, aber es war doch seltsam und vor allem erschütternd diese Zustände so offen in einem EU-Staat sehen zu müssen!

Diese Menschen allerdings sind trotz aller Tristesse, augenscheinlicher Perspektivlosigkeit, sozialer Ausgrenzung und vor allem bitterer Armut (so etwas kannte ich bisher nur aus Rumänien) einfach NETT!

Nett, hilfsbereit, freundlich und vor allem begeistert auch die Fans einmal aus der Nähe zu sehen – sechs weiße Österreicher mitten im Ghetto – und immer mit einem „ALLEZ AUTRICHE“ uns zurufend, jedenfalls fußballinteressiert! Kurz vor den Stade de France gingen wir an einer Schule vorbei, die Kinder wurden gerade von einem Begleiter (ich nehme an ein Lehrer) zum Bus geleitet bzw. warteten auf den Bus als wir um die Ecke kamen, als eine Gruppe dieser maximal 9 bis 10 Jahre alten  Jungs und Mädels (allesamt farbig) von Ihrem Begleiter erfuhren wir sind Österreicher mit Schlachtgesängen begrüßten – „ALLEZ AUTRICHE“ schallte es laut aus dem Wartehäuschen inmitten des Nirgendwo.

Beim Stade de France angekommen war klar: DAS wird ein Heimspiel! Wir hatten noch nie so viele Fans der Österreicher außerhalb des Happelstadions gesehen! Alles, wirklich alles war in rot-weiß-rot  gekleidet!

Alles? Nicht ganz eine kleine Gruppe besonders unbelehrbarer machten auf Gallisches Dorf und waren in blau unterwegs – da waren sie der Isländische Mob, zwei Familien, insgesamt acht Leute blieben beharrlich um Ihre Wikinger anzufeuern inmitten der Österreichischen Übermacht und feierten einfach mit! Ein lustiges Völkchen, diese Isländer: Immer nett, immer freundlich, Frauen, Männer, Jungs, Mädels und sogar Kleinkinder – die machen ein Familienerlebnis aus der EURO!

Zirka 1 ½ Stunden vor Spielbeginn machten wir uns auf den Weg zu unseren Plätzen, vorbei (im wahrsten Sinn des Wortes) an der ersten Sicherheitskontrolle, der Kartenkontrolle und dann nach einem kurzen Imbiss bei diesmal ganz frischen Burgern durch die Eingangskontrolle im Stade de France! Auch hier nicht wirklich eine Sicherheitskontrolle, da wird im Happel deutlich strenger und intensiver „abgegriffen“, wir hätten locker alles, wirklich alles, hineinschmuggeln können!

Da waren wir, mittendrin im größten Stadion der EURO, was für ein geiles Ding! Entgegen den österreichischen Gepflogenheiten muss man in den ersten Rang hinunter, also unter Straßenniveau, gehen. Dadurch wirkt das Stadion von außen gar nicht soooo groß, innen jedoch eröffnet sich ein riesiges Oval mit offenen und damit luftigen Tribünen, das Ganze wird von einem Dach auf Säulen gedeckt – so stelle ich mir ein Nationalstadion vor!

Mehr und mehr füllte sich das Oval und jetzt hatten wir die Sicherheit – DAS ist ein Heimspiel! Die rote Wand war bereit. Es war äußerst imposant, schon beim Eintreffen der Mannschaft war die Hölle los, beim Aufwärmen noch heftiger und den Lautstärkencontest haben wir mit 105,8 dB überlegen gewonnen! Dieses Publikum war definitiv finalreif! Die rote Wand war geboren – diese reichte aber über das halbe Stadion bis tief auf die Geraden!

Bei der Präsentation der Aufstellungen begann die Hütte zu beben, bei „I am from Austria“ hatten so manche bereits Tränen in den Augen – es war einfach erhebend mit zig tausend (wir werden wohl nie erfahren wie viele es tatsächlich waren, es müssen weit mehr als 30.000 gewesen sein) ÖsterreicherInnen unsere inoffizielle Hymne zu singen! Dann der Einmarsch der Teams und es ging noch ein Stück lauter, die Hymne wurde wie üblich ohne Töchter intoniert und dann nochmals die Aufstellung im Schnelldurchlauf, die Fans liefen zur Hochform auf! Die Stimmung  war deutlich besser (und ich dachte Parc de Prices sei nicht zu toppen)  als gegen Portugal, es war dieser Spirit zu spüren: Mission Achtelfinale, dafür geben wir alles!

Doch es kam wie wir wissen alles anders: das rasche 0:1, Stimmung am Boden, fast komatös, Fassungslosigkeit! Nur schwer wurde die Kurve wieder wach, erst der Elferpfiff gab uns Hoffnung und unseren Optimismus wieder! Als Drago verschoss herrschte Grabesstimmung, alle setzten sich und mussten das erst mal verkraften!

Mit Beginn der zweiten Hälfte und den ersten wütenden beinahe zornigen Attacken der Mannschaft wachte das Publikum dann so richtig auf! Die Isländer wurden aus dem Stadion geschrien, die isländische Mannschaft dadurch (hatte uns der Goalie doch im Rücken) wirkte komplett verunsichert und unsere wurde plötzlich bärenstark!

Beim Ausgleich durch Schöpf explodierte der Hexenkessel wahrlich – ich habe noch nie (und ich habe so einiges an Spielen gesehen) eine Kurve mit Österreichern derart laut erlebt! Wildfremde lagen einander in den Armen und auch hier habe ich die eine und auch die andere Träne gesehen – und ja auch verdrückt! Jetzt war klar: Die Isländer werden paniert, jetzt packen wir es, jetzt oder nie geht’s ins Achtelfinale!

Die Mannschaft hat alles gegeben und die Kurve lief zur Höchstform auf! Bei den Ecken und Freistößen wurden nun die Sitzschalen (falls sich jemand gefragt hat was denn das für ein Trommeln war der weiß es jetzt) als „Klatschhilfe“ missbraucht, die ganze Kurve hämmerte in gebückter Haltung wie von Sinnen auf die Sitzschalen ein! Die Hütte hat gekocht, es war laut und emotional wie nie bei einem Länderspiel!

Der Rest ist bekannt – wir haben es nicht geschafft! Nach dem 2:1 und dem Schlusspfiff hörte man sie wieder, die Isländer.  Auf unsere Seite des Stadions blankes Entsetzen und Enttäuschung. Eine Leere die man nicht beschreiben kann! Minutenlange Fassungslosigkeit, gestandene Männer begannen wie kleine Kinder zu weinen, andere saßen mit leerem Blick auf ihrem Platz. Aus, vorbei, Schluss, das Adrenalin war einfach weg, mit hängenden Köpfen ging die rote Armada Richtung Rer B (Schnellbahn) um ins Zentrum zu gelangen! Wir hatten danach keinen Bock auf Fanzone, wir wollten einfach nur alleine sein und trauern! Deshalb entschlossen wir uns nach kurzem Frischmachen für einen Restaurantbesuch samt TV-Übertragung von Schweden gegen Belgien. Zugesehen haben wir nicht wirklich, unseren Frust haben wir mit einer Flasche Wein bekämpft (zumindest haben wir es versucht), um uns dann in unsere Hotelzimmer zu begeben um am Morgen wieder heim zu reisen!

Nach dem Spiel war sie ganz plötzlich weg diese EUROpherie, die vielen Österreicher saßen frustriert in den Lokalen der Innenstadt und leckten ihre Wunden, feiernde Isländer haben wir aber auch kaum gesehen.

Zusammenfassend: Noch immer bin ich fassungslos, diese Leere will einfach nicht gehen! Die EURO interessiert mich momentan nur am Rande! Bitte nicht falsch verstehen, ich bin nicht sauer auf das Team, den Teamchef oder sonst jemanden, ich bin einfach nur zu tiefst enttäuscht. 25 Minuten gut zu spielen war einfach zu wenig!

Die EURO 2016 ist für mich nunmehr vor Ort vorbei, es war ein wunderbares Erlebnis als Teil der geilsten Fans der Welt dabei gewesen sein zu können – WIR waren eindeutig FINALREIF! In einigen Wochen bzw. Monaten werden die schönen Erinnerungen die Enttäuschung übertünchen – denn das bleibt uns:  zwei wunderbare Wochen mit dem Team in Frankreich!

Au revoir la France, salut Paris et bon chance Les Bleus

Gerald Walouschek aus Frankreich für abseits.at

Gerald Walouschek

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