Analyse: Salzburg mit Kraftakt ins EL-Achtelfinale
Europa League 23.Februar.2018 Sebastian Ungerank 1
Red Bull Salzburg rang in einem intensiven und kampfbetonten Rückspiel Real Sociedad mit 2:1 nieder und stieg damit nach dem 2:2 Unentschieden in San Sebastian verdient in die Runde der letzten 16 Mannschaften der Europa League auf.
Der Sieg und der damit verbundene Aufstieg lässt sich nicht auf einen herausstechenden Aspekt oder taktischen Schachzug reduzieren, vielmehr wurden beide Begegnungen gegen die Spanier durch das Gesamtpaket der Bullen bestehend aus einer passenden strategischen Herangehensweise, klugen taktischen Verhaltensmustern, einer überlegenden Physis und einer spürbaren Siegesmentalität geprägt. Auch im Rückspiel wurden die Salzburger um Coach Marco Rose mit Wiederständen konfrontiert, die sie aber dank der universellen (Pressing)-strukturen cool wegstecken konnten und so dem Gegner über weite Strecken das eigene Spiel aufzwingen konnten.
Wir analysieren diese Widerstände und erörtern, warum die Bullen auf fast alle Umstellungen von Real Sociedad reagieren konnten und dabei nie den roten Faden verloren.
Grundordnungen und Personal
Salzburg-Coach Marco Rose hatte wenig Grund etwas zu verändern, sowohl auf die Grundordnung als auch auf das Personal bezogen. Innerhalb der etablierten 4-3-1-2 Ordnung musste aufgrund der Sperre von Caleta-Car nur die linke Innenverteidigerposition neu besetzt werden. Für Caleta-Car übernahm Youngster Jerome Onguene die Position neben Andre Ramalho. Wie wir später noch sehen werden, hatte Onguene in seinem ersten Europa-League Spiel einige knifflige „Probleme“ zu lösen.
Ansonsten blieb wie beschrieben die personelle Zusammensetzung ident. Lainer und Ulmer komplettierten die Viererkette vor Torhüter Alex Walke auf den beiden Außenverteidigerpositionen. Samassekou gab den Sechser vor der Abwehr, unterstützt wurde er von den beiden Achtern Haidara und Yabo.
Xaver Schlager durfte erneut seine Qualitäten auf der Zehner-Position hinter den beiden sehr stark spielenden Spitzen Dabbur und Hwang zeigen.
Für den wieder fitten Valon Berisha blieb daher vorerst nur der Platz auf der Ersatzbank, ebenso für Hannes Wolf, Fredrik Gulbrandsen und Takumi Minamino. Was im Umkehrschluss auch bedeutet, dass Marco Rose einiges von der Bank nachlegen konnte und dies in den nächsten Wochen wohl auch machen wird.
Während Marco Rose notgedrungen nur eine Veränderung vornahm, veränderte Sociedad-Trainer Eusebio seine Mannschaft auf gleich sieben Positionen.
Ähnlich wie in San Sebastian griff er auch im Rückspiel in Salzburg zunächst auf eine recht konservative 4-4-1-1 Grundordnung zurück.
Vor Torhüter Rulli wurde die Viererkette gleich auf drei Positionen verändert. Nur der rechte Außenverteidiger Odriozola blieb aus dem ersten Spiel erhalten. Das Innenverteidiger-Duo bestand nicht mehr aus Llorente und Moreno sondern aus Elustondo auf halbrechts und Navas auf der halblinken Position im Zentrum der Viererkette. Anstelle von Rodrigues vertraute Eusebio auf der linken Außenverteidigerposition auf den routinierten de la Bella.
Die Sechserposition hingegen besetzten wie gewohnt Zurutuza und Illarramendi. Auf der linken Flügelposition kam dieses Mal eigentlich wie erwartet Adnan Januzaj von Beginn weg zum Zug, nachdem er im ersten Aufeinandertreffen nach seiner Einwechslung doch für erheblichen Schwung sorgen konnte. Sein Pendant auf der rechten Seite war Oyarzabal, die Sturmlinie formierte sich aus Canales und Agirretxe ebenfalls komplett neu.
Onguene und die Last des Spielaufbaus
Obwohl Eusebio vor allem aus personeller Sicht einiges umstellte, blieb die grundsätzliche Herangehensweise zu Beginn ziemlich gleich. Im Spiel gegen den Ball strukturierten sie sich in einem 4-4-1-1 / 4-4-2 und positionierten sich mit diesem Block in einem hohen Mittelfeldpressing. Die erste Pressinglinie im Canales und Agirretxe orientierte sich dabei bezüglich der Pressinghöhe an der Position von Bullen-Sechser Samassekou und ließ die tiefe Ballzirkulation von Torhüter Walke und der beiden Innenverteidiger Ramalho und Onguene zunächst zu. Aus diesen Positionen heraus konnten die beiden Stürmer situativ immer wieder nach vorne attackieren und ins aktivere Angriffspressing übergehen. Wichtig in diesem Zusammenhang dürfte den Spaniern aber gewesen sein, Samassekou zuzustellen und nie den vertikalen Passweg auf ihn offen zu lassen. Dafür positionierten sich Canales und Agirretxe immer leicht versetzt zueinander und einer von beiden (häufig war es Canales) orientierte sich recht mannorientiert an Samassekou. Dadurch ergab sich vor allem in den Anfangsminuten recht häufig das Bild, dass ein Stürmer nach vorne attackierte und Druck auf den ballführenden Salzburger Innenverteidiger ausübte, der andere recht statisch tief bei Samassekou blieb und dadurch ein recht klares 4-4-1-1 zustande kam.
Der interessanteste Aspekt im Pressing von Real Sociedad war aber das Freilassen von Onguene. Es ist natürlich schwer zu beurteilen, ob dies vorab schon so von den Spaniern geplant gewesen war oder sich erst in den ersten Spielminuten entwickelt hat, es wurde aber immer offensichtlicher, dass das Aufbauspiel der Salzburger auf den linken Innenverteidiger gelenkt werden sollte. Umsetzen lässt sich so etwas natürlich durch die entsprechenden Staffelungen in der ersten Pressinglinie. Agirretxe postierte sich dafür meist recht weit links und stellte so Andre Ramalho für Alex Walke zu. Wie wir bereits weiter oben beschrieben haben, postierte sich Canales etwas tiefer und orientierte sich an Samassekou, wodurch sich eine versetzte und asymmetrische erste Pressinglinie von Sociedad entwickelte, die den Raum für Onguene bewusst offen lassen sollte. Auf dem Feld sah dies wie folgt aus:
In der Grafik zu erkennen die verschobene erste Pressinglinie von Real Sociedad und der dadurch entstandene offene Raum um Onguene herum. Hinter der ersten Pressinglinie waren die Strukturen von Sociedad recht schlicht gehalten. Die beiden Sechser Zurutuza und Illarramendi orientierten sich recht mannorientiert an den Achter der Salzburger, selbiges taten die Außenspieler mit den Außenverteidigern Lainer und Ulmer. Platz und Möglichkeiten zum Durchbruch ergaben sich dadurch für die Salzburger immer wieder im Zwischenlinienraum um Schlager herum, so gesehen auch beim perfekt gespielten Angriff zum 1:0.
Onguene war aber für Sociedad nicht ein klassisches Pressingopfer (indem er bei der Ballannahme aggressiv unter Druck gesetzt worden wäre), vielmehr überließen sie ihn einfach den Ball und warteten ab, welche Entscheidung der junge Salzburger Innenverteidiger treffen würde. Sie warteten auf simple Abspielfehler, um dann aus aussichtsreichen Zonen in gute Umschaltaktionen kommen zu können. Onguene machte ihnen diesen Gefallen bis auf eine Ausnahme in der ersten Halbzeit aber nicht. Klar, die große Kreativität und Pässe mit einem hohen Packing-Faktor gingen nicht von ihm aus, das darf man aber auch nicht erwarten. Stattdessen fokussierte er sich auf Sicherheitspässe (Rückpässe auf Walke) und machte wenig Fehler. Dadurch nahm er die Brisanz und Aufmerksamkeit aus diesem Schachzug von Sociedad.
Dass Real Sociedad Ramalho natürlich trotzdem nicht komplett aus dem Spiel nehmen konnte, sah man bei der Entstehung zum 1:0 Führungstreffer durch Dabbur. Ramalho spielte dabei einen Abschlag von Sociedad handlungsschnell und technisch sehr sauber auf den entgegenkommenden Hwang sofort wieder tief, der auf Yabo klatschen ließ und Schlager Stefan Lainer perfekt in den freigezogenen Raum auf dem rechten Flügel schickte. Entscheidend in dieser Situation war, dass der linke Außenverteidiger de la Bella sich kurzzeitig an Yabo orientierte und dafür etwas einrückte. Dadurch öffnete er Raum auf seinem linken Flügel, den Stefan Lainer wiederum sofort erkannte und von Adnan Januzaj nicht verfolgt wurde. Trotzdem muss man diesen kleinen taktischen Fehler erst einmal so ausnutzen.
Universelle Pressingstruktur als Salzburgs Trumpf
Im Vorfeld dieses Aufeinandertreffens hätte man ja durchaus Zweifel haben können, ob die Art und Weise des Salzburger Pressings gegen eine solch ballsichere und pressingresistente Mannschaft wie Real Sociedad stabil und griffig genug ist. Diese Zweifel kann man nach den beiden Partien definitiv beiseiteschieben. Die gewohnten Pressingstrukturen haben nicht nur standgehalten, sie haben die Bullen durch diese 180 Minuten regelrecht getragen.
Wichtigste Erkenntnis könnte sein, dass die erste Pressinglinie absolutes Top-Niveau hat. In der Analyse zum ersten Spiel haben wir diese bereits ausführlich beschrieben, im Rückspiel blieb die grobe Struktur natürlich bestehen, verändert haben sich nur ein paar Nuancen.
Die beiden Stürmer Dabbur und Hwang positionierten sich noch etwas breiter als in Sociedad und sollten so mittels ihrer Anlaufwinkel und Deckungsschatten die Passverbindungen von den Innenverteidigern auf die Außenverteidiger kippen. Vor allem Hwang konnte dabei einige Male mit gutem Timing und dem notwendigen Speed Navas unter Druck setzen.
Ausschnitt aus dem Spiel gegen den Ball von Salzburg, abgebildet die erste Pressinglinie. Mit intelligenten Positionen und Staffelungen schaffen es die Salzburger, trotz einer nominellen 7 gegen 3 Unterzahlsituation, Druck auszuüben und den Aufbau von Sociedad permanent zu instabilisieren. Pässe vom Torhüter auf die beiden Innenverteidiger wurden dabei wie im Hinspiel in der Regel zugelassen. In dieser Szene aber spielt Rulli den Ball auf den linken Innenverteidiger Navas heraus. Dieser allerdings hat ein schlechtes Sichtfeld und kann das Spiel eigentlich nur in eine Richtung fortsetzen. Hwang erkennt diese günstige Pressingsituation und attackiert ihn von seiner breiten Position mit einem kurzen Sprint nach vorne. Navas bleibt bei dieser Konstellation nur der Rückpass auf den Torhüter, Hwang läuft durch und zwingt ihn dadurch zu einem weiten und ziemlich unkontrollierten Abschlag. Aufbausituation zerstört!
Xaver Schlager hätte im Zentrum zwar eine Unterzahlsituation, löst dies aber mit mittels guter Positionierung zwischen den beiden Sechsern und hält so den Zugriff jeweils aufrecht.
Aber auch hinter dieser ersten Pressinglinie waren die Zuordnungen und Strukturen klar und sauber (Lainer und Ulmer gingen aggressiv auf die Flügelspieler, die Innenverteidiger verteidigten mutig nach vorne auf etwaige zurückfallende Bewegungen der gegnerischen Stürmer), wodurch über die gesamte Spielzeit, bis auf erneut einen Hänger Mitte der ersten Halbzeit, nie die Aktivität verloren ging und das eigene Tor solide und ohne gröbere Probleme verteidigt werden konnte. Das war definitiv die Basis für das Weiterkommen. Allerdings gab es gegen Sociedad in beiden Partien insgesamt drei Phasen, in denen die Salzburger im Spiel gegen den Ball die Ordnung und Aktivität verloren und in diesen Phasen auch prompt die drei Gegentore kassierten. Solche Phasen in einem Spiel werden sich aber vermutlich nie ganz vermeiden lassen, schon gar nicht gegen Gegner auf diesem Niveau.
Eusebio stellt in Halbzeit zwei um und geht All-In
Wie schon im Hinspiel änderte Eusebio im zweiten Durchgang die Grundordnung und wechselte dafür auch das Personal. Stellte er im ersten Spiel noch auf das ansonsten praktizierte 4-3-3 um, ging es Eusebio in Salzburg auch aufgrund des Zwischenstandes noch radikaler an und formierte seine Mannschaft in einem 3-1-2-4.
Llorente wurde dafür in der Halbzeit für de la Bella eingewechselt und sortierte sich auf der linken Halbverteidigerposition in der Dreierkette ein, neben Navas und Elustondo.
Illarramendi gab in dieser Konstellation den alleinigen Sechser, etwas vor ihm in den Halbspuren spielten Zurutuza und Canales. Januzaj und der rechte Außenverteidiger Odriozola waren de facto die Flügelspieler, während Oyarzabal in den Sturm neben Agirretxe vorrückte.
Allerdings verpuffte diese Umstellung deutlich mehr als noch im Hinspiel, auch weil individuell keiner aus dieser Struktur so herausragte wie letzte Woche noch Januzaj.
Zum anderen konnten sich die Salzburger auf diese Umstellung problemlos und ohne Zeitverzögerung einstellen. Die Strukturen bei den Bullen blieben dieselben, der Zugriff war weiterhin gegeben und man konnte sich sogar dank sehr starker Vorstellungen der beiden Spitzen Dabbur und Hwang häufig in der gegnerischen Hälfte festsetzen und Möglichkeiten kreieren. Nach 90 Minuten hatten die Salzburger sogar leicht mehr Ballbesitz (52 %) als die Spanier, eine absolute Besonderheit, wenn man die Ballbesitzwerte von Sociedad in der spanischen Liga und in der Europa-League kennt.
Fazit
Sociedad-Coach Eusebio probierte viel, zauberte drei verschiedene Grundordnungen in den beiden Spielen aus dem Hut (4-4-2, 4-3-3, 3-1-2-4). All das zerschellte in der Regel aber an der äußerst stabilen Pressingwand von Red Bull Salzburg. Ein absoluter Härtetest für das System-Rose wurde erwartet, zu diesem kam es auch und wurde von seiner Truppe mannschaftlich geschlossen aufgenommen und beeindruckend bewältigt. Die Spiele waren aus Salzburger-Sicht nicht die ganz große fußballerische Kunst, stattdessen wurde ein individuell überlegener Gegner mit den eigenen vorhanden Mittel bekämpft und auf ein Niveau heruntergezogen, auf das die Salzburger besser vorbereitet waren und deshalb schlussendlich auch verdient als Sieger dieses Duells hervorgingen. Die nächste Runde kann also kommen!
Sebastian Ungerank, abseits.at
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