Der FC Chelsea gewann das Europa-League-Finale gegen den Stadtrivalen Arsenal am Ende klar mit 4:1 und konnte dadurch ein sehr leistungsschwankendes erstes Jahr unter... Finale der Systemspiegelungen: Chelsea holt die Europa League!

Der FC Chelsea gewann das Europa-League-Finale gegen den Stadtrivalen Arsenal am Ende klar mit 4:1 und konnte dadurch ein sehr leistungsschwankendes erstes Jahr unter Maurizio Sarri noch zufriedenstellend zu Ende bringen.

Das Finale in Baku zwischen den beiden englischen Spitzenklubs war aber über sehr weite Strecken von hoher taktischer und spielerischer Qualität geprägt und vor allem die erste Halbzeit ließ noch nicht darauf schließen, dass das Endergebnis dermaßen klar ausfallen würde. Sowohl Maurizio Sarri als auch Unai Emery schickten ihre Teams mit klaren und auf maximalen Zugriff ausgerichteten Pressingkonzepten auf das Spielfeld, wodurch sich ein sehr strukturiertes, ja fast schon mechanisches Spiel in den ersten 45 Minuten entwickelte. Die individuelle Klasse im Ballbesitz auf beiden Seiten sorgte aber dafür, dass Drucksituationen immer wieder spielerisch aufgelöst werden konnten und die Pressing-Konstellationen häufig ad absurdum geführt wurden. Chelsea nutzte diese Räume besser und sorgte nach der Pause dank einer eiskalten Chancenverwertung rasch für klare Verhältnisse.

Wir widmen uns in der Analyse den interessanten Pressingkonzepten der beiden Mannschaften und erklären auch, warum Chelsea die spielentscheidenden Nuancen auf seiner Seite hatte. 

Chelsea forciert Zugriff im Pressing – Arsenal findet dank guter Raumaufteilung Lösungen

Maurizio Sarri suchte von Beginn weg den maximalen Zugriff im Pressing und versuchte so, das Aufbauspiel von Arsenal früh zu stören und ein mannschaftliches Aufrücken in das mittlere Spielfelddrittel zu vermeiden. Sarri wusste wohl genau, dass in diesen Spielfeldzonen der Zugriff nicht mehr wie gewünscht hergestellt werden konnte und seine Mannschaft immer passiver geworden wäre.

Das Angriffspressing der Blues war aber klar strukturiert und sauber umgesetzt. Bedingt auch durch die verschiedenen Grundordnungen der beiden Teams, die sich wunderbar spiegeln ließen.

Basierend auf diesem Spiegelungs-Gedanken positionierte Sarri seine Truppe im 4-3-3 auch dementsprechend gegen das 3-4-2-1 von Unai Emery. In der nachfolgenden Grafik sind die Zuordnungen im Pressing klar erkennbar:

Klare Zuordnungen und 1 gegen 1 Situationen über das komplette Feld. In der ersten Pressinglinie stellte Chelsea durch das Aufrücken von Hazard und Pedro eine 3 gegen 3 Gleichzahlsituation her, mithilfe derer der Spielaufbau von Arsenal natürlich massiv unter Druck gesetzt werden konnte. Mittelstürmer Olivier Giroud gab meist den ersten Pressingimpuls und lief Innenverteidiger Koscielny vertikal an, Pedro und Hazard ließen die horizontalen Passoptionen zu den beiden Halbverteidigern zu Beginn noch offen, schoben während des Passes heraus und nahmen den Halbverteidigern nahezu alle Optionen, das Spiel in die Tiefe fortzusetzen.

Aber im modernen Fußball reicht es längst nicht mehr aus, nur eine kompakte und aggressive erste Pressinglinie aufzuziehen, auch die Strukturen und der Zugriff aus den hinteren Linien müssen stimmig und gruppentaktisch aufeinander abgestimmt sein. Vor allem wenn man gegen eine spielerisch agierende Mannschaft presst. Bei Chelsea war allerdings auch das der Fall. Die beiden Achter Kanté und Kovacic schoben auf die Sechser von Arsenal   , dahinter beobachtete Sechser Jorginho die Wege von Zehner Özil. Wichtig in diesem Zusammenhang waren auch die Laufwege der beiden Außenverteidiger Emerson und Azpilicueta. Beide verteidigten sehr offensiv und schoben weit bis auf die Höhe der gegnerischen Flügelverteidiger vor. Dadurch mussten zwar die beiden Innenverteidiger Mann gegen Mann gegen die Arsenal-Stürmer verteidigen, allerdings konnte durch dieses aggressive Hochschieben der Druck im Angriffspressing erst maximiert werden und Arsenal vor schwer lösbare Situationen gestellt werden.

Das Hauptziel von Sarri mit dieser systemischen Spiegelung war, klare Zuordnungen und direkte Duelle zu schaffen, wodurch das mutige Angriffspressing wesentlich effektiver und griffiger umgesetzt werden konnte. Für das hohe Zustellen nahm er auch in Kauf, dass die Restverteidigung im Regelfall in Gleichzahl verteidigen musste. Ein Punkt, den Unai Emery zu seinen Gunsten nutzen wollte.

In der obenstehenden Grafik sieht man neben dem Pressing von Chelsea logischerweise auch die Aufbaustruktur von Arsenal. Die Raumaufteilung war dabei durchaus passend und gut. Arsenal baute mit der Dreierkette das Spiel von hinten heraus auf, die Sechser boten sich abwechselnd im Sechserraum kurz an und versuchten so, Dreiecke mit den Innen- und Flügelverteidigern herzustellen. Die angesprochenen Flügelverteidiger gaben dem Spiel die notwendige Breite, während Mesut Özil als Zehner viele Freiheiten hatte und sich flexibel zwischen den gegnerischen Linien bewegen konnte.

Aubameyang und Lacazette sorgen wiederum für Tiefe und gingen in den direkten Infight mit den Chelsea-Innenverteidigern. Vor allem aber sollten sie durch ausweichende Bewegungen auf die Flügel die offenen Räume hinter den aufgerückten Außenverteidigern von Chelsea bespielen und so für den nötigen Zug zum Tor sorgen. Emerys Idee dahinter war ziemlich simpel, gleichzeitig aber auf effektiv. Mit langen Pässen sollten die Flügelverteidiger die komplizierten Drucksituationen auf den Flügel auflösen und den freigezogenen Raum hinter den Außenverteidigern der Blues anspielen. Nahezu das gesamte Pressing von Chelsea wäre mit einem einfachen Pass überspielt und die schnellen Stürmer würden sich in aussichtsreichen 1 gegen 1 Situationen wiederfinden.

Theoretisch wunderbar umsetzbar, praktisch haperte es aber genau daran. Das lag vor allem auch an den Innenverteidigern David Luiz und Christensen. Beide gingen sehr konsequent und aufmerksam mit den Stürmern mit und konnten sie bei der Ballannahme sofort mit dem Rücken zum Tor stellen bzw. den Ball schon vorher abfangen. Diese potentiellen freien Räume hinter den Außenverteidigern gab es daher eigentlich nur auf dem Papier, David Luiz und Christensen deckten mit ihrer Dynamik und Zweikampfstärke diese Räume perfekt ab.

Auch Emery kann gegnerische Formationen spiegeln

Nicht nur Maurizio Sarri kann gegnerische Systeme spiegeln, auch Arsenal-Coach Unai Emery griff im Finale auf selbiges Werkzeug zurück. Wir erinnern uns, dass Thomas Tuchel in seiner ersten Saison mit Mainz in der Bundesliga fast die komplette Saison lang gegnerische Formationen spiegelte, um seiner individuell unterlegenen Mannschaft den notwendigen Zugriff zu geben. In diesem Zusammenhang ist auch der Begriff des „Matchplans“ entstanden. Taktische Ideen in den verschiedensten Variationen und Abwandlungen können eben auf alles und jeden übertragen werden. Aber zurück zu Arsenal und zu deren Pressing. Auch da waren die Zuordnungen im hohen Zustellen klar, wenn auch die Intensität nicht so hoch war wie bei Chelsea. In der Grafik die Grundstruktur von Arsenal im Pressing:

Die 3-4-1-2-Ordnung konnte dabei beigehalten werden. Aubameyang und Lacazette positionierten sich dabei vertikal vor den gegnerischen Innenverteidigern, blockten die Halbräume und die direkten Passwege zu den Achtern. Sie liefen dabei aber selten durch, sondern ließen die Ballzirkulation zwischen den beiden Innenverteidigern zu. Dahinter orientierte sich Zehner Özil klassisch mannorientiert am Sechser Jorginho, die beiden Sechser Xhaka und Torreira ähnlich an den gegnerischen Achtern.

Ähnlich wie Chelsea konnte Arsenal auch die unmittelbaren Aufbauzonen im Zentrum zustellen. Ähnlichkeiten zwischen den Teams gab es auch im Bezug auf das Defensivverhalten am Flügel. Die Flügelverteidiger Kolasinac und Maitland-Niles agierten nämlich ähnlich offensiv ausgerichtet und setzten konsequent die Chelsea-Außenverteidiger unter Druck. Der Hintergedanke war derselbe wie bei den Blues: Zentrum zustellen, Gegner auf die Flügel lenken, dort aggressiv anlaufen und den Druck maximieren.

Aber so wie Arsenal (hinter den aufgerückten Außenverteidigern) hatte auch Chelsea Ausweichzonen für ihre Angriffe, die sie dank der überragenden individuellen Klasse schlussendlich besser nutzen konnten als der Stadtrivale. Arsenal bot große Räume zwischen den drei Verteidigern und den beiden Sechsern an. Dafür ist eine derart noch vorne ausgerichtete Ordnung natürlich gefährdet. Eigentlich orientierten sich sieben Spieler (die beiden Stürmer, Flügelverteidiger, Sechser und Zehner Özil) nach vorne und übten Druck aus, die drei Verteidiger in der letzten Linie konnten dabei nicht immer Schritt halten und ließen sich von den drei Chelsea-Angreifern einige Male nach hinten drängen.

Die drei Arsenal-Spieler sahen sich natürlich mit einem Dilemma konfrontiert: Hoch nach vorne schieben und den Zwischenlinienraum verknappen heißt natürlich auch, viel Platz im Rücken hinter der letzten Kette anzubieten. Hazard und vor allem Pedro warten nur auf solche Situationen. Bleiben sie tiefer, öffnet sich der Zwischenlinienraum und Hazard und Co. können sich genau in diesen Räumen mit Aufdrehbewegungen freischaufeln. Chelsea hatte in Sachen Restverteidigung strukturell die bessere Ausgangsposition. Einige Male wurde dieser Raum dann gezielt angespielt, indem der lange Ball aus der Abwehr auf Giroud kam, der als Wandspieler fungierte und die Bälle für die nachrückenden Hazard und Pedro ablegte.

Rein strukturell waren beide Teams im Pressing sehr sauber und gut organisiert. Die Details und Synergien sprachen aber mit Fortdauer des Spiels immer mehr für Chelsea und sorgten dann auch für den klaren Spielausgang. Die Effizienz vor dem Tor und die individuelle Klasse trugen ihr Übriges dazu bei.

Fazit

Auf den ersten Blick war es taktisch ein recht simpel gehaltenes Finale. Das Spiegeln von gegnerischen Formationen ist kein Hexenwerk, aber aufgrund der sehr guten Planbarkeit in Finalspielen gern genutzt. Spielt der Gegner dann auch noch mit der erwarteten Formation, können oft sehr mechanisch wirkende Spiele entstehen. Kleine Details in der Raumbesetzung und Restverteidigung sowie die großen spielerischen Potentiale auf beiden Seiten sorgten aber dafür, dass ein sehr flüssiges und dynamisches Finale zu sehen war. Es wird spannend zu beobachten sein, wie sich die Gegensätze „Pressing vs. kontinuierlicher Spielaufbau“ weiter entwickeln werden. England ist diesbezüglich mittlerweile das Aushängeschild. Davon wird man erneut am Samstag im Champions-League-Finale einen Eindruck bekommen können.

Sebastian Ungerank, abseits.at

Sebastian Ungerank

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