Die Isländer agierten im Pressing in ihrem üblichen 4-4-2. Man attackierte wie gewohnt erst spät und konzentrierte sich auf das Verteidigen der eigenen Hälfte.... Frankreich findet seine Form: Verbessertes Positionsspiel bei Sieg gegen Island

Paul Pogba (Frankreich, Juventus)_abseits.atDie Isländer agierten im Pressing in ihrem üblichen 4-4-2. Man attackierte wie gewohnt erst spät und konzentrierte sich auf das Verteidigen der eigenen Hälfte. Zu Beginn hatte man jedoch immer wieder Situationen, wie zum Beispiel beim französischen Abstoß, wo man höher zu pressen begann. Hierbei war der Abstand zwischen den Stürmern und dem Mittelfeld recht groß, man konnte durch kluge Deckungsschattennutzung jedoch meist den frühen Vertikalball auf den Sechser verhindern.

Offensiv ist der Kampf um die zweiten Bälle essentiell für die Isländer. Nach hohen Bällen in die Tiefe wird oft intensiv und kollektiv ballorientiert gegengepresst. Aus diesen  Aktionen kommt man oft zu Einwürfen, die ebenfalls wichtig sind für das isländische Angriffspiel, wie die Österreicher schmerzhaft zu spüren bekamen.

Im Aufbau lief sich Gunnarsson bisweilen zwischen die beiden Innenverteidiger fallen, um die Ballzirkulation anzukurbeln. Jedoch fehlten hier oft die ausreichenden Verbindungen ins Mittelfeld, was jedoch auch Absicht ist, um nach hohen Bällen mehr Spieler vorne zu haben und man sich schlicht und einfach nicht zutraut den Aufbau flach zu gestalten.

Die Franzosen bauten mit einer klaren Doppelsechs, bestehend aus Pogba und Matuidi, auf. Diagonales Abkippen gab es von beiden, um bessere Staffelungen gegen die im Zentrum stehende Doppelspitze der Isländer herzustellen.

Sissoko und Payet rückten oft weit mit ein und Griezmann bewegte sich neben Giroud, weshalb man im Ballbesitz oft von einer 4-2-2-2 Staffelung sprechen konnte. So hatte man gute Verbindungen und konnte vertikale Optionen herstellen. Durch scharfe Pässe auf Griezmann und Giroud wollte man mit folgenden Ablagen immer wieder das Pressing der Isländer ausspielen. Das Positionsspiel im Aufbau der ersten Linie hatte sich verbessert, dies war eines der größten Probleme zu Anfang des Turniers für die Franzosen, hier haben sie sich jedoch sukzessive gesteigert, wenngleich man in manchen Situationen noch zu flach agiert und einander unpassende Passwinkel gibt.

Im Pressing agierte man im 4-4-2, das sich jedoch mit Aufrücken von Sissoko auf rechts auch in ein 4-3-3 formen konnte. Die Höhe richtete man meist am Mittelfeld aus, man ließ die Isländer die ersten Pässe in Ruhe spielen, versperrte jedoch das Zentrum. Im Mittelfeld orientierten sich die Franzosen meist direkt am Gegenspieler und verfolgten diesen mannorientiert, bis man ihn übergeben konnte. Dies passierte auch auf den Flügeln mit den Außenverteidigern, die oft bis in die Halbräume mit ihren Gegenspielern mitliefen.

Dominante, verbesserte Franzosen

Bereits nach zwölf Minuten gingen die Franzosen in Führung, als sie das mannorientierte Aufrücken von Árnason auf Payet ausnutzten, der sich im Sturmzentrum situiert hatte und für einen Vertikalpass von Matuidi entgegenkam. Giroud lief in den dahinter offen gelassenen Raum, Matuidi spielte den Ball gekonnt über die Abwehrkette und der Arsenal-Stürmer ließ sich die Chance auf die Führung nicht nehmen. Genau aufgrund solcher Mechanismen ließ der deutsche Bundestrainer Löw nur einen Tag zuvor eine Fünferkette spielen, um solche Lücken mit drei zentralen Verteidigern leichter füllen zu können.

Die Franzosen schafften es immer wieder mit Läufen in die Tiefe die Abwehr der Isländer ein kleines Stück nach hinten zu drängen, während sich die flexibel im Raum bewegende offensive Dreierreihe dann aufgrund der Öffnung des Zwischenlinienraums in diesem Anbieten konnte. So konnte man die Isländer öfter vor Fragen stellen, zum Verschieben und Attackieren zwingen und so Räume an anderen Orten öffnen. Das Positionsspiel der Franzosen in den ersten 15 Minuten war das Beste, was sie bis dahin gezeigt hatten. Auf beiden Seiten agierten die Außenverteidiger endlich konstant auf passender Höhe, so konnten deutlich bessere Verbindungen in die Halbräume und wirksame Dreiecke hergestellt werden. Etwas, das man zum Beispiel gegen Albanien überhaupt nicht gesehen hatte. Einzig und allein die Besetzung des Zentrums war, wenn Pogba heraus kippte, nicht immer optimal, Matuidi positionierte sich hier nicht immer passend. Dies korrigierte Pogba jedoch oft selbst, wenn er aus seitlichen Position zu Koscielny spielte und sich sofort in die Mitte bewegte.

Islands Pressing wird ausgehebelt

Island hatte deutliche Zugriffsprobleme, durch ihre Mannorientierungen wurden sie oft aus der Position gezogen, die Franzosen bewegten sich immer wieder klug in aufgelassene Räume. Die Isländer können, wenn der Gegner ein strukturell schwaches Positionsspiel hat, sehr wirksam im Pressing sein. Wie sie es zum Beispiel gegen Österreich in der ersten Halbzeit oder gegen England zeigten. Die gallischen Mittelfeldspieler bewegten sich jedoch mit guter Abstimmung, Läufe in die Tiefe und das Wegziehen des Gegners wurden mit dem Entgegenkommen eines anderen Spielers gut genutzt, dieser konnte sich oft sogar drehen und die Ballzirkulation weiterführen.

In Minute 20 erzielte Frankreich das 2:0 nach einem Corner von Grizemann, als Pogba am höchsten stieg. Zuvor hatte Pogba eben wegen der hohen Position von Sagna viel Zeit gehabt sich in dessen angestammten Raum anzubieten und den Ball dort unbedrängt zu verarbeiten. Sein hoher Ball hinter die isländische Abwehrlinie wurde zwar geklärt, jedoch erzielte er aus dem resultierenden Eckball das 2:0.

Die Isländer hatten sehr wenig Ballbesitz, die Heimischen konnten ja meist ohne viel Druck den Ball zirkulieren lassen und verloren ihn deswegen selten. Aufgrund der besseren Strukturen konnte man im Falle eines Ballverlustes jedoch deutlich besser gegenpressen als in den vorigen Spielen.

Nichtsdestotrotz konnten die Nordmänner durchaus Gefährlichkeit ausstrahlen in einigen wenigen Situationen, in denen sie ihr Spiel konsequent, aber auch sehr gut einstudiert vortrugen. Die Konter wurden stets mit hohem Tempo vorgetragen, was jedoch natürlich auch Kraft kostete. Konnte man mal einen hohen Ball halbwegs unbedrängt in die Spitze spielen, ging es in das Duell um den zweiten Ball, wo man auch glücklich war, wenn man Einwürfe herausholte, die ja bekanntlich einstudiert werden und weit in den gegnerischen Strafraum kommen.

Einzig das französische Pressing war durchaus ein Punkt, wo deutlich wurde, dass das Spiel gegen Deutschland deutlich schwerer werden würde. Zwar konnte man aufgrund der höheren individuellen Qualität einige Bälle gewinnen, jedoch waren viel zu oft Schnittstellen offen, die die Isländer entweder nicht bespielen wollten, oder die Anschlussaktionen nach Pässen in diese Schnittstellen unsauber waren, da sie nicht pressingresistent genug waren.

Deutlich offene Schnittstellen oder andere Räume können natürlich auch Pressingfallen sein, dies war jedoch wahrscheinlich nicht der Fall.

Die Franzosen konnten vor der Halbzeit auf 4:0 erhöhen, man zeigte zwei durchwegs saubere und variable Angriffe. Payet und Griezmann erzielten kurz vor der Halbzeit die Tore drei und vier.

Die zweite Halbzeit

Nach der Pause agierten die Isländer deutlich besser im Pressing, die Mannorientierungen wurden konsequenter ausgeführt und mit besserem Timing übergeben. Zudem deckte man diagonale Passwege viel besser ab. Durch die bereits erwähnten suboptimalen Verbindungen der Franzosen ins Zentrum konnten die Außenverteidiger, die in den ersten paar Minuten sehr viele Ballkontakte hatten, meist nur zu ihren Innenverteidigern zurückspielen. So konnte der Ball zu Beginn nur in der ersten Linie zirkuliert werden. Einzig bei Unkonzentriertheiten der Isländer konnte man Vertikalpässe spielen. Diese Fehler der Nordmänner passierten meist, wenn sich zu viele Spieler auf einen gegnerischen Franzosen fokussiert hatten, dieser einfach prallen ließ und man in weiterer Folge nicht schnell genug zum Passempfänger schob, sondern sich erst neu orientieren musste. Dadurch ergaben sich Zeit und Räume, die die Franzosen gut nutzen konnten, sofern sich diese ergaben.

Im Verhältnis zur Qualität war das Pressing der Franzosen jedoch dem der Isländer unterlegen. Durch das Abkippen von Gunnarsson hatten die EM-Debütanten passende Strukturen, um den Ball nach vorne zu bringen. Bjarnason, Sigurdsson und Gudmundsson rückten ins Zentrum und boten sich immer wieder abwechselnd an der ersten Aufbaulinie an. Wenn man nicht effektiv nach vorne kam dann schlug man den Ball gezielt Richtung Flügel, um dort gegenpressen zu können. Einer dieser hohen Bälle auf den Flügel ging in Minute 55 zwar ins Seitenout, jedoch schoben die Isländer kompakt zu dieser Situation hin und konnten den Ball zurückgewinnen. Daraus folgte ein isländischer Einwurf, der weit in den Strafraum kam. Der wurde zwar zunächst geklärt, aber die Isländer konnten durch einen einfachen Pass auf den Flügel und von dort in den Halbraum eine flache Flanke bringen, die Sigthorsson zum 4:1 nutzte.

Nur wenige Minuten später erhöhten die Franzosen jedoch wieder auf 5:1, nach einer Freistoßflanke stieg Giroud am höchsten, Tormann Halldorsson ging zwar raus, erwischte den Ball jedoch nicht und machte so das Tor für den Stürmer aus London frei. Nach dem Treffer wurde der Torschütze auch gleich ausgewechselt, für ihn kam Gignac, der mittlerweile in der aufregenden mexikanischen Liga seine Tore macht.

Die Isländer machten nun deutlich mehr Druck, agierten intensiver nach Ballverlust und noch direkter im Ballbesitz. Die Halbräume der Franzosen wurden nicht optimal verteidigt, durch Vertikalläufe der Isländer konnte man die Gastgeber immer wieder aus der Position ziehen, Halbraumflanken wurden nun einige Male genutzt, da man sich recht einfach mit einer Zentrum- Flügel-Halbraum Passfolge durchkombinieren konnte. Die Franzosen richteten sich jedoch nun auch tiefer aus, was den Isländern etwas mehr Zeit im Aufbau gab. Die Heimmannschaft wollte durch das Aufrücken der Gegner im Ballbesitz die sich dahinter ergebenden Räume nach Ballgewinn schnell bespielen und Konter fokussieren.

Es taten sich jedoch zusehends Lücken auf im französischen Pressing. Etwas, das Joachim Löw und sein Analystenteam sicher gerne sah, denn aufgrund der Mannorientierungen konnte man die Bleus immer wieder zumindest ein kleines, jedoch meist ausreichendes Stück aus den Positionen ziehen, was die Isländer jedoch nicht effektiv genug nutzen konnten. Dies lag natürlich auch an der fehlenden spielerischen Klasse, die die Nachfahren norwegischer und dänischer Wikinger nicht besaßen. Auch über Konter konnten die Isländer einzelne Nadelstiche setzen, dies lag jedoch an dem vernachlässigten Positionsspiel der Franzosen und dem direkteren Angriffsvortrag, der das Gegenpressing erschwerte, da die erforderlichen Strukturen, wie sie vorher durch kontinuierlichen Aufbau gegeben waren, nicht mehr vorhanden waren.

In Minute 84 fiel das zweite Tor der Isländer, vorangegangen war erneut ein Vertikallauf durch den Halbraum, der Zuteilungsprobleme aufgrund der französischen Mannorientierungen kreierte. Nach einer kurzen Kombination konnte Skùlason unbedrängt flanken und Bjarnason erzielte das 5:2.

Fazit

Die Franzosen zeigten vor allem in der ersten Halbzeit verbessertes Positionsspiel, weshalb sie die in ihren Möglichkeiten begrenzten Isländer deutlich dominieren konnten. Mit Fortlauf der Spielzeit ließ man die Isländer mehr und mehr gewähren, woraufhin sich die Schwächen im Pressing der Heimmannschaft offenbarten. Gegen die Deutschen wird man deutlich weniger Ballbesitz haben und das Pressing wird in den Abläufen ausgefeilt sein müssen, um nicht von Löws Bundesadlern ausgespielt zu werden.

David Goigitzer, abseits.at

David Goigitzer

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