Die österreichische Nationalmannschaft scheidet im Achtelfinale nach einem beherzten Kampf gegen Italien aus. Die Squadra Azzurra konnte die Entscheidung erst in der Verlängerung herbeiführen... Analyse: Tapfere Österreicher scheitern an Kleinigkeiten

Die österreichische Nationalmannschaft scheidet im Achtelfinale nach einem beherzten Kampf gegen Italien aus. Die Squadra Azzurra konnte die Entscheidung erst in der Verlängerung herbeiführen und war sichtlich überrascht von der Stärke der Österreicher.

Franco Foda überraschte ein wenig, indem er die Formation der Italiener praktisch spiegelte. Das Nationalteam lief in einem 4-1-4-1 mit Grillitsch als Ankerpunkt im Mittelfeld auf. Alaba nahm wieder die Position als Linksverteidiger ein, mit Schlager war der Achter ein etatmäßig defensiver Spieler. Marko Arnautovic sollte vorne Bälle festmachen und den nachrückenden Offensivspielern servieren. Die Rolle, der hereinstechenden Flügel nahmen dabei Baumgartner und Laimer ein. Gerade Laimer war dabei wie gegen die Ukraine bereits ein interessanter Kniff, zumal er etatmäßig eine der offensivsten Positionen im Team einnahm, aber seine Stärken vor allem defensiv und im Pressing hat. Österreich sollte damit in Rückwärtsbewegung sehr stabil formiert sein.

Österreich verdichtet das Zentrum und überlädt die Flügel

Und genau so kam es auch: In den meisten Fällen war Arnautovic der einzige Österreicher, der nicht hinter dem Ball war. Die anderen neun Feldspieler bildeten bei italienischen Angriffen einen enorm tiefen und kompakten Block, der vor allem darauf ausgerichtet war, das Zentrum zu verdichten und situativ auch gegen den Ball die Flügel zu überladen. Damit wollte man einerseits die direkte Gefahrenzone absichern, aber auch das rasante Flügelspiel der Italiener bremsen. Gerade bei Läufen zur Grundlinie und Möglichkeiten für Stanglpässe zeigte sich die Mancini-Elf bisher sehr gefährlich.

Italien kann keine Dynamik aufbauen

Österreich gelang dies zumeist auch und Italien kam in der regulären Spielzeit hauptsächlich über die Halbräume zu ansatzweise guten Chancen. Flügelläufe wie zuletzt hatten aber Seltenheitswert, weil Österreich so dicht gestaffelt stand. Ciro Immobiles Lattenkracher war ein Indiz dafür, dass Italien im letzten Drittel ein wenig die Ideen ausgingen. Man konnte sich gegen die dicht gestaffelten und gut verschiebenden Österreicher nie durchkombinieren und versuchte es daher auch mal etwas rustikaler.

Österreich legt Spiel gegen den Ball sehr tief an

Das Problem der italienischen Offensive war dabei der viele Verkehr um den Strafraum der ÖFB-Elf. Insigne und Berardi mussten sich komplett anders bewegen als in den letzten Spielen, um am Spiel teilnehmen zu können. Österreich setzte die Spielhöhe gegen den Ball enorm tief an und überließ den Italienern fast das komplette zweite Drittel. Gerade die Sechser/Achter der Azzurri wurden kaum gepresst, durften prinzipiell Schalten und Walten, hatten aber nur selten Anspielstationen in der Tiefe, die dann aufdrehen oder mit schnellen Aktionen direkt agieren konnten. Durch die erste, recht passive, aber doch dichte Pressinglinie der Österreicher waren auch die Achter selbst nicht imstande, mit kurzen Tempodribblings für Gefahr zu sorgen. Zu dicht war die Wand vor allem in der Zentrale.

Hohe Passgenauigkeit im italienischen Zentrum, wenig Progression

Jorginho kam damit in 120 Minuten auf 133 Ballaktionen, Verratti sogar in 66 Minuten auf 94. Der gebürtige Brasilianer kam dabei auf eine Passgenauigkeit von 92%, Verratti sogar auf fast 96% und der für ihn eingewechselte Locatelli auf 95%. Außergewöhnlich starke Werte, aber auch kein besonders gutes Zeichen für die Italiener. Es zeigte, dass die Mittelfeldschaltzentrale in ihrem Passspiel relativ wenig Risiko nahm, nicht progressiv genug war, weil die engmaschige Formation von Franco Foda im Übergang zum letzten Drittel alles zustellte.

Hochschieben in der 2. Halbzeit überrascht Italien

Österreich war erwartungsgemäß auf einzelne Nadelstiche fokussiert, wobei Arnautovic Bälle festmachen und weiterleiten sollte. Gerade in der ersten Halbzeit passten aber die Laufwege der nachrückenden Spieler nicht, speziell auf der rechten Seite mit Laimer. In der zweiten Halbzeit überraschte man die Italiener aber plötzlich, indem vor allem die Flügel allesamt höher schoben und Grillitsch auf der Sechs eine deutlich aktivere Rolle einnahm. Österreich fasste plötzlich mehr Mut, wurde auch am Ball im zweiten Drittel viel aktiver und verlagerte häufig die Seiten, wodurch Italien plötzlich auch zum Nachlaufen gezwungen war. Es entwickelte sich die wohl beste Halbzeit in der Ära Foda und bei Arnautovic’ Treffer, der wegen einer hauchzarten Abseitsstellung aberkannt wurde, hatte Italien riesiges Glück. Ohne den VAR hätte das Schiedsrichterteam diese Abseitsposition wohl nicht gesehen…

Kleinigkeiten zu schlechten Zeitpunkten entscheiden zugunsten Italiens

Dennoch schaffte es Österreich, sich nach Ballverlusten wieder sehr schnell zu formieren und den mittlerweile erschöpften Arnautovic als einzigen Freigeist in der Offensive traben zu lassen. Alle anderen Spieler bildeten sofort wieder den Verteidigungsblock, kamen schnell hinter den Ball, rückten auch in den richtigen Momenten ein, wenn die linkslastigen Italiener versuchten, das Spiel zu verlagern. Nur nicht in dieser einen entscheidenden Szene: In der 95. Minute, zu einem strategisch ungünstigen Zeitpunkt, stand David Alaba bei Spinazzolas Verlagerung auf Acerbi um ein paar Meter zu weit innen. Der kleine Abstand, der sich dadurch zu Laimer ergab wurde vom Juventus-Flügelstürmer eiskalt ausgenützt. In der letzten Aktion vor der Verlängerungspause war es ein Schnittball im Strafraum, den die Italiener für sich entscheiden und das 2:0 durch Pessina besorgen konnten. Damit kassierte die tapfer kämpfende österreichische Mannschaft zwei Tore zu den wahrscheinlich ungünstigsten Zeitpunkten der ersten Verlängerungshälfte und Italien nützte zwei absolute Kleinigkeiten, die nicht wie geplant liefen, für zwei Treffer.

Risiko bringt nur noch den Anschlusstreffer

In weiterer Folge musste Foda natürlich riskieren, brachte mit Gregoritsch und Ilsanker – zusätzlich zu den bereits eingewechselten Kalajdzic und Schaub – noch zwei kopfballstarke Akteure, dazu mit Trimmel einen guten Flankengeber. Ab sofort musste Hauruck-Fußball herhalten. Schaub brachte Schwung in die Partie, prüfte Donnarumma mit einem starken Abschluss und Kalajdzic verbuchte mit seinem außergewöhnlichen Kopfballtor noch ein kleines Erfolgserlebnis. Die Italiener steckten damit noch den ersten Gegentreffer seit 14. Oktober 2020 ein. In der absoluten Schlussphase des Spiels konnten die Italiener die Führung aber schließlich doch noch recht ungefährdet verwalten und ziehen zwar nicht unverdient, aber doch als glücklicheres Team ins Viertelfinale ein. Österreich zeigte, dass man mit mannschaftlicher Geschlossenheit und Disziplin in gruppentaktischen Abläufen mit den ganz Großen mithalten kann, scheiterte am Ende aber an Kleinigkeiten. Dennoch dürfen die Fans auf das Gezeigte stolz sein – Österreich spielte 2021 seine dritte und bis dato eindeutig beste Europameisterschaft.

Übrigens: Den Helden des Spieltags #13 sparen wir uns hiermit, denn aus diesem tollen österreichischen Kollektiv einen Spieler herauszupicken, bringen wir nicht übers Herz. Held des Spieltags ist für uns diesmal das gesamte Team.

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen