Der SK Rapid bekommt es am Donnerstag mit dem polnischen Cupsieger und Zweitligisten Wisla Krakau zu tun. Wir sehen uns im Vorfeld der Partie die Spielanlage und die Mannschaft des ersten Rapid-Gegners in der neuen Europacupsaison an.
Im Sommer 2022 stieg der polnische Traditionsklub in die zweite polnische Liga ab. Seitdem waren zwei Wiederaufstiegsversuche erfolglos. In der ersten zweitklassigen Saison wurde man Vierter, in der abgelaufenen Spielzeit sogar nur Zehnter in einer Achtzehnerliga. Allerdings holte der Zweitligist sensationell den Cup und schaltete auf dem Weg zum Titel drei Zweitligisten und danach mit Widzew Lodz, Piast Gliwice und im Finale Pogon Szczecin auch drei Erstligisten aus.
Im Finale gelang Wisla erst in der neunten Minute der Nachspielzeit der Ausgleich und in der Verlängerung sorgte Stürmerstar Ángel Rodado nach wenigen Minuten für den entscheidenden Treffer zum 2:1.
Schmerzliche Abgänge, Aufstieg als Hauptziel
Für Wisla ist der Aufstieg in die Ekstraklasa das ausgewiesene Saisonziel – der Europacup nur ein Bonus. Mit Kazimierz Moskal hat Wisla einen neuen Trainer auf der Bank, nachdem der spanische Coach Albert Rudé nach Saisonende um eine einvernehmliche Vertragsauflösung bat. Das hatte auch Auswirkungen auf die Transferaktivitäten des polnischen Klubs.
In der letzten Sommertransferperiode vor einem Jahr waren unter anderem gleich sechs Spanier nach Krakau gewechselt – vier andere verließen den Klub. In der laufenden Transferperiode holte der Klub keine Spanier mehr und gab erneut vier ab. Zwei der abgegebenen Spieler waren dabei absolute Leistungsträger: Stammkeeper Álvaro Ratón wechselte nach Griechenland und der umtriebige Offensivakteur Miki Villar zu Meister Jagiellonia Bialystok. Man gab Spieler ab, die in der vergangenen Saison zusammen 15 Tore und 14 Assists beisteuerten.
Neu im Team sind sechs Spieler, unter anderem Rakow-Stürmer Lukasz Zwolinski und der deutsch-griechische Linksverteidiger Giannis Kiakos. Mit klingenden Namen verstärkte sich Wisla aber nicht. Der Grundstock über den man verfügt – und mit Rodado der beste Stürmer der zweiten polnischen Liga – sollen für den Aufstieg in die erste Liga ausreichen.
Unter Erwartung gelaufen
In der vergangenen Saison lief Wisla unter Erwartung, holte 50 Punkte, kam aber auf 58.9 xP, was den dritten Platz in der xP-Tabelle bedeutet hätte. Mit 64.48 xG kam man auf den Ligabestwert, erzielte 62 Tore und spielte somit erwartungsgemäß. Allerdings kassierte man deutlich zu viele dumme Tore und ließ so zahlreiche Punkte liegen.
Trügerische Formation
Die Basis sollte im Vergleich zur Vorsaison weitgehend dieselbe sein. In der Startelf von Wisla werden voraussichtlich nur zwei neue Spieler stehen. Neun Starter waren auch schon beim Cupsieg dabei. Auf dem Papier spielt Wisla in einem 4-2-3-1, realtaktisch sieht es aber anders aus.
Die Polen agieren in Ballbesitz meist aus einem 4-4-2 heraus, wobei dieses im Mittelfeld nicht zwei klassische Blöcke wie das neue 4-2-2-2 von Rapid aufweist, sondern allgemein eher zwei Ketten. Die offensiveren Mittelfeldspieler agieren demnach eher aus einer tiefen Position heraus und sind eher Flügel-, als Halbfeldspieler. Relativ häufig wird daraus auch ein 4-1-3-2- bzw. ein 4-1-4-1-System, wenn Wisla die erste Kette überspielt. Der (eigentliche) Zehner schiebt nach vorne, Rodado gibt den spielstarken Antizipativstürmer und die Absicherung erfolgt nur durch einen Sechser.
Gegen den Ball ist Rodado die Speerspitze und arbeitet wenig nach hinten – der Rest der Mannschaft schaltet so schnell wie möglich um und kommt hinter den Ball. Man verteidigt entweder in einem 4-1-4-1 mit zwei Ketten und einem Sechser als Zwischenlinienabsicherung oder einer der Sechser lässt sich in die Innenverteidigung fallen und Wisla verteidigt im 5-4-1 – ebenfalls mit zwei Ketten. Das Team kann das Zentrum grundsätzlich gut verdichten, hat aber Probleme im effektiven, statischen Verteidigen. Man setzt also auf „Masse“, hat aber vor allem wenn’s schnell geht nicht immer die idealen Abstimmungen intus.
Verhalten bei Standardsituationen
Bei Defensivstandards praktiziert die Mannschaft Manndeckung und ist gerade bei Rochadebewegungen anfällig auf Zuordnungsfehler. Bei Offensivstandards ist man von der linken Seite grundsätzlich gefährlicher, als von rechts. Von der rechten Seite sind allerdings vor allem kurze Flanken gefährlich. Die kurze Ecke konsequent zu verteidigen, ist hier also essentiell. Aus dem Spiel heraus ist Wisla bei Flanken deutlich weniger gefährlich, als bei Standards, was mit der mangelnden Kopfballstärke der vier Offensivspieler zusammenhängt. Nur wenn die Innenverteidiger und Sechser mit nach vorne kommen, ist höchste Vorsicht geboten.
Aufbauspiel häufig über die Außenpositionen
Das Aufbauspiel der Polen weist einen klaren Rechtsdrall auf, auch weil die Bindung von Abwehrchef Uryga zu seinem Rechtsverteidiger, der für gewöhnlich eher tief steht, sehr hoch ist. Zudem stellt Wisla (nicht nur) in seiner Innenverteidigung zwei Rechtsfüße auf, was ein wichtiger Faktor für das Anlaufverhalten Rapids sein wird.
Die Mannschaft versucht zudem speziell über die Flügel Tiefe zu finden und lauert darauf, dass die gegnerische Abwehrkette möglichst hochsteht, um das Abseits zu umspielen und vor allem freie Räume hinter den gegnerischen Außenverteidigern zu finden. Auf der anderen Seite allerdings ist dies auch eine defensive Schwäche der Polen, die in ihrer Viererkette Probleme in der Symmetrie bzw. Linienbildung haben. Nach Ballverlusten kommt es häufig vor, dass einer der Innenverteidiger höher steht als der andere und bespielbare Räume im Zentrum oder auf den Halbpositionen frei werden.
Stark vom Momentum abhängig
Auffällig ist auch, dass Wisla nach Überspielen der ersten Linie in Ballbesitz gerne eine Mittelfeldraute bildet, um in Tiefe und Breite mehrere Kombinationsmöglichkeiten zu haben. Allerdings ist die technische Qualität des Mittelfelds nicht mit Rapid vergleichbar und es sollte möglich sein, gerade im Mittelfeldpressing zahlreiche Bälle zu erobern.
Grundsätzlich ist Wisla eine Mannschaft, die vom Momentum lebt und Teilerfolge in viel Energie umwandelt. Wenn das Spiel hektisch wird und Wisla gerade eine gute Phase hat, kann die Mannschaft durchaus über sich hinauswachsen und den Schwung mitnehmen. Für Rapid ist es demnach wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren und den Ball laufen zu lassen. Wenn Wisla keinen Zugriff findet und nicht in Ballbesitzphasen kommt, dann wird die Mannschaft lethargisch und fehleranfällig in der Defensive.
Geduld ist gefragt
Rapid sollte also alle Möglichkeiten haben, den Gegner mit technischen Mitteln zu bespielen, muss aber natürlich auch geduldig agieren und auf Fehler oder Lücken warten. Gleichzeitig ist aber auch anzunehmen, dass Wisla mit einer harten Gangart dagegenhalten wird. Diesen Kampf muss Rapid annehmen, aber auch sauber umspielen, was angesichts des Mittelfeldübergewichts im neuen 4-2-2-2 machbar sein sollte.
Wir sehen uns nun noch das Personal der Polen im Detail an.
Torhüter
Im Tor wird voraussichtlich der 188cm große Weißrusse Anton Chichkan (29) starten. Dieser hat auf der Linie durchaus seine Stärken, hat aber Probleme in der Strafraumbeherrschung und bei Flanken bzw. flachen Hereingaben. Nachdem der bisherige Stammkeeper Álvaro Ratón den Klub verließ, ist Chichkan auch eher eine Notlösung, bis der junge Mikolaj Bieganski, der aus den USA nach Krakau wechselte, soweit ist.
Innenverteidigung
In der Innenverteidigung sind wie bereits beschrieben zwei Rechtsfüße gesetzt. Abwehrchef ist Kapitän Alan Uryga (30), neben ihm spielt der gambisch-stämmige Schwede Joseph Colley (25). Letzterer ist der bessere statische Zweikämpfer und auch schnellere Spieler, während Uryga in der Luft stärker ist und eine wichtigere Rolle im Spielaufbau einnimmt. Uryga hat eine starke Bindung zu seinem Nebenmann in der rechten Verteidigung, versucht aber auch immer wieder lange Bälle, wobei der Abnehmer häufig einer der Flügelspieler ist. Zumeist spielt er allerdings sichere, kurze Pässe nach rechts.
Uryga hat durchschnittlich auch eine tiefere Position als Colley, der eher aus der Kette schiebt – sowohl mit, als auch gegen den Ball.
Weil Igor Lasicki mit einer Knieverletzung ausfällt, ist der erst 20-jährige Kacper Skrobanski der einzige Ersatzmann für die Innenverteidigung. Er spielte zuletzt leihweise beim Knasmüllner-Klub Wieczysta Krakau und kam für Wisla bisher erst auf fünf Einsätze. Personell darf den Polen in der Innenverteidigung also kein Ausfall passieren.
Außenverteidigung
Auf der rechten Abwehrseite spielt mit Bartosz Jaroch (29) ein eher verhaltener Außenverteidiger, der selbst nicht zu weit nach vorne schiebt und vieles mit seiner Routine und seinem Passspiel löst. Er ist weniger ein Flügelflitzer, sondern mehr ein Kombinationsspieler und auch einer der Akteure, die im Spielaufbau zahlreiche Ballaktionen haben. Er gilt aber auch als durchaus sicherer Passspieler und mit seinen 185cm Körpergröße als einer der Zielspieler bei Standards. Sein Ersatzmann ist der 20-jährige Kuba Wisnieswki.
Auf der linken Seite startet mit dem laufstarken Rafal Mikulec (27) ein Neuzugang. Wie alle seine Starterkollegen in der Viererabwehrkette ist auch er ein Rechtsfuß. Mikulec bringt deutlich höheren Offensivdrang mit als Jaroch auf rechts und zieht gerne zur Mitte, anstatt bis zur Grundlinie zu gehen. Er ist also praktisch ein „inverser Außenverteidiger“.
Sein erster Ersatzmann ist mit dem Deutsch-Griechen Giannis Kiakos (26) ein Neuzugang und ebenfalls im Kader steht mit Jakub Krzyzanowski (18) das größte Talent des Teams, das vor einem Wechsel zu Bologna stehen soll. Weil man den Youngster aber sehr vorsichtig an die „Erste“ heranführt, spielt er derzeit nur eine ungeordnete Rolle und kam in den beiden Spielen gegen Llapi nicht zum Einsatz.
Die interessanteste Facette in der Verteidigung ist demnach, dass alle Spieler Rechtsfüße sind, was eine wichtige Information für Rapids Pressingbemühungen sein wird.
Defensives Mittelfeld
Im zentralen, defensiven Mittelfeld fällt mit Kacper Duda der wohl beste, kompletteste Spieler für diese Position aus. Zudem wird auch der Nordmazedonier Enis Fazlagic verletzungsbedingt fehlen.
Die Doppelsechs besteht demnach aus dem Spanier Marc Carbó (30) und dem Polen Igor Sapala (28) – ebenfalls beides Rechtsfüße. Carbó ist der deutlich präsentere Spieler, bringt eine hohe Passgenauigkeit mit und zieht auch deutlich mehr Zweikämpfe als Sapala, der wiederum fürs Stellungsspiel recht wichtig ist und sich gerne nach hinten fallen lässt, vor allem linkslastig. Er ist auf der linken Seite zudem ein wichtiger Kombinationsspieler für Linksverteidiger Mikulec und sichert häufig seinen Rückraum ab. Carbó schiebt bei einer Rautenbildung weiter nach vorne und fungiert als Kombinationsspieler im rechten Halbraum.
Erster Einwechsler ist Patryk Gogol (21), der auch Box-to-Box agieren kann. Weitere Optionen sind Mariusz Kutwa (20) und Karol Dziedzic (18). Neben den routinierten Startern hat Wisla also vor allem blutjunge Alternativen für die Doppelsechs.
Offensives Mittelfeld
Auf der rechten Offensivseite ist der Spanier Ángel Baena (23) fix gesetzt. Dieser ist ein sehr intensiver Dribbler und Tiefenläufer, sowie Zielspieler für den Spielaufbau auf der rechten Seite. Auch gegen den Ball bleibt er am Flügel und zieht sich kaum auf einer zentralen Position zurück. Baena sucht die Grundlinie und Flanken, ist aber selbst nicht besonders torgefährlich, sondern eher Vorbereiter und Einfädler. Baena ist praktisch alternativlos und kann nur von Dawid Olejarka, einem 22-jährigen Zehner ersetzt werden.
Auf der linken Seite dürfte mit Mateusz Mlynski (23) ebenfalls ein Rechtsfuß starten. Dieser kam zuletzt von einer Leihe mit Gornik Leczna zurück und agiert auf der linken Offensivseite invers, wobei er eher ein Kombinationsspieler und weniger ein Dribbler ist. Im Zuge seiner Leihe war er kein Stammspieler und Mlynski fällt im Vergleich zu Baena auf der rechten Seite doch klar ab. Er könnte vom jungen Piotr Starzynski (20) ersetzt werden.
Stürmer
Etatmäßig ein Zehner ist Neuzugang Olivier Sukiennicki (22), der einer der interessanteren, weil instinktgetriebenen Spieler im Team ist und als durchaus dynamisch und torgefährlich gilt. Er kam gerade erst von einem polnischen Drittligisten, schiebt im Wisla-System immer wieder in die Spitze und bringt vor allem bei Hereingaben eine gute Strafraumbesetzung und Instinkt mit. Gerade im Rückraum und an der Strafraumkante muss man auf ihn immer wieder aufpassen.
Der mit Abstand beste Spieler im Team ist der Torschützenkönig der Vorsaison, der Spanier Ángel Rodado (27) – der einzige Linksfuß in der Startelf von Wisla.
Der Spanier ist ein absoluter Knipser, kam in der Vorsaison auf 22 Saisontore, bewegt sich im Strafraum ausgezeichnet und lässt sich auch immer wieder in den Zehnerraum zurückfallen, um Bälle nach vorne zu tragen bzw. als Kombinationsspieler zu fungieren. Mit Vorliebe lässt er sich auf der halbrechten Seite zurückfallen, um invers aufs Tor ziehen und mit links abschließen zu können, was auch bedeutet, dass er nicht nur auf die Rapid-Innenverteidiger, sondern auch häufig auf Mamadou Sangaré treffen könnte. Er benötigt nur wenige Aktionen für ein Tor und ist definitiv der Spieler, den man nicht aus den Augen lassen darf.
Rodado wird zwar praktisch nicht ausgewechselt, wenn es aber doch der Fall sein müsste, wird er wohl intern ersetzt. In dem Fall könnte Sukiennicki nach ganz vorne rücken und das offensive Mittelfeld wird mit Gogol besetzt bzw. das System auf ein klassisches 4-2-3-1 umgestellt. Stürmeralternativen hat Wisla keine im Kader und auch Neuzugang Zwolinski von Rakow war bisher kein Thema bzw. stand noch in keinem Matchkader. Es wäre aber durchaus denkbar, dass er gegen Rapid in den Kader rutschen wird. Die jungen Barton und Sarga spielen keine Rolle.
Mögliche Aufstellung
Fazit
Wisla ist eine insgesamt biedere Mannschaft, die stark vom Momentum in einem Spiel lebt und mit Ángel Rodado nur einen echten Top-Mann (für ihre Verhältnisse) in ihren Reihen hat. Dass zehn von elf Startern Rechtsfüße sind, ist ausgesprochen ungewöhnlich und wird das Team gegen eine technisch starke Mannschaft wie Rapid bremsen.
Dennoch handelt es sich gerade bei der Startelf um eine routinierte Truppe, die schon sehr viele Profispiele in den Beinen hat. Die Kaderbreite ist dagegen schwach und Ausfälle in der etatmäßigen Startelf könnte Wisla wohl nur sehr schwer verkraften.
Wenn Rapid seine technischen Möglichkeiten auf den Platz bringt und vor allem die spielerische Intensität hochhält, darf Wisla Krakau kein Stolperstein sein. Individuell und technisch-qualitativ ist der polnische Zweitligist deutlich unter die Hütteldorfer zu stellen.
Daniel Mandl, abseits.at
Daniel Mandl Chefredakteur
Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen
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