Terrorangst, Streik, „Lieblingsnachbar Boateng“, Präsident im Dress und der Brexit als Fangesangs-Gag. Die Europameisterschaft 2016 war politisch vielfältig angehaucht wie wohl kein EM-Turnier zuvor.... Euro(pa)-Politik, oder: Mit dem Staatschef im Fanblock

_Frankreich EM 2016 KarteTerrorangst, Streik, „Lieblingsnachbar Boateng“, Präsident im Dress und der Brexit als Fangesangs-Gag. Die Europameisterschaft 2016 war politisch vielfältig angehaucht wie wohl kein EM-Turnier zuvor. Politik und Sport trennen? Quasi unmöglich. Zu eng sind die Bande. Die letzten Wochen bezeugten dies in vielerlei Kapiteln. Die nächsten werden schon geschrieben.

Ivica Osim sitzt schwitzend bei der Pressekonferenz in Belgrad. Er wurde kürzlich informiert, dass Jugoslawien, welches er zur Europameisterschaft 1992 in Schweden führte, aufgrund des ausgebrochenen Krieges in seiner Heimat nicht wird teilnehmen dürfen. Die UEFA verbannt Osims Land. Osim wird zurücktreten, was bleibt ist ein Land, das zum Opfer des ewigen Konflikts der Politik im Sport wurde.

So dramatisch wie damals ging es bei der kürzlich beendeten EM in Frankreich nicht zu, trotzdem wird das Turnier als eines jener in die Geschichte eingehen die vielleicht auf vielfältigste Weise einen Doppelpass mit politischen Themen spielte. Spielen musste. Denn schon lange bevor der erste Anstoß in Paris durchgeführt wurde war ein Thema rund um die Euro allgegenwärtig: Terrorgefahr.

Nach den islamistischen Anschlägen im Herbst 2015 brach Panik aus. Wird die EM sicher sein? Werden es die Stadien sein? Sind die Fans ausreichend geschützt? Was wenn wirklich etwas passiert? Die Diskussionen die längst Frankreichs Parlament erreicht hatten gipfelten in der Frage, ob man das Turnier überhaupt absagen sollte. Immerhin trudelten während der folgenden Wochen regelmäßig neue Anschlagsdrohungen über „soziale“ Medien ein, zusätzlich waren es die Terroranschläge in Brüssel die die Angst weiter schürten.

Rückblickend ist zu sagen: guat is gangen, nix is gschehn. Der Sicherheitsapparat hat zumindest soweit funktioniert dass man von potentiellen Gefahrenquellen nichts erfuhr. Gut, das muss nicht heißen dass es diese nicht gab. Geschehen ist gottlob jedoch nichts was an Terror erinnerte. Wie Bengalen, Böller und Co. jedoch immer wieder den Weg in die Stadien finden konnten wirft wiederum ein schlechtes Licht auf die Sicherheitsorgane. Was – um einen populistischen Ausritt zu riskieren – statt eines Bengalen eine Bombe in einem Rucksack ins Velodrome geschmuggelt worden wäre? Und der neue Volkssport des Flitzens ließ Ordner und Securities ebenso sprichwörtlich alt aussehen – vor allem konditionell. Gut, dass lustige Platzstürmer unsere einzige Sorge in Sachen Stadionsicherheit vulgo politisch geschürter Terrorangst während der letzten Wochen waren.

Frankreich hatte jedoch – und das wiederum nicht nur vor sondern auch zu Beginn des Turniers – mit weiteren politischen Problemen zu kämpfen. Die Streikwellen der Gewerkschaften von Staatsbediensteten und Flugpersonal materte nicht nur die Turnierorganisatoren die sich mit lahmgelegten Innenstädten konfrontiert sahen sondern vor allem die Fans. Zug verpasst, Flug ausgefallen, endlose Staus. Kick verpasst. Prominentes Opfer wurden die Großeltern von Aleksander Dragovic die den ersten Auftritt ihres Enkels verpassten weil keine Zugverbindung mehr aufrecht gehalten wurde.

Die Streikwellen ebbten während der Euro ab. Das Problem wird dem französischen Staat erhalten bleiben. Spätestens wenn der EM-Tross gänzlich weitergezogen ist und sich auch aus den Köpfen der, ob des verlorenen Titels enttäuschten, Köpfen der Bürger respektive Dienstnehmer verflüchtigt hat stehen neue Streiks ins Haus. Als ob die zweite Hälfte des Jahres 2016 nicht schon durch den offenbar unaufhaltsamen Aufstieg des Front National heiß genug zu werden drohe.

Von Murln und guten Nachbarn

Heiß, das waren auch unzählige heimische Fußballfans. Auf die eigene Nationalelf nämlich. Die Leistungen in der Vorrunde gingen zwar diametral zur Erwartungshaltung vor Turnierstart auseinander, die schlicht (von der zweiten Hälfte gegen Island abgesehen) schlechte Leistung war trotzdem Fakt. Genauso wie ein sich umzukehren drohender Vorgang der dafür sorgte dass auch das ÖFB-Team vom Gemisch Sport/Politik erfasst wurde: War man vor der Ungarn-Partie noch stolz mit einer multiethnischen Truppe aufzutrumpfen und regelrecht durch die Quali gepflügt zu sein, hieß es nach dem Vorrunden-Fiasko an nicht wenigen Stammtischen: „Was willst erwarten wennst mit lauter Tschuschn kickst? Hamma kane eigenen Leut? Und überhaupt: die zwa Murln, der Alaba und der andere – des san Alibikicker!“

Deutschland sah sich mit ähnlich dumpfem Geheul konfrontiert. Schlimmer noch: Rassistische Ausfälle kamen nicht vom Stammtisch ums Eck sondern direkt aus dem Bundestag. AfD-Politiker Alexander Gauland bekundete vor dem Turnier dass „die Deutschen einen wie Boateng nicht zum Nachbar haben“ wollten, schätzen würde man ihn nur wegen seines ballesterischen Talents. Als Boateng im Spiel gegen die Ukraine den Sieg rettete wurden unzählige Posts durch Facebook gejagt die die blödsinnige Aussage persiflierten, sogar Teamchef Joachim Löw bekundete dass es gut sei „in der Abwehr einen Boateng als Nachbarn zu haben“. Schön wie Deutschland reagierte. Umso bitterer dass nach dem Ausscheiden des DFB-Teams wiederum AfD-Dame Beatrix von Storch auf Twitter meinte es solle doch in Zukunft wieder die – in dieser Schreibweise – „deutsche NATIONALMANNSCHAFT“ spielen.

Bruder-Kampf und Sabotage

Als die Schweiz gegen Albanien spielte, waren Diskussionen um Bekenntnisse zur Heimat sowieso vorauszusehen. Bei der „Nati“ spielten Albaner bzw. Kosovaren, bei den Südosteuropäern Schweizer. Das Xhaka-Bruder-Duell gab dem ganzen Brimborium ein Gesicht. Neben der Frage nach Identität kam auch jene auf ob in Zukunft der Kosovo dem Schweizer Verband in Zukunft ständig Spieler wegnehmen würde – immerhin ist das kleine Land mittlerweile sportpolitisch etabliert und dürfte in Zukunft umfangreicher mitmischen wollen als bei symbolischen Freundschaftspartien.

Apropos Balkan: Wenn Fußball auf Politik trifft sind auch die Kroaten oft nicht fern. Derbys gegen Nachbarländer blieben ob fehlender Qualifikanten zwar aus, dafür schossen sich Teile des ultra-orientierten Publikums während der EM auf den Verband ein. Neu ist das nicht, schon in der Quali sorgte man mit einem Hakenkreuz im Rasen des Stadions in Split bei der Quali-Begegnung gegen Italien für negatives Aufsehen.

Diesmal waren es Leuchtraketen-Würfe im Spiel gegen die Tschechen. Und das trotz Führung. Ziel solcher Ausritte: Der – so der Vorwurf – korrupte kroatische Verband soll aus dem Amt gedrängt werden, wenn es sein muss mit allen Mitteln. Eine EURO ist da als Bühne aus medientechnischer Sicht natürlich ideale Plattform. Obs „hilft“? Zweifel sind angebracht. Die hohen Herren Mamic und Co. sitzen im Zagreb nach wie vor fest im Sattel.

Doch nicht nur negative Vermengung von Politik und Fußball wurden uns in Frankreich präsentiert. Neben Streiks, Terrorwarnungen und homophoben Sprücheklopfern konnte es (obwohl das Thema an sich alles andere als zum Lachen ist) durchaus auch einmal humoristisch-satirisch zugehen. Machten sich bei der letzten EM Irlands Fans noch per Transparent über die von ihnen Arbeitsmoral einfordernde deutsche Kanzlerin Angela Merkel lustig („Angela Merkel thinks we are at work“), waren es diesmal die Nachbarn aus Nordirland die den Fans von Wales während des Spiels ausrichteten „we’re not stupid, we voted to stay“ („wir sind nicht blöd, wir haben fürs drinbleiben gestimmt“).

Gemeint war schlicht der Verbleib bei der EU, den in Nordirland wesentlich mehr Bürger befürworteten als in Wales. Und sogar politischer Profit ist möglich: Frag nach bei Islands Staatspräsident Gudni Johannesson. Der stand beim Viertelfinale gegen England in der Fankurve. Im Dress. Man bedenke: Sein Vorgänger Sigmundur Gunnlaugsson musste abtreten nachdem seine Verwicklungen in den „Panama Papers“ ruchbar wurden. Dem Land hat der Chef-Wechsel politisch gut getan. Sportlich offenbar auch.

Jetzt: Ausgerechnet Russland

Fußball wird – wie Sport generell – nie ganz vom politischen Geschäft getrennt sein. Sollte dies das Ziel sein müssten schon ab sofort die VIP-Tribünen mit Hausverbot für Regierungsmitglieder ausgestattet werden, genauso dürften keine föderalistischer Landeskaiser mehr Medaillen um Schifahrer-Hälse hängen. Zu hoffen ist dass die Fußballwelt zumindest von Dramen wie dem eingangs erwähnten jugoslawischen verschont bleiben möge.

Krieg und Sport sind unvereinbar. In Zukunft wird uns jedoch genau dieses Thema wieder beschäftigen. Die Weltmeisterschaft 2018 steigt in – genau – Russland. Angesichts der politisch bzw. diplomatischen Verstimmungen zwischen Ost und West ein nahezu zynischer Umstand.  Aktuell gibt es Streit um NATO-Stützpunkte vor Russlands Haustür, der Ukraine-Konflikt ist noch lange nicht ausgestanden, der Export/Import-Bann mit dem Westen hat sich kürzlich sogar verschärft bzw. wurde verlängert.

Zum Drüberstreuen: Wladimir Putins zweifelhafter Hausbrauch in Sachen Umgang mit kritischen Medien. Den Satz „Diesem Land eine WM geben?! Irrsinn!“ hört man schon zwei Jahre vor Anpfiff häufig. Fußball und Politik gehört getrennt, das mag sein. Immerhin: Es ist nur ein Spiel. Doch in seiner Größe ist es global längst zu mächtig um nicht politisch instrumentalisiert zu werden. Vielleicht sogar durch Wladimir Putin selbst – im Fanblock, mit Dress.

Philipp Braunegger, abseits.at

Philipp Braunegger

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