Red Bull Salzburg erkämpfte sich im Hinspiel der Europa-League-Zwischenrunde auswärts in San Sebastian verdient ein 2:2 Unentschieden gegen Real Sociedad. Dabei entwickelte sich der Spielrhythmus eigentlich wie erwartet: Real Sociedad versuchte zu dominieren und das Spiel flach von hinten heraus über die ersten Aufbauspieler vorzutragen, während Salzburg mit einer hohen Verteidigungslinie und den bekannten Pressingmechanismen dagegenhielt. Durch diese Konstellation mit einem äußerst spielstarken Gegner wurde das berühmt-berüchtigte Salzburger Pressingspiel einem echten Härtetest unterzogen. Dabei war das Spiel gegen den Ball der Bullen über sehr weite Strecken wesentlich besser und effektiver als es von vielen im Nachgang der Partie bezeichnet worden ist. Wir werfen einen Blick darauf.
Grundordnungen und Personal
Vorab aber wie immer ein kurzer Überblick über die gewählten Grundordnungen und das Personal, um die daraus abgeleiteten Systeme und Strukturen im Spielfluss besser ableiten zu können.
Marco Rose schickte seine Mannschaft auch in Spanien mit der gewohnten 4-3-1-2 Ordnung auf das Feld. Ob 4-3-1-2, 4-1-2-1-2 oder 4-1-3-2 hängt bei den Salzburgern einerseits immer von den Staffelungen der beiden Achter ab (wenn sie stärker im eigenen Ballbesitzspiel gefordert sind wird es häufig zu einem 4-1-3-2, wobei auch dort Berisha meist tiefer spielt als zum Beispiel Haidara in der gegenüberliegenden Halbspur), andererseits aber auch nichts weiter ist als Zahlenspielerei, welche der Komplexität so und so nicht gerecht wird. Deswegen ist die „alte“ Mittelfeld mit Raute die einfachste und sicher nicht die schlechteste Bezeichnung. Später werden wir aber noch sehen, dass es gegen Real Sociedad doch recht häufig ein klares 4-3-1-2 war.
Personell musste Rose in erster Linie den Ausfall von Mittefeldmotor Valon Berisha verkraften. Dafür konnte der Bullen-Coach aber wieder auf das Innenverteidiger-Duo Ramalho und Caleta-Car zurückgreifen, die im letzten Ligaspiel in Altach ja beide ersetzt werden mussten. Komplettiert wurde die Viererkette vor Torhüter Walke wie gewohnt von den beiden Außenverteidigern Lainer und Ulmer.
Das Mittelfeld-Band der Bullen bestand aus Samassekou auf der zentralen Sechserposition sowie aus den beiden Achtern Haidara auf halblinks und Yabo auf der halbrechten Seite. Beide Achter mussten dabei vor allem im Pressing weiträumig agieren und teilweise große Räume verteidigen.
Die wichtige Zehner-Position als Verbindungs- und Unterstützungsspieler vor diesem Trio besetzte Xaver Schlager, der diese Position schon einige Male hervorragend ausfüllte.
Dabbur und Hwang bildeten schließlich die vorderste Sturmlinie und noch viel wichtiger, die erste Pressinglinie der Salzburger.
Real Sociedad Coach Eusebio ließ seine Mannschaft nicht wie sonst üblich im 4-3-3 agieren, sondern sortierte seine Mannen zunächst ähnlich wie im letzten Ligaspiel gegen Real Madrid in einer 4-4-2 Grundordnung. Im zweiten Durchgang mit der Einwechslung von Januzaj revidierte er die Struktur etwas, was hauptsächlich an der Positionsinterpretation von Xabi Prieto lag.
Vor Torhüter Rulli bildeten etwas überraschend Llorente und Neuzugang Moreno die Innenverteidigung der Spanier. Der erst vor wenigen Tagen verpflichtete Hector Moreno bekam dabei den Vorzug vor Elustondo, der gegen Real Madrid noch in der Startelf zu finden war.
Flankiert wurden die beiden vom stark spielenden Odriozola auf der rechten Seite sowie von Rodrigues auf der linken Außenverteidigerposition.
Die etwas verschobene Doppelsechs bildeten Zubeldia und Illarramendi, wobei Illarramendi im Aufbau sehr weit nach rechts abkippte und versuchte, von dort das Spiel aufzubauen und zu strukturieren. Mit bescheidenem Erfolg gegen die Salzburger Pressingwand. Kapitän und Routinier Prieto bearbeitete zu Beginn die linke Flügelzone, Oyarzabal bildete sein Pendant auf rechts. Juanmi und Bautista bildete in Abwesenheit des Topstürmers Willian Jose den Sturm der Spanier.
Salzburg kontrolliert den spanischen Ballbesitz
Für einige mag das Spiel der Salzburger in Sociedad untypisch gewirkt haben. Ein paar sprechen oder schreiben sogar davon, dass die Salzburger in diesem Spiel von ihrer grundsätzlichen Linie abgewichen wären. Auf den ersten Blick könnte man dies auch tatsächlich glauben, auf den zweiten und etwas unscheinbareren Blick sieht man aber, dass es im Grunde typischer RB-Fußball war, und zwar im Spiel gegen den Ball auf einem sehr hohen Niveau gegen einen äußerst spielstarken und pressingresistenten Gegner.
Für dieses etwas verfälschte Bild gibt es mehrere Gründe. Zum einen waren die Pressingbewegungen der Bullen nicht wild und stürmisch (das waren sie unter Rose aber auch nie wirklich), sondern etwas abwartender und dosierter, aber immer aktiv. Dies äußerte sich im Spiel gegen Sociedad darin, dass die gegnerischen Innenverteidiger nur sehr situativ aggressiv attackiert und angelaufen wurden. Vielmehr wurde versucht, mittels aufmerksamen Positionierungen der beiden Stürmer Passwege in die Halbräume zu kippen und so den Aufbauraum der Spanier im Zentrum maximal einzuschränken, um im nächsten Schritt das Aufbauspiel und den Ball auf die Flügel zu lenken. Dies aber alles mit der notwendigen hoch angelegten Grundposition des Mannschaftsverbundes, wodurch Salzburg nicht (bis auf zwei Phasen) in Passivität verfiel.
Durch diese Herangehensweise mag der angeschlagene Rhythmus der Salzburger zwar etwas abwartend gewirkt haben, war er aber nicht. Dies sah man spätestens dann, wenn der Ball im Aufbau bei den gegnerischen Außenverteidigern angelangt ist. Wie schon häufig gesehen in dieser Saison schoben die Achter in solchen Situationen heraus und attackierten den ballführenden Außenverteidiger. Damit dafür die Wege nicht zu weit werden und die notwendige Intensität verloren geht, postieren sich die Achter bei Ballbesitz des Torhüters oder der Innenverteidiger schon breiter in den jeweiligen Halbräumen und haben horizontal einen recht großen Abstand zu Sechser Samassekou. Die Achter Haidara und Yabo waren sozusagen immer auf dem Sprung nach außen und stellten so den Zugriff auf die spielstarken Außenverteidiger her. Bis auf die Anfangsphase funktionierte dies auch sehr gut und die spanischen Außenverteidiger mussten immer wieder das Spiel longline fortsetzen und kamen nie in das Zentrum im zweiten Spielfelddrittel.
Die Außenverteidiger hatten in diesen Pressingbewegungen ebenfalls natürlich einen klaren Plan und schoben teilweise weit nach vorne und orientierten sich an den gegnerischen Flügelspielern, gegen die sie dann im direkten Duell (meist konnten sie dabei den Gegner mit dem Rücken zum Tor stellen, was der Optimalfall ist) häufig die Oberhand behalten konnten. Die Einwechslung von Januzaj sollte diesen Aspekt in der zweiten Halbzeit noch stärker akzentuieren.
Grafisch aufbereitet sah ein solcher Pressingmechanismus wie folgt aus:
Phase 1 des Salzburger Pressingmechanismus. Die Ballzirkulation des Torhüters, der Innenverteidiger und auch etwaige abkippende Bewegungen von Illarramendi werden zugelassen und in gewisser Weise geschluckt.
Die Stürmer Hwang und Dabbur positionieren sich dabei vor den gegnerischen Innenverteidigern und stellen auch mittels Deckungsschatten vertikale Passoptionen für die Innenverteidiger zu. Zusammen mit Schlager, der in seinem Aktionsradius meist Zubeldia bewachte, blockierten sie den gesamten Sechserraum von Sociedad und drängten sie immer wieder auf die Flügel ab. Ein konstruktiver Spielaufbau durch diese Zonen war für die Spanier nicht möglich, schlichtweg deshalb weil die erste Pressinglinie der Bullen zu massiv war.
Ein interessantes Detail in der Struktur der Salzburger waren die Wechselwirkungen zwischen den Positionen der Stürmer Hwang und Dabbur und jenen der Achter dahinter. Durch die Position der Stürmer und die abwerfenden Deckungsschatten war diese Bahn für Sociedad wie bereits beschrieben nicht wirklich bespielbar, deshalb konnten die Achter sich noch breiter positionieren und einen relativ großen Raum zwischen ihnen und Samassekou lassen. Die Positionen der Stürmer eine Linie höher machten es möglich, dass sich die Achter zeitiger an den Außenverteidigern orientierten konnte.
Der Ball ist bei Außenverteidiger Odriozola angelangt. Haidara schiebt folge dessen heraus und setzt ihn mit einem diagonalen Anlaufwinkel unter Druck. Ulmer schiebt ebenfalls nach vorne und stellt Oyarzabal. In der Mitte sieht man auch den kompakten Block um Samassekou, Yabo und Schlager, die versuchen, alle ballnahen Optionen für den ballführenden Spieler zuzustellen. Klar, dass auf der ballfernen Seite offene Räume entstehen. Aber nur in den ersten 15 Minuten konnten die Spanier mittels guten Verlagerungen diese offenen Räume bespielen, danach nur mehr in der zweiten nachlassenden Phase in Durchgang zwei vereinzelt.
Diese Strukturen sind ja prinzipiell nichts Spezifisches mehr im Salzburger Spiel. Speziell wurden sie aber durch die Spielweise des Gegners. Durch den Fokus von Real Sociedad auf Aufbauspiel und Ballbesitz konnten sie sich zwar in tiefen Zonen vor dem Salzburger Mannschaftsblock den Ball zuspielen, effektive Raumgewinne und überspielte Linien waren aber de facto nie möglich. Das war der entscheidende Faktor. Vor allem in der ersten Halbzeit konnten sie ihre vier Offensivakteure nie erfolgsstabil und sauber anspielen, stattdessen mussten Angriffe über die Flügel zu Ende gespielt werden, was in unzähligen Flanken und daraus resultierenden Eckbällen endete. Wirklich Gefahr entstand dadurch für die Salzburger nie. Deshalb dominierten die Bullen über weite Strecken das Spiel ohne Ball, auch wenn sie dafür viele Meter zurücklegen mussten und in einige Pressingsituationen länger „drinbleiben“ mussten als gewöhnlich.
In gewisser Weise ähnelte dadurch die Spielcharakteristik jener vom Europa-League Spiel der Salzburger gegen Ajax Amsterdam vor vier Jahren, damals noch unter Roger Schmidt. Auch Ajax versuchte damals, gemäß ihrer Vereinsphilosophie, das Spiel flach von hinten aufzubauen, scheiterten aber beim Spielaufbau bereits an der ersten Pressinglinie von Salzburg um Kampl, Alan, Soriano und Mane (damals noch im 4-2-2-2) und hatten dementsprechend ihren Ballbesitz auch nur in sehr tiefen und ungefährlichen Zonen.
Auch wenn die Salzburger durch ihre Dominanz in der Liga eine solche Herangehensweise nicht gewohnt sind, sind sie das Spiel strategisch klug und richtig angegangen. Wenn man Real Sociedad zum Beispiel letzte Saison oder auch letzten Samstag im Bernabeu gegen Real Fußball spielen gesehen hat, der weiß den Spielverlauf und das Spiel der Salzburger besser einzuschätzen. Normalerweise zwingt Sociedad dem Gegner sein Spiel auf und zwingt ihn zu Entscheidungen, nicht umgekehrt. Die wahren Stärken der Spanier ließen die Salzburger nämlich gar nie zur Geltung kommen.
Die U-Form als Schrecken aller (Ballbesitz)-Teams
Wenn man die Perspektive wechselt könnte man natürlich einige Punkte im Spiel von Real Sociedad finden, die nicht besonders gut waren. Das Sechserduo konnte überhaupt keinen Einfluss auf das Spiel nehmen, die Abkippbewegungen von Illarramendi waren ineffektiv und kippten eigentlich noch mehr die schon mangelnden Verbindungen in die höheren Zonen. Deshalb hing das Sturmduo Juanmi und Bautista völlig in der Luft und nahmen nie am Spiel der eigenen Mannschaft teil. Das größte Problem waren aber ihre Offensiv-Staffelungen. Durch das Pressing der Salzburger entstand mit Fortdauer des Spiels immer mehr eine U-Form im Angriffsspiel der Spanier, was zu Lasten der Durchschlagskraft und Torgefahr ging. Die bei einer solchen Spielweise notwendige Flankenqualität war ebenfalls nicht gut. Ein Problem, mit dem auch Pep Guardiola in seiner Zeit bei den Bayern immer wieder zu kämpfen hatte.
Die folgende Übersicht zeigt auch, dass mehr als 80 % der Angriffe über die Flügelzonen gespielt wurden.
Trainer Eusebio versuchte daraufhin in der zweiten Halbzeit etwas zu ändern. Mit der Einwechslung von Januzaj für Juanmi stellte er auch auf ein klareres 4-3-3 um. Xabi Prieto ging dafür auf die linke Achterposition, Zubeldia besetzte die Sechs und Illarramendi fokussierte sich noch stärker auf den rechten Halbraum. Januzaj ordnete sich deshalb auf der linken Flügelposition ein und sollte dort mit seiner Schnelligkeit und Dribbelstärke zumindest die Aufmerksamkeit auf sich lenken, wirkliche Durchbrüche gelangen ihm gegen Stefan Lainer selten. Aber gefühlt haben diese Versuche von Januzaj der gesamten Mannschaft einen Ruck gegeben, offensiv mit mehr Nachdruck zu agieren. Dies wiederum sorgte bei den Salzburgern für Unordnung und Passivität, weshalb auch der Ausgleichstreffer durch Odriozola entstand und der Freistoß vor dem 2:1 provoziert werden konnte. Nur kurze Phasen, die Sociedad aber sehr effektiv zu nutzen wusste.
Fazit
Es war definitiv eine Energieleistung der Bullen notwendig, um gegen diese spielstarke und pressingresistente Mannschaft bestehen zu können. Hätten sich in die immer wieder vorkommenden Umschaltsituationen nicht so viele kleine technische Fehler bzw. falsche individuelle Entscheidungen eingeschlichen, hätten sie eine sehr starke Vorstellung im Spiel gegen den Ball sogar noch krönen können. Mit dem Unentschieden wird Marco Rose aber trotzdem gut leben können. Das Pressing der Salzburger machte im Spiel selbst zwar einen recht unscheinbaren Eindruck, erwies sich aber als sehr passend für die Spielweise des Gegners mit vielen entscheidenden Kleinigkeiten.
Für das Rückspiel ist natürlich alles offen. Es wird interessant zu beobachten sein, welche Schlüsse beide Teams aus dieser Partie ziehen und mit welchen Matchplänen sie in das Retourspiel gehen werden. Eine interessante Spielgeschichte ist aber gewiss.
Sebastian Ungerank, abseits.at
Stefan Karger
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