Die Europameisterschaft steht vor der Tür und wir wollen als Vorgeschmack alle Gruppen unter die Lupe nehmen. Was darf man sich von den teilnehmenden Mannschaften erwarten, wer geht als Favorit in die jeweiligen Gruppen und für welche Teams wird das Erreichen der K.o.-Phase richtig schwer werden. Heute wollen wir uns die Gegner der österreichischen Nationalmannschaft in der Gruppe C ansehen. Hier findet ihr eine Vorschau auf die Gruppe A und die Gruppe B.
Der Gruppenfavorit aus den Niederlanden
2014 erreichte die Niederlande den dritten Platz bei der Weltmeisterschaft, danach waren die Oranjes bei keinem Großereignis mehr vertreten. Ronald Koeman verließ die Nationalmannschaft um den Trainerposten beim FC Barcelona anzutreten und wurde von einem anderen ehemaligen Verteidiger beerbt. Frank de Boer absolvierte als Spieler 112 Partien für sein Land und holte später mit Ajax zwischen 2011 und 2014 vier Meistertitel in Folge. Bei seinen weiteren Trainerstationen blieben jedoch die großen Erfolge aus.
De Boer muss bei der Europameisterschaft mit Virgil van Dijk den vielleicht wichtigsten Spieler im Kader der Nationalmannschaft vorgeben und nun muss der Gruppenfavorit auch noch um Innenverteidiger de Ligt zittern, der rund eine Woche vor dem Start der EM aufgrund von Adduktorenproblemen ein Training abbrechen musste. Mit Stefan de Vrij und Daley Blind sind die Innenverteidiger-Positionen dennoch stark besetzt. Im zentralen Mittelfeld ist man mit Barcelona-Legionär Frenkie de Jong und Georginio Wijnaldum sehr gut aufgestellt, wobei der Liverpool-Akteur in der Nationalmannschaft eine offensivere Rolle als bei seinem Klub einnehmen darf und öfters den Weg nach vorne sucht. Der gefährlichste Akteur im Team ist Memphis Depay, um den es in den vergangenen Wochen zahlreiche Wechselgerüchte gab. Dies ist kaum verwunderlich, denn der Angreifer, der sich unter Frank de Boer immer wieder ins Mittelfeld zurückfallen lässt, steuerte für Olympique Lyon in der abgelaufenen Saison in 37 Partien 20 Tore und zwölf Assists bei. Nicht mit dabei ist der Einser-Goalie der Nationalmannschaft, da Jasper Cillessen aufgrund eines positiven Corona-Tests kurzfristig aus dem Kader gestrichen wurde. Frank de Boer teilte dem 32-Jährigen Schlussmann mit, dass er aufgrund der Infektion zu viel von der Vorbereitung verpassen würde. Die Ausbootung kam für Cillessen jedoch komplett überraschend und er verbreitete seinen Unmut auch medial. Statt Cillessen dürfte nun Stekelenburg das Tor hüten.
In der Offensive verfügen die Niederlande über zahlreiche Alternativen, die auch unterschiedliche Eigenschaften mitbringen. Während Donyell Malen und Quincy Promes zwei bewegliche und explosive Offensivkräfte sind, kann man Wout Weghorst und Luuk de Jong als klassische Zielspieler im gegnerischen Strafraum einordnen. Der Kader der Niederländer ist breit und eröffnet Coach Frank de Boer zahlreiche Optionen. Die Niederlande sind natürlich die Favoriten für den Gruppensieg, doch ob es für den Titel reichen wird ist fraglich. Dafür waren die Ergebnisse aus der Vergangenheit nicht konstant genug, wobei speziell im Spiel gegen den Ball die starke Mannorientierung immer wieder Probleme mit sich brachte.
Ukraine löst ihr eigenes „Alaba-Problem“ besser
Die ukrainische und die österreichische Nationalmannschaft haben eine Sache gemein. Beide Nationen verfügen über einen für ihre Verhältnisse absoluten Ausnahmekönner, der im Nationalteam eine andere Rolle als im Verein einnimmt. Es gibt jedoch einen großen Unterschied, denn während die österreichischen Teamtrainer stets Probleme hatten die für Alaba im Nationalteam richtige Position zu finden, gibt es bei der Ukraine keine Diskussionen, wo Manchester City-Legionär Oleksandr Zinchenko eingesetzt wird. Bei den Citizens ist der 24-Jährige als Linksverteidiger gesetzt, im Nationalteam kommt er in Shevchenkos 4-3-3-System im zentralen linken Mittelfeld zum Einsatz. Dieses Mittelfeld ist auch das Prunkstück der Mannschaft, zumal die drei Spieler eine klare Rollenverteilung haben. Als Sechser kommt Taras Stepanenko zum Einsatz, der ein verlässlicher Kämpfer ist, dem allgemein wenige Fehler unterlaufen und sowohl mit dem Ball als auch bei gegnerischem Ballbesitz keine signifikanten Schwächen aufweist. Rechts im zentralen Mittelfeld spielt Ruslan Malinovskyi eine wichtige Rolle, da er im Stile eines Box-to-Box-Mittelfeldspielers immer wieder Durchbrüche zum gegnerischen Strafraum unternimmt. Malinovskyi wurde gegen Ende der letzten Saison bei Atalanta Bergamo immer stärker und präsentierte sich in den letzten Monaten in einer absoluten Top-Verfassung. Links im zentralen Mittelfeld kommt wie oben erwähnt Zinchenko zum Einsatz, der äußerst kombinationsstark ist und für kreative Impulse sorgen soll. Im Tor steht nicht mehr der launische Andriy Pyatov, sondern Dynamo-Kiew-Tormann Georgiy Bushchan, der konstanter agiert und weniger unterhaltsam ist als sein Vorgänger. Am anderen des Spielfelds agiert Roman Yaremchuk im Sturmzentrum, der eine sehr starke Saison für die KAA Gent absolvierte und in 28 Partien 17 Treffer und sechs Assists beisteuerte. Die Abwehr weist allerdings nicht die gleiche Qualität wie die vorderen Mannschaftsteil auf und wird von Spielern aus der heimischen Liga gebildet. Insbesondere gegen schwächere oder gleichwertige Mannschaften greift die Ukraine auf ein hohes Pressing zurück, bei dem starke Mannorientierungen zu beobachten sind. Ob Österreich das Spiel gegen die Ukraine erfolgreich gestalten kann, wird in erster Linie davon abhängen, ob man bei Ballbesitz auf engem Raum Lösungen findet.
Außenseiter Nordmazedonien will überraschen
Nordmazedonien ließ nicht nur mit der gelungenen Qualifikation für die Endrunde aufhorchen, sondern sorgte auch Ende März für eine riesige Sensation, als die Mannschaft von Trainer Igor Angevolski einen 2:1-Auswärtssieg gegen Deutschland einfuhr. Angevolskis Mannschaft geht in der Gruppe C dennoch als Außenseiter an den Start, doch spätestens nach dem Sieg gegen Deutschland wird klar, dass eine sehr anstrengende Aufgabe auf die Foda-Elf warten wird. Gegen schwache Mannschaften in der Nations League setzte der Coach auf eine Viererkette, wobei man getrost davon ausgehen kann, dass der Außenseiter in allen drei Partien der Gruppenphase mit einer tiefen Fünferkette für defensive Stabilität sorgen will. Dennoch fehlte es auch dem tiefen Abwehrverbund in vergangenen Partien doch an Qualität um den Gegner vom eigenen Tor fernzuhalten, denn speziell über die Flügel war Angevolskis Team immer wieder zu knacken. Ein Problem ist zudem, dass viele Ballgewinne in sehr tiefen Räumen stattfinden und der Weg zum gegnerischen Tor weit ist.
Die Kaderbreite ist ein weiterer Schwachpunkt im Team, sodass der Ausfall von Ilija Nestorovski, der bei Udinese in dieser Saison neben vier Startelfeinsätzen in der Meisterschaft 18 Mal als Joker ins Spiel kam, doch schwerwiegend ist. Der wichtigste Spieler ist eine wahre Legende in Nordmazedonien. Goran Pandev, der rund sein halbes Leben in der Serie A verbrachte und unter anderem für Lazio in 159 Meisterschaftsspielen 48 Treffer erzielte, kam in den Nations-League-Partien meist als Zehner zum Einsatz, dürfte aber nach Nestorovskis Ausfall gemeinsam mit Aleksandar Trajkovski im Sturmzentrum starten. Angevolski wird in den EM-Gruppenspielen wahrscheinlich auf eine 5-3-2-Formation setzen, wobei die offensiven Mittelfeldpositionen mit Enis Bardhi und Eljif Elmas richtig stark besetzt sind. Insbesondere bei Freistößen wird höchste Alarmsituation herrschen, da Bardhi als Spezialist vom ruhenden Punkt bezeichnet werden kann. In der Offensive können die Nordmazedonier im Turnier für den einen oder anderen Höhepunkt sorgen. Um richtig zu überraschen wird sich allerdings die defensive Organisation verbessern müssen, insbesondere da kein Gruppengegner nach dem Überraschungssieg gegen Deutschland den Gegner auf die leichte Schulter nehmen wird.
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Stefan Karger
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