Mit einem Last-Minute-Sieg holt sich England gerade noch die drei Punkte gegen defensiv sehr starke und enorm clevere Waliser. Wir analysieren dieses knappe Spiel... Last-Minute-Sieg gegen Wales: Englands Joker drehen die Partie

_Roy Hodgson - EnglandMit einem Last-Minute-Sieg holt sich England gerade noch die drei Punkte gegen defensiv sehr starke und enorm clevere Waliser. Wir analysieren dieses knappe Spiel für euch.

Prinzipielle Ausrichtungen

Die Waliser traten im Ballbesitz in einem 3-4-1-2 auf, wobei vor allem Ramsey immer wieder nach vorne in die offensiven Halbräume startete, um dort in der dynamischen Vorwärtsbewegung Bälle zu bekommen. Jedoch machte man vor allem in der ersten Halbzeit nur wenige Anstalten die offensiven Spieler bei Vorstößen zu unterstützen, sodass viele Angriffsaktionen schon früh im Sand verliefen.

Im Pressing formierte sich die Mannschaft von Chris Coleman teilweise in einem 3-4-3-System, Zehner Ramsey schob dabei auf die Höhe der beiden Stürmer. Dies hing jedoch von der Position Rooneys ab, den der Waliser eng bewachte. Wenn er diesen im Deckungsschatten hatte attackierte Ramsey durchaus auch mal die aufbauende Viererkette.

Prinzipiell richtete man sich jedoch eher tief aus und ließ die Engländer bis an die Mittellinie kommen. Man agierte unheimlich kompakt im tiefen Block und ließ kaum Pässe in die Formation zu. Zudem zeigte man sich sehr flexibel im Pressing, übernahm Mannorientierungen wenn es nötig war und löste sich dann wieder von ihnen.

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Tolle Kompaktheit der flexibel pressenden Waliser

Die Engländer traten formativ, wie auch personell, unverändert im 4-3-3 an. Im Pressing bildete sich hier beim eher tieferen Mittelfeldpressing ein 4-1-4-1. Die Achter rückten dabei immer wieder auf einen der diagonal abkippenden gegnerischen Sechser, um diese an konstruktiven Ballaktionen zu hindern. Man kam jedoch selten in Pressingsituationen, da man den deutlich größeren Anteil des Ballbesitzes (68%) innehatte. Im Gegenpressing agierte man aufgrund der strukturellen Probleme im Ballbesitz ineffektiv, da man oft weite Wege zu gehen hatte. Jedoch war man meist intensiv genug um die mit wenig Unterstützung attackierenden Waliser wieder vom Ball zu trennen.

Im Ballbesitz sah man eine deutliche 1-2-Staffelung im zentralen Mittelfeld, die Rollenverteilung war ziemlich klassisch unter Dier, Rooney und Alli aufgeteilt. Die beiden letztgenannten agierten als etwas offensiver ausgerichtete Achter vor dem jungen Spielgestalter, der markante Teile seiner Jugendzeit bei Sporting Lissabon verbrachte. Dies ist in seinem eher „unbritischem“, auf Passspiel fokussierten, Stil auch ersichtlich.

Wenig Struktur in den Angriffen der Waliser, defensiv aber kohärent

Die Waliser bekamen es gut hin den Zwischenlinienraum sehr eng zu halten und das englische Aufbauspiel zum Stocken zu bringen. Die vertikale Kompaktheit war ideal, zusätzlich bewegten sich die Stürmer der Engländer nicht wirklich entgegen, es gab selten Positionswechsel. Alli und Lallana versuchten diese zwar teilweise zu initiieren, jedoch passierte dies nicht flüssig genug, sodass es für die Nachbarn aus dem Westen einfach zu verteidigen war. Nach ungefähr zehn Minuten begann auch Rooney in tiefere Zonen abzukippen und das Angriffsspiel anzukurbeln, nun fehlte jedoch ein weiterer Spieler und man musste immer wieder hohe Bälle in die letzte Linie spielen, welche für die walisische Fünferkette leicht zu verteidigen waren.

Die Engländer führten DEN Trend dieser EM weiter: Probleme im Spielaufbau. Zwar agierte man in der ersten Linie nicht so ineffektiv wie etwa Österreich oder auch über weite Strecken Frankreich, jedoch konnte man selten in den engen Block der Waliser einen Mitspieler frei spielen und man musste meist über die Flügel kommen. Die englischen Flügelstürmer rückten dafür auch passend ein, damit die eigentlich auch offensivstarken Rose und Walker aufrücken konnten. Jedoch konnten die walisischen Flügelverteidiger immer gut abgesichert durch ihre Halbverteidiger auf die Tottenham-Außenverteidiger rücken, während die Achter die einrückenden Lallana und Sterling stets gut abdeckten – ähnlich wie dies die Italiener gegen Belgien taten. Einzig und allein im Offensivspiel hatten die Waliser ihre Probleme, gaben ballnah meist zu spät Unterstützung und konnten kaum längere Kombinationen zusammen bringen.

Dies schien in Halbzeit eins auch nicht wirklich das Ziel der von Bale angeführten Waliser zu sein. Zwar versuchte man sich immer wieder in Schnellangriffen, ging jedoch nicht allzu viel Risiko ein und ließ eine zahlenmäßig überlegene Restverteidigung stehen, um nicht von den Engländern im Konter erwischt zu werden. Kane, Sterling und Lallana sind diesbezüglich nämlich durchaus eine Waffe. Effektive Angriffe herausspielen konnte man zwar nicht, dennoch ging die Waliser mit 1:0 in Führung. Wieder war es ein Freistoß von Bale, der den Torerfolg brachte. Die englische Unfähigkeit Gefahr zu erzeugen hatte sich gerächt.

Exkurs: Wayne Rooney

Der gebürtige Liverpooler gehört sicherlich zu einem der flexibelsten Spieler der Welt, selbst die Rolle als offensivstarker Außenverteidiger auf beiden Seiten wäre ihm zuzutrauen und er würde damit so einige Mannschaften im Weltfußball verbessern. Seit geraumer Zeit wurde er auch immer wieder im zentralen Mittelfeld eingesetzt, meist als hängende Spitze, zeitweise unter van Gaal bei Manchester United als Sechser. Als Zehner kann er interessante Synergien mit Sturmpartnern generieren und auch gut den Spielaufbau durch flexibles Zurückfallen ankurbeln. Als Achter hat er jedoch in dieser englischen Mannschaft deutlich mehr Aufgaben was das Spielerische betrifft, die er strategisch nicht immer optimal löst. Vertikalpässe in die (zugegeben engen Zwischenlinienräume) sah man von ihm kam, dafür einen Haufen an diagonalen hohen Wechselpässen, die zwar sehr raumgreifend sind, jedoch nur selten Raumgewinn einbrachten. Dies war im ersten Spiel gegen Russland ebenfalls auffällig. Rooney sollte sich vor allem kleinräumig mehr einbringen und könnte seine Dynamik und seinen Zug zum Tor so besser nutzen.

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Solche Pässe könnte Rooney ruhig öfter spielen.

Die zweite Halbzeit

Kane und Sterling blieben in der Pause in der Kabine, für sie kamen Sturridge und Vardy. Lallana wechselte nun auf links, formativ änderte sich jedoch nichts. Sturridge driftete immer wieder Richtung Vardy und bildete eine Doppelspitze, während Alli in höhere Zonen stieß und Dier und Rooney den Angriffsaufbau übernahmen. Im Pressing passte man nun auch an und bildete meist ein 4-4-2. Die Waliser konnten die sich nun etwas flexibler bewegenden Engländer weiterhin gut kontrollieren, die gut abgestimmte Fünferkette erlaubte immer wieder weite, mannorientierte Verfolgungen.

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Chester rückt hier weit aus der Kette um Lallana zu verfolgen und bei der Annahme zu stören.

Das gute Pressing half jedoch nichts gegen das 1:1 von Vardy in der 57. Minute: Nach einer abgewehrten Freistoßflanke kam es zu einem erneuter Flankenball. Der Waliser Ashley Williams köpfte ihn unabsichtlich zu dem eigentlich im Abseits stehenden Jamie Vardy, der unbedrängt und regelkonform aus wenigen Metern einschoss.

Die Engländer hatten es schon zuvor geschafft, die Waliser etwas tiefer einzuschnüren, die „kleinen“ Nachbarn kontrollierten nun nicht mehr das Spielgeschehen. Die vielen Positionswechsel in der englischen Offensive, sowie das gutes Timing im Abspiel brachte einige Freistöße ein, die Waliser kamen zunehmend zu spät. Die Three Lions hatten weiterhin deutlich mehr Ballbesitz und bauten sich eine Dominanz vor dem walisischen Sechzehner auf. Die ganz großen Chancen blieben jedoch noch aus, aber auch weil man geduldig aufbauen und gute Abschlusspositionen herausspielen wollte.

Dies war jedoch alles andere als ein leichtes Unterfangen, da man meist gegen mindestens acht Waliser anrannte, die ja auch schon in Halbzeit eins sehr kompakt waren. In Minute 72 kam Jonathan Williams für Robson-Kanu und sollte mehr Bewegung ins Angriffsspiel bringen, sowie Räume für Bale öffnen. Im Spiel gegen die Slowakei fand der Wechsel umgekehrt statt, die Beweggründe waren jedoch dieselben. Die slowakischen Verteidiger hatten sich zu sehr auf Bale fokussiert, Williams konnte die Räume nicht nutzen. Deswegen brachte Coleman Robson-Kanu, um die Abwehr stärker zu binden. Nun sollte mit Williams mehr Dynamik ins Spiel und ein kombinativerer Partner für Bale kommen. Zudem erledigte Williams in tiefen Zonen viel Arbeit im Pressing, mehr als dies Robson-Kanu vermochte.

Mehr Stürmer heißt nicht offensiv besser

Durch das hohe Aufrücken der Engländer ergaben sich nun auch mehr Räume für die Waliser, die versuchen vor allem über die Flügel Konter zu fahren. Die anschließenden Flanken waren jedoch weitestgehend quantitativ und qualitativ zu wenig. Mit Rashfords Einwechslung für Lallana gab es nun nach nur wenigen Minuten sofort strukurelle Nachteile im Ballbesitz. Der junge Manchester-United-Spieler besetzte die Halbräume nicht so gut und dynamisch wie der Liverpudlian, Rashford gab meist nur Breite und wurde so leicht in den Deckungsschatten gestellt. Dies bereitete vor allem Rose Probleme, der ebenfalls ein eher linearer Spieler ist. Zudem gab es für ihn keine diagonale Anspielstation wie zuvor, auch weil Vardy sich nicht in den freien Halbraum bewegte, sondern ebenfalls eher den schnellen Durchbruch und den Lauf hinter die Abwehr suchte.

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In der zweiten Halbzeit ergaben sich immer wieder 4-2-2-2 artige Staffelungen im englischen Ballbesitz.

Fazit

Auch wenn die Engländer über weite Strecken mehr Ballbesitz hatten, kontrollierten die Waliser vor allem in der ersten Halbzeit das Spiel. Mit ihrem flexiblen Pressing konnten sie die Three Lions meist effektiv vom eigenen Tor weghalten. Ein unglückliches Tor und eine tolle Kombination nach geschickten Bewegungen von Sturridge und Vardy konnten das Spiel noch drehen. Überzeugend war man jedoch nicht.
David Goigitzer, abseits.at

David Goigitzer

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