Viertelfinaleinzug im Elferschießen: Polen besiegt die Schweiz glücklich, aber nicht unverdient
EURO 2016 25.Juni.2016 Marius Kaltwasser 0
Polen zieht nach einer furiosen ersten Halbzeit mit etwas Glück in die Runde der letzten Acht ein. Die Schweizer wachten spät auf, versuchten durch Offensivpräsenz und individuelle Qualität zum Erfolg zu kommen, verpassten es allerdings in der überlegen geführten Verlängerung die Entscheidung herbeizuführen.
Prinzipielle Ausrichtungen
Das polnische Aufbauspiel war klar strukturiert: Als tiefster Mittelfeldspieler der 4-4-1-1-Grundordnung agierte Krychowiak abkippend zwischen den beiden Innenverteidigern Glik und Pazdan, welche weit auffächerten und den beiden aufrückenden Außenverteidigern Piszczek und Jedrzejczyk Räume öffnete. Blaszczykowski und Grosicki besetzten die offensiven Flügelpositionen. Insbesondere Letzterer suchte vermehrt über die linke Außenbahn durchzubrechen, während Blaszczykowski häufig diagonal in den Strafraum driftete. Milik agierte leicht versetzt hinter Lewandowski. Gerade zu Beginn der Partie überraschte das Team Adam Nawlaka die Schweizer mit druckvollem Offensivspiel. Lewandowski und Milik ließen sich häufig fallen, öffneten dadurch Räume für nachstoßende Mitspieler, verteilten die Bälle auf die Außen bzw. nachrückende Mittelfeldspieler oder überluden die Flügel.
Die Polen schoben als Team weit nach vorne und überzeugten gerade zu Beginn durch ihre dynamische Spielweise und kluge vertikale Offensivstaffelungen sowie vorteilhafte Dreiecksbildungen, welche ihnen ein direktes Passpiel über mehrere Stationen ermöglichte. Außerdem gelangten sie dadurch immer wieder in aussichtsreiche Gegenpressingsituationen und konnten verlorene Bälle bereits sehr früh in der gegnerischen Hälfte zurückerobern. Auch in der Wahl der Pressinghöhe variierten sie je nach Spielsituation. Phasenweise griffen Milik und Lewandowski die erste Aufbaureihe der Schweizer früh an, während sich die Außenstürmer an den Außenverteidigern orientieren. Mitte der zweiten Hälfte stellten die Polen auf ein Mittelfeldpressing um, versperrten das Zentrum und leiteten den Schweizer Spielaufbau auf die Außen.
Die Schweizer agierten im gewohnten 4-2-3-1-System mit Xhaka und Behrami als abwechselnd abkippende Sechser und Seferovic als Sturmspitze, flankiert von den einrückenden Flügelspielern Mehmedi und Shaqiri. Gegen die kompakte polnische Mannschaft mieden die Schweizer das Zentrum und favorisierten stattdessen ein flügellastiges Aufbauspiel und eine hohe Strafraumpräsenz. Die beiden Außenverteidiger Lichtsteiner und Rodriguez schoben zwar ebenfalls weit nach vorne, konnten aber nur vereinzelt Durchbrüche erzielen. Polen lauerte nun vermehrt auf Konter und versuchte auch nach tiefen Ballgewinnnen mit mehreren Spielern vertikal nach vorne zu spielen. Nach einer schwach ausgeführten Standardsituation, konnten Blaszczykowski einen sauber ausgeführten Gegenzug zum 1:0 abschließen.
Schweizer Offensivpräsenz
Die Schweizer änderten auch in der zweiten Hälfte nicht ihre strategische Ausrichtung, sondern versuchten weiterhin über Durchschlagskraft zum Erfolg zu kommen. Spätestens als in der 60. Minute Embolo für Dzemaili eingewechselt wurde, setzten die „Nati“ auf geballte Offensivpower. Embolo besetzte nun zusammen mit Mehmedi, Seferovic und Shaquiri die letzte Linie und probierte auf die Grundlinie durchzubrechen. Das Team von Vladimir Petkovic wirkte in der Offensive weiterhin etwas inkohärent, die Abstände stimmten nicht ganz und insbesondere auf den Außen gerieten sie häufig in isolierte Spielsituationen, so dass sie aus dem Spiel heraus kaum Chancen kreieren konnten. Nachdem der wuchtige Derdiyok für Mehmedi ins Spiel gebracht wurde, erhöhten die Schweizer ihre Strafraumpräsenz nochmals und versuchten über Flanken aus dem Halbfeld von Rodrigues zum Erfolg zu kommen. Polen ließ sich zwar nicht dauerhaft zurückdrängen, sondern streute immer wieder Ballbesitzphasen ein, konnte sich dennoch nicht länger im letzten Drittel festsetzten und gab nach und nach Spielanteile ab. Zwar stimmten weiterhin die Abstände, die Angriffe wurden allerdings zu ungenau ausgespielt um für eine dauerhafte Entlastung zu sorgen. Nach einer Halbfeldflanke legte Derdiyok auf Shaqiri auf, der mit einem Fallrückzieher den Ausgleich herstellte und die Verlängerung erzwang.
Verlängerung
Die Schweizer zogen sich zu Beginn der Verlängerung etwas zurück, stellten auf ein 4-4-2-Mittelfeldpressing um. Seferovic und Embolo besetzten die Außen, die beiden Stürmer Shaqiri und Derdiyok störten die erste Linie der Polen nur passiv und gewährten ihnen dadurch längere Zirkulationsphasen. Polen fand einige Male den in den Zwischenlinienraum fallenden Lewandowski, spielte die Angriffe im letzten Drittel allerdings wieder zu unsauber aus. Erst in der zweiten Hälfte der Verlängerung zog die „Nati“ die Zügel wieder an und konnte sich über einen längeren Zeitraum im letzten Drittel festsetzten. Die letzte Linie wurde wieder mit vier Akteuren besetzt, dahinter konnten Xhaka und Shaqiri unbehelligt den Ball zirkulieren lassen und bei Bedarf den polnischen Abwehrblock überspielen. Als Resultat ihrer druckvollen Angriffsbemühungen holten die Schweizer zwar eine Vielzahl von Standards heraus, konnte diese allerdings trotz enormer körperlicher Präsenz (Derdiyok, Seferovic,Djourou) nicht in Tore ummünzen und musste somit in das Elfmeterschießen, indem die Polen das glücklichere Ende für sich hatten.
Fazit
Die Polen legte eine beeindruckende erste Hälfte hin, in der sie mit Hilfe ihrer dynamischen Spielweise verdient in Führung gingen. Sie waren nicht nur nach Kontern gefährlich, sondern zeigten ebenso -begünstigten durch ihr gut abgestimmtes Bewegungsspiel und passende Offensivstrukturen- ein ansehnliches Ballbesitzspiel. In der zweiten Hälfte ließen sie sich etwas zu weit zurückdrängen und konnten zu selten für Entlastung sorgen. Alles in allem zogen sie aber nicht unverdient in das Viertelfinale ein, da die Schweizer zu wenig aus ihrem individuell ansprechenden Kader gemacht haben und sich insgesamt zu eindimensional präsentierten um die Polen nach 120 Minuten niederzuringen.
Marius Kaltwasser, abseits.at
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