Das Europa League Finale 2021 im polnische Gdansk Stadion lautete Villarreal gegen Manchester United. Die Rollenverteilung vor dem Spiel war klar: Die Red Devils aus Manchester gingen als klarer Favorit ins Spiel und wollten alles daransetzen, den Bewerb zum zweiten Mal nach 2017 zu gewinnen.
Auf der Gegenseite der Underdog Villarreal, der sein erstes internationales Finale überhaupt bestritt. Dafür hatte man mit Unai Emery einen absoluten Routinier an Board, was Erfolge in der Europa League betrifft. Schließlich konnte sich der spanische Coach den Pokal bereits drei Mal mit dem FC Sevilla sichern und bestritt an diesem Abend sein insgesamt fünftes Endspiel in diesem Bewerb.
Wie immer im Vorfeld eines solchen Endspieles durfte man gespannt darauf sein, ob bzw. was sich die beiden Trainer Emery und Ole Gunnar Solskjaer aus taktischer Sicht einfallen lassen würden. Konnte man taktische Adaptionen im Vergleich zu den letzten Spielen erkennen?
Altbewährtes hält am besten
Diese Frage kann man mit einem ganz klaren Nein beantworten. Emery schickte seine Mannen in der gleichen 4-4-2-Grundordnung ins Spiel, auf die er in dieser Saison des Öfteren zurückgegriffen hat – so auch im letzten Ligaspiel gegen Real Madrid. Die einzige personelle Änderung betraf die Rechtsverteidigerposition, wo Juan Foyth den etatmäßigen Kapitän Mario Gaspard ersetzte.
United beharrte hingegen auf dem üblichen 4-2-3-1. Die einzige Frage war, welche Spieler die einzelnen Positionen besetzen würden. Harry Maguire und Fred waren nicht fit genug für einen Startelfeinsatz. Eric Bailly spielte statt Maguire in der Innenverteidigung, Paul Pogba nahm Freds Sechserposition neben Scott McTominay ein. Mason Greenwood kam neu in die Mannschaft und bildete mit Marcus Rashford eine Flügelzange, die dem Offensivspiel Uniteds ein hohes Maß an Tempo verleihen sollte.
United mit Problemen gegen einen kompakten Defensivblock
Relativ rasch wurde ersichtlich, welche Charakteristik das Spiel über 120 Minuten annehmen sollte: Manchester United mit viel Ballbesitz, Villarreal stemmte sich im kompakten 4-4-2 in Form eines Mittelfeldpressings dagegen. Wie schon gegen Real am vergangenen Wochenende übten die beiden Stürmer Carlos Bacca und Gerard Moreno kaum Druck auf die erste Aufbaulinie Uniteds aus, sondern fokussierten sich in erster Linie darauf, die Passwege in den Sechserraum zuzustellen und den gegnerischen Ballvortrag auf die Außenverteidiger zu lenken. Der Pass auf den Flügel war dann mehr oder weniger der Pressingauslöser, wobei das Anlaufverhalten der beiden Flügelspieler Manu Trigueiros und Yeremy nicht gerade von hoher Intensität geprägt war. So konnte United oft den Ball longline auf den jeweiligen Flügelspieler weiterleiten. Dies ermöglichte ihnen zwar Progression im Ballvortrag, allerdings konnten die Flügelspieler das Spielgerät meist nur in geschlossener Körperstellung, sprich mit Blick Richtung eigenes Tor, annehmen und verarbeiten. Dieser Umstand, gepaart mit dem limitierenden Faktor der Outlinie erschwerte es den Engländern, Dynamik in ihre Angriffssituationen zu bekommen – ein Element, von dem gerade Spieler wie Rashford und Greenwood leben. Oft blieb ihnen allerdings nichts anderes als das Zuspiel nach hinten übrig, wo das Spiel über die Innenverteidiger auf die andere Seite verlagert wurde. Die Flanken, die in den Sechzehner geschlagen wurden, fanden zumeist keinen Abnehmer.
Villarreal schaffte es über weite Strecken alle Spieler hinter dem Ball zu haben, was eine wichtige Grundvoraussetzung für die Herstellung eines kompakten Defensivblocks ist. Dadurch sowie aufgrund der Tatsache, dass das Anlaufverhalten oft von niedriger Intensität geprägt war, nahmen die Spanier in Kauf, dass sie aus ihrem ursprünglichen Mittelfeldpressing in ein Abwehrpressing gedrückt wurden. Der Nachteil dieser Pressingform ist schnell erklärt: Bei Ballgewinn ist die zurückzulegende Strecke zum gegnerischen Tor sehr weit, wodurch es nur schwer möglich ist, die gegnerische Unordnung im Umschaltmoment für das Kreieren von Torchancen zu nutzen.
United positionierte viele Spieler an der letzten gegnerischen Verteidigungslinie bzw. im Zwischenlinienraum. Allerdings agierten Rashford, Bruno Fernandes, Edison Cavani und Mason Greenwood oft zu statisch und waren so kaum anspielbar. Vor allem Fernandes und Cavani konnten aus dem Spiel heraus kaum Akzente setzen. Mit Fortdauer des Spiels ließen sich die beiden immer öfter in tiefere Zonen fallen, um dort mehr Ballkontakte zu bekommen.
Rashford (10) und Greenwood (11) hielten sich hauptsächlich in den Halbräumen auf. Fernandes und Cavani besetzten das Zentrum und holten sich mit Fortdauer des Spiels in tieferen Zonen Ballkontakte ab. Ein Zeichen dafür, dass sie im Zwischenlinienraum kaum anspielbar waren. Quelle: WhoScored.com
‚Wer das Zentrum kontrolliert, kontrolliert das Spiel.‘
Ein weiterer negativ auffallender Punkt im Offensivspiel Uniteds war die Besetzung des Mittelfeldzentrums. Die Red Devils hatten viel Ballbesitz im Mitteldrittel. In diesen Situationen kam es meist, dass sich Scott McTominay zu den beiden Innenverteidigern in die erste Aufbaulinie gesellte, um hier eine 3vs2-Überzahl zu bilden. Die beiden Außenverteidiger Aaron Wan-Bissaka und Luke Shaw fungierten als Breitengeber und schoben auf ihren jeweiligen Flügeln etwas höher. Wie bereits erwähnt positionierten sich Rashford, Cavani, Fernandes und Greenwood allesamt an der letzten gegnerischen Verteidigungslinie bzw. im Zwischenlinienraum, hinter den beiden zentralen Mittelfeldspielern Villarreals. Paul Pogba war somit der einzige Spieler, der das zentrale Mittelfeld besetzte. Somit ergab sich eine 1vs4-Unterzahl in dieser Zone des Spielfeldes, da die beiden Villarreal Stürmer Bacca und Moreno den Fokus auf das Zustellen des Passweges in den Sechserraum legten. Sollte dieses Vorhaben einmal misslingen schob entweder Dani Parejo oder Etienne Capoue – einer der beiden zentralen Mittelfeldspieler der Spanier – Richtung Pogba, um ein Aufdrehen von eben jenem zu verhindern.
Manchester United hatte zwar über das gesamte Spiel hinweg deutlich mehr Ballbesitz, wurde vom Gegner allerdings bewusst auf den Flügel gelenkt, wo man durch diszipliniertes Verschieben beinahe alle Passoptionen zustellen und so die Dynamik aus dem Angriffsspiel des Gegners nehmen konnte.
McTominay (39) unterstützt die erste Aufbaulinie. Pogba bleibt somit allein im Sechserraum und wird von vier Gegenspielern eingekesselt (siehe blau eingezeichnete Zone). Der kompakte Block der Spanier lässt United keine andere Wahl als das Spiel auf einen der beiden Flügel zu verlagern.
Auch Villarreal findet kein Offensivrezept
Villarreal suchte also – untypisch für eine spanische Mannschaft – sein Heil in einem kompakten Defensivblock. Im Offensivspiel war man allerdings ebenfalls darauf bedacht, kontinuierlich von hinten herauszuspielen. Lange Bälle Richtung Carlos Bacca würden keine hohen Erfolgschancen bringen – dazu waren die gegnerischen Innenverteidiger zu stark in den Luftzweikämpfen.
So kam es, dass Villarreal dem hohen gegnerischen Angriffspressing ein mutiges Aufbauspiel entgegensetzte. Villarreal schaffte es jedoch ebenfalls nicht aus dem Spiel heraus für Torgefahr zu sorgen. Und das, obwohl Manchester United in ihrer Defensivordnung Räume anbot.
Die meisten Angriffe wurden über die linke Seite initiiert, da dort der etwas spielstärkere Pau Torres positioniert war. Hierbei handelt es sich um einen Spieler mit einer guten Spieleröffnung, der auch ab und an mittels dynamischem Andribbeln Räume überwinden kann. In diesem Spiel war es allerdings oft der Fall, dass Torres seinen Außenverteidiger Alfonos Pedraza in Szene setzte. Dies geschah, da Uniteds nomineller rechter Flügel Mason Greenwood Innverteidiger Torres anpresste, wodurch Perdraza nach Torres‘ Zuspiel mehr Zeit und Raum hatte. In diesem Fall ging Wan-Bissaka als Rechtsverteidiger volles Risiko und nahm den langen Weg auf sich, um Pedraza unter Druck zu setzen. Der Raum dahinter war allerdings nicht besetzt, da der nominelle linke Mittelfeldspieler Villarreals Manu Triqueiros permanent in den linken Halbraum einrückte und dort von McTominay in Empfang genommen wurde. Der dahinter im linken Halbraum agierende Stürmer Bacca ist nicht der Spielertyp, der die freien Räume in der Tiefe sucht, weswegen der Raum hinter Wan-Bissaka kaum genutzt werden konnte.
Uniteds Greenwood (11) setzt Innenverteidige Torres (4) unter Druck. Linksverteidiger Pedraza (24) findet somit viel Zeit und Raum vor, da der gegnerische Rechtsverteidiger Wan-Bissaka (29) einen weiten Weg hat, bis er Druck ausüben kann. Bacca (9) könnte in den Raum dahinter mittels Tiefenlauf sprinten (siehe blau eingezeichnete Zone). Da er dafür aber nicht der passende Spielertyp ist blieb dieser Lauf oft aus. Alternativ ließ sich der eingerückte Flügelspieler Triqueiros (14) auf den Flügel Fallen und wurde dabei von McTominay (39) bis auf die Outlinie begleitet. Das inkonsequente Nachschieben von Pogba (6) öffnet somit einen riesigen Raum im Zentrum, der aber von Villarreals Spieler unzureichend oder gar nicht besetzt wurde (siehe weiß eingezeichnete Zone). So verpufften die meisten Angriffe am Flügel.
Standards bringen Tore
Es war also keiner der beiden Mannschaften möglich, offensive Akzente zu setzen und somit für Torgefahr zu sorgen. So ergab sich ein defensivtaktisch geprägtes Spiel, welches hauptsächlich im Mitteldrittel sowie im Abwehrdrittel der Spanier stattfand.
Quelle: Whsoscored.com
Symptomatisch für die Charakteristik des Spiels war die Tatsache, dass beide Tore nach Standardsituationen fielen. In der 29. Minute war es der über weite Strecken blass gebliebene Gerard Moreno, der eine Freistoßflanke von Dani Parejo zum Führungstreffer verwerten konnte. Dem vorausgegangen war ein leichtsinniger Fehler Uniteds im Spielaufbau, gefolgt von einem überflüssigen Foul von Edison Cavani.
Ebenjener Cavani war es, der nach einer Ecke aus einem Gestocher heraus seinen Torriecher unter Beweis stellte und den Ball zum Ausgleich über die Linie drückte.
Die Tore sollten am taktischen Geschehen allerdings wenig bis gar nichts ändern. Weder Unai Emery noch Ole Gunnar Solskjaer gingen ein zu hohes Risiko und hielten an ihren Matchplänen im Großen und Ganzen fest.
Trainer adaptieren kaum
Emery brachte in der 60. Minute mit Coquelin einen weiteren gelernten zentralen Mittelfeldspieler, der seine Stärken in der Zweikampfführung hat. Nominell agierte er als rechter Mittelfeldspieler. Doch speziell im eigenen Ballbesitz sollte er analog zu seinem Pendant auf der linken Seite – Manu Triqueiros – in den Halbraum einrücken, was von diesem Zeitpunkt an das vorhin beschriebene Angriffsschema auch auf der rechten Seite ermöglichte. Doch auch hier ging der Ball oft am Flügel verloren bzw. konnte man keine Progression und Dynamik in den Angriff bringen.
Solskjaer veränderte noch weniger an seinem ursprünglichen Plan – den ersten Spielerwechsel nahm er erst in der 100. Minute, sprich in der Verlängerung, vor. Fred kam für Greenwood, Pogba wurde zum nominellen linken Flügelspieler. Fred ging auf Pogbas ursprüngliche Sechserposition und Rashford wechselte auf den rechten Flügel. Fred nahm die Rolle als abkippender Sechser ein, was McTominay eine höhere Positionierung im zentralen Mittelfeld erlaubte. Nun war es Paul Pogba, der sich als unterstützender Spieler ins Zentrum fallen ließ, um für etwas mehr Betrieb vor den beiden gegnerischen zentralen Mittelfeldspielern zu sorgen und sie eventuell in eine Mannorientierung zu locken. Dies wiederum hätte Räume für die Offensivspieler Fernandes und Cavani zwischen den Linien freigezogen. Die Spanier ließen sich von dieser minimalen Adaptierung aber nicht beeindrucken und behielten ihren kompakten Block bei – nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass sich die beiden zentralen Mittelfeldspieler nicht dazu verleiten ließen, mannorientiert gegen Pogba und McTominay zu agieren.
Je länger das Spiel dauerte, desto mehr kleinere und größere individuelle Fehler schlichen sich bei den Akteuren ein. Dies sorgte speziell von Seiten Uniteds für etwas mehr Torgefahr. Alles in allem blieb es aber ein ausgeglichenes Spiel, in dem die Red Devils mehr Ballbesitz hatten, aber weiterhin kein Mittel gegen den gut verteidigenden Block Villarreals fanden. So kam es wie es kommen musste: Nach 120 Minuten stand es noch immer 1:1 – der Sieger musste als im Elfmeterschießen ermittelt werden. Und selbst hier wurde die Pattstellung nochmals bestärkt – war es doch Uniteds Torhüter David de Gea, der als letzter noch nicht angetretener Schütze an Villarreal Keeper Gero Rulli scheiterte und die Spanier somit zum Sieger machte.
Fazit
Dieses Europa-League-Finale wird wahrlich nicht als Offensivspektakel in die Geschichte eingehen. United biss sich am disziplinierten und kompakten Defensivblock des Gegners die Zähne aus. Da die Submarino Amarillo aus Villarreal im eigenen Angriffsspiel allerdings ebenfalls keine Mittel fand, blieb es ein Spiel ohne wirklich große Torchancen. Bezeichnend für die Charakteristik der Partie ist auch der Fakt, dass beide Tore aus Standardsituationen fielen. So kam es wie es kommen musste: Das Spiel ging bis ins Elfmeterschießen und selbst da schien es lange Zeit so, als könne keine der beiden Mannschaften einen Vorteil für sich verbuchen. Schließlich war es Uniteds Keeper de Gea, der den entscheidenden Penalty vergab. Villarreal ist somit durch ein 12:11 nach Elfmeterschießen zum ersten Mal überhaupt Sieger der UEFA Europa League.
Mario Töpel, abseits.at
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