Ein Team entsprechend dem vorherrschenden Klischee – das ist der Kader von Ajax Amsterdam
Europa League 20.Februar.2014 Alexander Semeliker 2
Im Sechzehntelfinale der UEFA Europa League trifft Red Bull Salzburg auf Ajax Amsterdam – eines der schwersten möglichen Lose. Die Niederländer führen die Eredivisie an, verpassten in der Champions League den Aufstieg in die KO-Phase nur knapp und haben als Verein einen großen Namen. abseits.at nimmt den Kader genauer unter die Lupe.
In der Gruppenphase der Champions League sorgte Ajax vor allem mit dem 2:1-Sieg gegen den bis dato 2013/2014 noch ungeschlagen FC Barcelona. Insbesondere in der ersten Halbzeit waren die Niederländer überaus dominant. Mit einem intensiven Pressing jagten sie den Katalanen den Ball ab und mit einer hohen Passsicherheit schaffte man es, selbigen zum Großteil in den eigenen Reihen zu halten. Die Spielanlage passt also zum Bild, das man vom Verein hat – ebenso der Kader. Weltweit bekannte Superstars sucht man vergeblich, dafür findet man einige Spieler, die das Potenzial dazu haben.
Der Torhüter
Als wichtiger und oft übersehener Faktor im Spiel einer ballbesitzorientierten Mannschaft ist der Torhüter. Er ist praktisch immer anspielbar, kann bei entsprechender Positionierung eine wichtige Rolle im Spielaufbau übernehmen bzw. dadurch für eine Überzahlsituation sorgen. Vor allem gegen hoch pressende Teams, wie es vermutlich auch Red Bull Salzburg tun wird, ist das ein nicht zu unterschätzendes Element. Kenneth Vermeer, der als nomineller Einser-Keeper in die Saison ging, verkörpert diese Spielweise perfekt. Der 28-jährige Niederländer trat 2011 in die Fußstapfen von Maarten Stekelenburg und schaffte den Sprung ins Nationalteam. Allerdings spielte Vermeer vergleichsweise selten zu Null, was zum Teil auch auf individuelle Fehler von ihm zurückzuführen ist. Er verlor zusehends das Vertrauen in sein Spiel und letztlich auch sein „Leiberl“.
Die neue Nummer eins im Tor der Amsterdamer ist daher der 24-jährige Jasper Cillessen. Er kam 2011 von N.E.C. Nijmegen und erinnert in gewisser Weise an Edwin van der Saar, den niederländischen Torhüter der letzten beiden Dekaden. In seinen bisherigen 16 Saisonspielen behielt er zehnmal eine weiße Weste, verglichen mit einer aus neun Spielen bei Vermeer. Sein Passspiel ist zwar unpräziser – 76% erfolgreiche Pässe (Vermeer: 87%) – und im Allgemeinen Ajax-untypischer, allerdings wirkt er auf der Linie etwas besser. Hier kommt insbesondere die Tatsache zum Tragen, dass Cillessen sechs Zentimeter größer ist.
Die Innenverteidigung
Auch die Innenverteidigung von Ajax wird den Ansprüchen an den ballbesitzorientierten Spielstil gerecht. Links im Abwehrzentrum spielt Niklas Moisander, der 2012 zum Klub kam und mittlerweile 28 Jahre alt ist. Der Finne besticht besonders durch sein starkes Antizipationsspiel – im Schnitt fing er in der Champions League pro Spiel fast vier Bälle ab. Allerdings ist sein Herausrücken manchmal zu forsch, so dass er vor allem auf lange Bälle im Spielaufbau anfällig ist. Auch mit dem Ball am Fuß drängt Moisander im Allgemeinen weit nach vorne und ist durchschnittlich an einem Schuss pro Spiel beteiligt.
Ähnliche Eigenschaften findet man auch bei Joel Veltman wieder, der jedoch aufgrund seiner erst 22 Jahre mehr Entwicklungspotenzial mitbringt und im Ballbesitzspiel noch einen Tick stärker als Moisander einzustufen ist. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass er bereits seit der Jugend für Ajax aufläuft. So weist ihm die Statistik pro Spiel rund zwei erfolgreiche Dibblings pro Spiel aus. Eine Folge dessen ist, dass er doppelt so viele Fouls erlitten wie er selbst begangen hat. Untypische Werte für einen Innenverteidiger. Eine Schwäche von Veltman ist jedoch, dass er regelmäßige Aussetzer hat und dem Gegner dadurch gute Torchancen ermöglicht.
Ein weiterer Rohdiamant in der Verteidigung ist Stefano Denswil, der wie Veltman im Sommer 2012 zu den Profis aufrückte. Besonders zu Saisonbeginn überzeugte der 20-jährige Niederländer, der wie seine Mitspieler durch mutiges Aufrücken und sicheres Passspiel besticht. So stand er in fünf Champions League-Spielen in der Startelf, jedoch musste er seinen Stammplatz gegen Ende des Herbsts abtreten und kam in den letzten beiden Monaten nur mehr bei Jong Ajax zum Einsatz.
Innenverteidiger Nummer vier ist Mike van der Hoorn, sozusagen das Sorgenkind von Ajax. Der 21-Jährige war mit knapp vier Millionen Euro Ablöse der teuerste Neuzugang im Sommer, passt aber vom Spielertyp noch nicht zur Ajax-Mentalität. Der 1,90m-Hüne entspricht nämlich mehr dem klassischen Innenverteidiger-Profil.
Die Außenverteidigung
Als erweiterte Option in der Innenverteidigung ist auch Ricardo van Rhijn zu sehen, üblicherweise kommt der 22-jährige Nationalspieler jedoch auf der rechten defensiven Außenbahn zum Einsatz. Auch er entstammt der eigenen Jugend und hat sich nach dem Abgang von Gregory van der Weil perfekt in Ajax‘ Spiel eingefügt. Er verkörpert den typischen niederländischen Außenverteidigertyp, liebt es nach Verlagerungen Tempo aufzunehmen und zu flankten. Der Vertrag des Rechtsverteidigers endet im Sommer 2015, weshalb man sich in der kommenden Transferperiode auf jede Menge Gerüchte um ihn einstellen kann.
Auf der gegenüberliegenden Seite spielt mit Nicolai Boilesen ein weiterer Legionär. Der Däne kam 2010 aus der Jugend von Bröndby, fiel die letzte Saison wegen Oberschenkelproblemen weitestgehend aus. Auch in der laufenden Spielzeit kamen diese bisher zum Vorschein. Spielt der 22-Jährige, ist er aber eine Bank. Wie van Rhijn ist er über die gesamte Länge präsent, schlägt viele Flanken und ist im Laufen schwer vom Ball zu trennen. Physisch wirkt er aufgrund seiner Größe (1,85m) jedoch weniger dynamisch.
Die nominellen Alternativen für die Außenverteidigerpositionen sind unerfahren. Auf der rechten Seite ist dies Ruben Ligeon, der als Achtjähriger zu Ajax kam und seitdem 13 Pflichtspiele für die Profis bestritten hat. Der Spielstil des dynamischen 21-Jährigen ist stark an jenen von van Rhijn angelehnt. Links hat man in Jairo Riedewald gar nur einen 17-Jährigen. Der Nachwuchsteamspieler feierte im Dezember ein traumhaftes Profidebüt, als er in zehn Minuten zweimal traf und damit das Spiel zugunsten seines Teams drehte.
Das zentrale defensive Mittelfeld
Ebenfalls als Außenverteidiger einsetzbar ist Daley Blind, der eine interessante Entwicklung hinter sich hat. Der Sohn von Ajax-Legende Danny Blind begann seine fußballerische Karriere im defensiven Mittelfeld, wurde dann jedoch zum Außenverteidiger umfunktioniert. Auf dieser Position schaffte er auch den Durchbruch im Profifußball, ehe er sukzessive wieder in seine alte Rolle zurückgezogen wurde. Vergleiche mit Philipp Lahm und Johan Neeskens sind daher naheliegend. Blind zeichnet sich durch ein außerordentlich starkes Stellungsspiel aus, was sich insbesondere im Spiel gegen den Ball zeigt. Seine Wichtigkeit konnte man unter anderem auch im Spiel gegen den FC Barcelona sehen, als er aufgrund von Boilesens Verletzung nach hinten gezogen wurde. Das Pressing verlor zusehends an Wirkung und das Spiel verkam mehr zu einer Abwehrschlacht.
Als Ersatz für Blind fungiert mit Christian Poulsen ein routinierter Akteur. Der 33-jährige Däne spielte in allen Topligen Europas, kommt zwar regelmäßig zu Einsätzen, hat seinen Zenit aber schon überschritten und ist mittlerweile ins zweite Glied zurückgerückt. Seine aggressive Zweikampfführung versucht er zwar weiterhin einzubringen, allerdings sucht er diese weniger über die Dynamik als über das Stellungsspiel. Auch im Aufbauspiel strahlt der 92-fache Internationale weniger Gefahr als Ruhe aus.
Das zentrale offensive Mittelfeld
Ein dichtes Gedränge gibt es im offensiven Mittelfeld, wo es für die beiden Achterposition mehrere Bewerber gibt. Gesetzt scheint Davy Klaassen sein. Der 20-jährige Blondschopf ist der beste Torschütze des Teams, obwohl er sich erst relativ spät in die Stammformation spielte. Ende November stand er zum ersten Mal zweimal hintereinander in der Startelf. Ein Grund dafür war eine Verletzung, wegen der er im Frühjahr 2013 ausfiel. Aufgrund seines Aussehens möchte man ihn mit Dennis Bergkamp vergleichen, doch während dieser mit enormen technischen Fähigkeiten ausgestattet war, liegen die Stärken von Klaassen in erster Linie im Erkennen von bzw. Positionieren in freien Räumen. Insbesondere seine Läufe in den Strafraum sind brandgefährlich.
Ein möglicher Nebenmann des Niederländers ist Thulani Serero, ein 23-jähriger Südafrikaner, der 2011 für die Ablösesumme von 2,5 Millionen Euro von Ajax Cape Town kam und in dieser Saison zu einer wichtigen Stütze reifte. Serero ist ein typischer Box-to-Box-Mittelfeldspieler: technisch gut, dynamisch, intelligent im Zweikampf sowie kombinations- und laufstark. So gesehen ist er das perfekte Verbindungsstück zwischen dem hoch spielenden Klaassen und dem abkippenden Blind und könnte daher der entscheidende Spieler sein, den es im Offensivspiel auf der Zentralachse zu stoppen gilt.
Flexibel einsetzbar ist der Kapitän der Mannschaft, Siem de Jong. Der geborene Schweizer spielte in den letzten Jahren sowohl im offensiven Mittelfeld als auch im Angriff. Herausragend war dabei vor allem sein Zusammenspiel mit Christian Eriksen, der im Sommer zu Tottenham wechselte. Der 25-Jährige ist ein sehr disziplinierter Spieler, der seine Aufgaben im Allgemeinen sachlich runterspult. Spielt er im Mittelfeld bringt er sein Team eher im physischen Bereich weiter, anstatt das Kombinationsspiel zu heben. Seine Passquote ist die zweitniedrigste aller Feldspieler.
Eine weitere Option ist der niederländisch-kapverdische Doppelstaatsbürger Lerin Duarte. Der 23-Jährige ist neben van der Hoorn der einzige Neuzugang, für den Ajax Ablöse gezahlt hat: drei Millionen wurden an Heracles Almelo überwiesen. Dort war der wendige Duarte mit seinen variantenreichen Dribblings ein wichtiger Impulsgeber, spielte aber näher an der Seitenlinie als nun bei Ajax. Er schien sich zunächst gut einzufügen, traf bereits bei seinem zweiten Startelfeinsatz. Allerdings bremsten ihn Blessuren an Knöchel und Oberschenkel zwischenzeitlich aus, so dass er sich erst wieder herantasten muss.
Die Flügelspieler
Lasse Schöne kann ebenfalls im zentralen offensiven Mittelfeld spielen, er tat dies auch während seiner Zeit bei N.E.C. Nijmegen und zuweilen auch bei Ajax. Wie im dänischen Nationalteam wird der 27-Jährige aber mittlerweile vermehrt am rechten Flügel aufgeboten, einmal sogar als Außenverteidiger. Gemäß seines Naturells zieht er dann oft in die Mitte überlädt Räume und löst sich dann mit seiner Dynamik. Das Repertoire von Schöne ist breit gefächert: er flankt gut, hat ein gutes Auge, ist sicher im Passspiel, kann Bälle halten, tritt brauchbare Standards und verfügt über eine tolle Schusstechnik. In 195 Eredivisie-Spielen erzielte er 45 Tore, legte 40 weitere auf. Mit sieben Toren und sechs Vorlagen ist er aktuell Ajax‘ Topscorer.
Auf der linken Seite findet man mit Schönes Landsmann Viktor Fischer die aktuell heißeste Aktie im Ajax-Lager. Der 19-Jährige agiert als Linksaußen und steht auf den Zetteln zahlreicher europäischer Topklubs. Er spielt etwas höher und breiter als der rechte Flügelspieler, zudem mit mehr Zug zum Tor. So schießt nur de Jong häufiger auf das gegnerische Tor als der Youngster. Das heißt jedoch nicht, dass sein Spiel einfach gestrickt und einfach zu verteidigen ist. Fischer verfügt über ein großes Spielverständnis, ist beidfüßig, bewegt sich intuitiv gut zwischen den Linien und verfügt über ein außerordentlich gutes Dribbling, wird dabei aber teilweise zu leicht vom Ball getrennt – gemessen an den Topansprüchen.
Als Alternativen für die beiden stehen mehrere Spielertypen zur Auswahl. Einer von ihnen ist mit Lucas Andersen ein weiterer Däne. Der technisch starke 19-Jährige kam 2012 von Aalborg BK, ist sowohl links als auch rechts und im offensiven Mittelfeld einsetzbar. Auch der Schwede Tobias Sana kann auf beiden Seiten aufgeboten werden. Der 24-jährige Rechtsfuß definiert sich jedoch weniger über spielmachende Elemente, sondern ist wie Fischer ein zielgerichteter Akteur mit gutem Dribbling. Allerdings kam Sana heuer in erster Linie in der zweiten Mannschaft zum Zug – ebenso wie der dort torgefährliche Lesly de Sa.
Der Stürmer
Für die Stürmerposition gibt es neben dem bereits erwähnten de Jong zwei weitere Spieler. Da wäre einerseits Bojan Krkic, der aktuell auf Leihbasis für Ajax kickt und eigentlich noch dem FC Barcelona gehört. Der Spanier galt einst als Riesentalent und war einer der ersten „neuen“ La Masia-Generation, ist dementsprechend ein äußerst guter Kombinationsspieler. Als er sein Debüt für die Profis gab war er gerade 17 Jahre jung. Doch weder bei den Katalanen noch in Italien – je eine Saison spielte er für die AS Roma und den AC Milan – konnte er sich durchsetzen. Auch bei Ajax ist der 23-Jährige nicht unumstrittener Stammspieler. Je nach Situation wird er auf den Flügel oder eben ins Sturmzentrum geschoben.
Im Kontrast zum Spielstil des wendigen, technisch starken Bojan steht jener von Kolbeinn Sigthorsson. Der 23-jährige Isländer wird in das Kombinationsspiel kaum eingebunden, spielt im Schnitt nur 17 Pässe pro Partie. Er ist zwar kein klassisch, statischer Neuner, sondern lässt sich immer wieder aus dem Zentrum zurückfallen und versucht als Wandspieler zu fungieren, jedoch ist er aufgrund seine Physis stets eine Anspielstation für lange Bälle. Gegen das vermutlich hoch angelegte Salzburger Pressing wäre er also eine denkbare Option.
Alexander Semeliker, abseits.at
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