Mit einer starken Leistung konnten die Waliser Geschichte schreiben und stehen nun im Halbfinale der Europameisterschaft. Gegen individuell starke, jedoch nicht als Team agierende... Waliser schreiben Geschichte: System schlägt Individualität

_Flagge WalesMit einer starken Leistung konnten die Waliser Geschichte schreiben und stehen nun im Halbfinale der Europameisterschaft. Gegen individuell starke, jedoch nicht als Team agierende Belgier konnte man sich mit 3:1 durchsetzen.

Prinzipielle Ausrichtungen

Die Belgier blieben ihrem eher konservativen, simplen System treu und bauten im 4-2-3-1 auf, mit Nainggolan und Witsel auf der Doppelsechs. Da die Mitte vor allem im zweiten Spielfelddrittel schwierig zu bespielen war bereitete man den Aufbau meist über die Flügel vor.

Angriffe sollten vermehrt mithilfe von viel Tempo vorgetragen werden, Spieler wie Carrasco und Hazard sind dafür natürlich prädestiniert. Nach Ballgewinn schaltete man meist schnell um, mit den vier Angriffsspielern nach vorne startend. Lukaku hatte hierbei eine ausweichende Rolle, in Minute sieben ließ er sich geschickt in den Halbraum fallen und führte einen Konter, der in einer Doppelchance resultierte, weiter.

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Die Belgier im Ballbesitz

Im Pressing agierte man ebenfalls im 4-2-3-1/4-4-2 und wandte hier wie gewohnt Mannorientierungen an. Man attackierte die Waliser meist erst kurz vor der Mittellinie, beschränkte sich darauf die eigene Hälfte zu verdichten und Anspielstationen mithilfe der bereits erwähnten Mannorientierungen abzudecken.

Die Waliser zeigten sich im Spielaufbau in den Anfangsminuten unverbunden, die Abstände zueinander waren meist zu groß, was in gefährlichen Ballverlusten resultierte. Gefährlich vor allem deshalb, weil durch die schwachen Verbindungen kein effektives Gegenpressing möglich war und die Belgier so immer wieder zumindest für gefühlte Gefahr sorgten, als sie nach Ballgewinn schnell auf Angriff umschalteten.

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Anfängliche Verbindungsprobleme bei Wales

Die Walier mit ihrem bekannt flexiblen Pressing agierten meist im 5-2-1-2/5-2-2-1, das nach Vorpreschen Ramseys zum 5-2-3 werden konnte. Teilweise konnte man auch in ein 5-4-1 fallen. Das Waliser Pressing ist sehr optionsorientiert. Das heißt: Je nachdem welche Deckungsart im Moment die klügste ist, für diese entscheidet man sich. Das heißt am Flügel wird bisweilen mannorientiert verteidigt, aber auch die Halbverteidiger in der Dreierkette rücken manchmal mit in den Halbräumen zurückfallenden Gegner mit. Bei anderen Situationen werden jedoch die Passwege und im Raum verteidigt.

Wales kommt nur langsam ins Spiel

Die Belgier gingen in Minute 13 bereits in Führung durch einen Distanzschuss Nainggolans. Die Verbindungsprobleme der Waliser hatten sich nun etwas verbessert, die Ungenauigkeit im Passspiel jedoch blieb erhalten. Die Belgier agierten im Zentrum im Ballbesitz deutlich flüssiger als bisher, De Bruyne bewegte sich oft klug und mit richtigem Timing und beteiligte sich rege am Aufbau. Die Waliser waren diesbezüglich nicht so gut, man ließ sich von den konsequenten Mannorientierungen der Belgier beeinflussen und war teils zu passiv im Freilaufverhalten.

Die Zurückgezogenheit der Belgier im Pressing brachte den Walisern jedoch vor allem im ersten Drittel viele Räume und Zeit am Ball, was sie für sukzessives Vorarbeiten Richtung belgischen Strafraum nutzten. Diese Räume nutzte man jedoch nicht effektiv genug, vor allem Ledley kippte öfters unnötig ab und verwehrte seinen Mitspielern zeitweise eine Anspielstation in die Formation der Belgier. Durch guten Ballvortrag, nutzen der Breite durch die Flügelläufer und flexible Bewegungen von Allen, Ramsey und Co konnten die Waliser jedoch produktiv Torchancen erarbeiten, die erste beste Chance hatte man in Minute 25, als Courtois kurz seine “Menschlichkeit beiseitelegte“ und einen Schuss nach Ramseys Hereingabe unfassbar stark hielt.

Dennoch war es eine Standardsituation, die die in den letzten Minuten stärkeren Waliser in Führung brachte, als Williams frei zum Kopfball kam. Die Mannorientierungen Belgiens wurden beim Corner genutzt, die Briten ballten sich alle auf einen Ort und blockten mit Läufen und etwas Halten den Weg für Williams frei. Der Ausgleich war deutlich verdient, hatte man doch nun den Dreh raus, zog durch kluge Bewegungen die Belgier immer wieder auseinander und baute lange Ballzirkulationsphasen auf. Die Belgier, ja oft als Geheimfavorit verschrien, waren definitiv die unterlegene Mannschaft. Flexible Bewegungen in die Tiefe von Allen und Ledley zogen Gegner weg, Ramsey und Bale ließen sich oftmals etwas fallen um den Spielaufbau weiter anzukurbeln. Durch diese Bewegungen, durch das geduldige Zirkulieren des Balles von Wales kam Unordnung in die belgische Defensive (selbst wenn dies nicht sonderlich schwer ist) und die Waliser kamen vor allem über rechts immer wieder zu Durchbrüchen, aber auch im Zentrum fand man immer wieder Lücken vor. Lukaku, der Bruder vom bekannteren Stürmer, erwies sich dabei als Schwachstelle. Oftmals zu mannorientiert agierend ließ er Lücken offen die sehr einfach zu bespielen waren.

Belgien will, aber kann nicht

Fellaini war nach der Pause für Carrasco gekommen und situierte sich auf der Sechs, während Nainggolan weiter nach vorne rückte. Die roten Teufel bauten nun wieder etwas mehr Druck auf, primär durch sehr direktes Spiel und Einzelaktionen, Hazard platzierte einen Schuss knapp am Tor vorbei. Man presste nun auch deutlich höher, und in diesen Zonen helfen Mannorientierungen deutlich besser beim Zugriff und sind nicht so leicht zu überspielen, weshalb Wales einige Probleme im Aufbau hatte und Ballverluste verzeichnen musste. Doch mit dem 2:1 zeigte man auch, wie man dieses Pressing zu überspielen hatte: ein hoher Ball auf den diagonal nach außen gestarteten Ramsey, der brachte das Spielgerät in den Strafraum und Robson- Kanu konnte sich mit einer genialen Drehung genug Platz verschaffen um einen sauberen Abschluss im Tor unterzubringen. Wieder war es Lukaku, der ein schwaches Stellungsspiel zeigte und den Raum hinter sich bespielen ließ.

Die Belgier waren weiterhin sehr auf ihre Individualität fokussiert, hätte jedoch auch anders nicht sein können. Das ist ihr Spiel, Wilmots hatte nie ein anderes System spielen  lassen. Deswegen kamen die meisten nennenswerten Offensivaktionen über Dribblings, die gute Defensivstaffelung der Waliser fing diese immer wieder auf.

Die Belgier wirkten nun etwas gefährlicher als vorhin, konnten durch ihre individuelle Qualität auch immer wieder sinnvolle Aktionen aneinanderreihen. Diese waren jedoch meist dem Zufall und der gruppentaktischen Fähigkeiten der Spieler geschuldet, richtig verbunden waren diese Aktionen nur selten. Man konnte zwar kurzzeitige Überlegenheit erkämpfen, jedoch fehlt dann die Erfolgsstabilität, wenn das System hinter den Aktionen und die Eingespieltheit nicht vorhanden sind. Nichtsdestotrotz kam man vor allem über Flanken zu einigen Chancen.

Diese brachten für die Belgier nichts ein, jedoch für die Waliser: In Minute 86 konnten die Briten mit der ersten Flanke der zweiten Halbzeit durch den eingewechselten Sam Vokes per Kopf die Führung auf 3:1 erhöhen. Die Belgier erhöhten nun natürlich den Druck ungemein, während die Waliser sich primär auf die Strafraumverteidigung verlegten und versuchten durch Konter noch weitere Nadelstiche zu setzen.

Fazit

Die Belgier hatten nichts anderes zu bieten als ihre Individualität. Schon das ganze Turnier war davon geprägt, die Waliser zeigten jedoch wie man mit einem flexiblen, gut indoktrinierten System jegliche individuellen Nachteile ausgleichen kann.

David Goigitzer, abseits.at

David Goigitzer

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