EM-Vorschau: Die Hammergruppe F
Europameisterschaft 2021 10.Juni.2021 Stefan Karger
Die Europameisterschaft steht vor der Tür und wir wollen als Vorgeschmack alle Gruppen unter die Lupe nehmen. Was darf man sich von den teilnehmenden Mannschaften erwarten, wer geht als Favorit in die jeweiligen Gruppen und für welche Teams wird das Erreichen der K.o.-Phase richtig schwer werden. Heute blicken wir auf die Gruppe F, die es so richtig in sich hat.
Frankreich geht als Favorit in die Endrunde
Frankreich ist bei den meisten Buchmachern der größte Favorit auf den EM-Titel, knapp gefolgt von England und Belgien. Dass der Quoten-Abstand zu den anderen Nationen nicht größer ist, liegt in erster Linie an der schwierigen Gruppe, die die Franzosen zugelost bekamen. Die gute Nachricht für Frankreich, Deutschland und Portugal ist, dass auch einige der besten Gruppendritten aufsteigen, sodass es durchaus sein kann, dass diese drei Mannschaften auch noch in der K.o.-Phase vertreten sein werden. Wir dürfen uns in jedem Fall auf einige spannende Spiele in dieser Gruppe freuen, zumal der große Außenseiter Ungarn immerhin zwei Heimspiele vor eigenem Publikum bestreiten darf.
Erfolgstrainer Didier Deschamps, der die Franzosen 2018 zum WM-Titel führte, wird so wie beim vergangenen Großereignis auf ein 4-2-3-1-System setzen. Eine große Überraschung gab es aber dann doch bei der Kaderbekanntgabe, denn die Nation verzieh Karim Benzema seine Rolle in einer Erpressungsaffäre rund um Teamkollegen Valbuena. Benzema spielte mit den Königlichen eine starke Saison und kam in 34 Meisterschaftsspielen auf 23 Tore und neun Assists. Dass der Real-Stürmer bei der Endrunde dabei ist, war wahrscheinlich nicht die beste Nachricht für Olivier Giroud, der im jüngsten Testspiel, beim 3:0-Sieg gegen Bulgarien, in der Schlussphase zwei Treffer erzielte. Benzema wird, sofern er sich von seiner im Spiel gegen Bulgarien erlittenen Blessur rechtzeitig erholt, wahrscheinlich im Sturmzentrum starten, während der pfeilschnelle Kylian Mbappe über den linken Flügel kommen wird. Am rechten Flügel stehen mit Coman und Dembele zwei dribbelstarke Spieler bereit. Die Nummer 10 der Franzosen nimmt Griezmann ein. Das zentrale Mittelfeld ist mit Kante und Pogba enorm stark besetzt, wobei auch Rabiot wieder eine Rolle spielen kann. Über die Abwehr muss man wenig Worte verlieren. Varane und Kimpembe bilden eine enorm schwer zu bezwingende Innenverteidigung. Auf den Außenpositionen sollten die Bayern-Spieler Hernandez und Pavard gesetzt sein. Im Tor steht wie immer Hugo Lloris. Frankreich hat wahrscheinlich den besten Kader aller Nationen und Trainer Deschamps versteht es gut, die Stärken seiner Spieler unter einen Hut zu bringen. Die Franzosen sind sehr stabil und einer der größten Anwärter für den EM-Titel.
Letztes Turnier für Joachim Löw
Der langjährige Bundestrainer der DFB-Elf, Joachim Löw, erlebte schon angenehmere Zeiten. In den letzten Jahren blamierte sich die deutsche Nationalmannschaft mehrmals, etwa beim Ausscheiden in der nicht allzu schwierigen Gruppenphase der WM 2018, beim 0:6 gegen Spanien oder der jüngsten 1:2-Niederlage gegen Nordmazedonien. Joachim Löw und sein Trainerteam vergeudeten viel Zeit bei der Suche nach dem richtigen System und den richtigen Personalien. Müller und Hummels wurden medial wirksam aus dem Kader gestrichen, sind nun allerdings wieder dabei. Knapp vor dem Turnier scheint es so, dass Löw noch nicht seine Stammformation gefunden, die eine Antwort auf folgende Fragen gibt. Wie gelingt es der deutschen Nationalmannschaft die zahlreichen Weltklasse-Spieler im zentralen Mittelfeld unter einen Hut zu bekommen. Mit Kroos, Gündogan, Goretzka und Kimmich stehen vier absolute Top-Spieler im Kader, von denen in einem 4-2-3-1-System nur zwei auflaufen können. Beim letzten Testspiel, dem 7:1-Sieg gegen Lettland, stellte Löw eine 3-4-3-Formation auf, in der Kroos und Gündogan das Zentrum besetzten. Kimmich kam im rechten Mittelfeld zum Einsatz, obwohl man zumindest gegen Portugal und Frankreich seine Kampfkraft und Lauffreude vermutlich besser in der Zentrale einbringen sollte. Es ist unwahrscheinlich, dass Kroos und Gündogan gegen starke Teams im Mittelfeld den notwendigen Zugriff bekommen. Dies führt uns auch zu einer weiteren Frage – Löw ist sich noch ungewiss, wer als rechter Außen- bzw. Flügelverteidiger auflaufen soll. In einem 4-2-3-1 wäre Klostermann die erste Wahl als Linksverteidiger, doch Löw scheint mit dieser Lösung nicht vollkommen glücklich zu sein. Mit Ridle Baku hätte er eine super interessante Lösung für dieses Problem finden können, doch Löw berücksichtige den Wolfsburger Außenverteidiger nicht, obwohl er unter Coach Glasner in 34 Spielen sechs Tore selbst erzielte und weitere acht Treffer auflegte. Deutschland darf man bei einer Europameisterschaft nie abschreiben und rein vom Kader gehört die Mannschaft von Löw zu den Top-Favoriten. Da der Bundestrainer aber in den vergangenen Jahren stark schwächelte sind andere Mannschaften etwas höher einzuschätzen.
Offensivstarker Titelverteidiger
Wie wird man Europameister? Man remisiert bei allen drei Gruppenspielen (unter anderem gegen Österreich), erzielt im Achtelfinale das einzige Tor der Partie in der Verlängerung, gewinnt im Viertelfinale nach Elfmeterschießen, schlägt im Halbfinale einen Außenseiter und setzt sich im Finale wieder mit einem 1:0-Sieg in der Verlängerung durch. Zumindest gewann Portugal auf diese Art die Europameisterschaft 2016 und geht damit als Titelverteidiger in die aktuelle Endrunde. Damals kehrte Coach Santos, der seit 2014 Cheftrainer der portugiesischen Nationalmannschaft ist, dem typischen portugiesischen Flügelspiel den Rücken zu und setzte mit Nani und Cristiano Ronaldo auf zwei zentrale Angreifer. Mittlerweile hat sich einiges geändert und der Coach hat in der Offensive dermaßen viele Top-Spieler, dass wir ein 4-3-3-System erwarten. Cristiano Ronaldo wird im Zentrum beginnen, auf den Außenbahnen im Sturm wird rechts Bernardo starten, während links mit Joao Felix und Diogo Jota zwei Optionen vorhanden sind, die es in sich haben. Für den Frankfurter Andre Silva, der in dieser Saison in der Bundesliga 28 Treffer erzielte, wird sich in der Startaufstellung kein Platz finden. Ein weiterer Schlüsselspieler ist natürlich Bruno Fernandes, der im offensiven Mittelfeld gesetzt ist. Die Portugiesen verfügen zudem mit Raphaël Guerreiro und João Cancelo über zwei exzellente und spannende Außenverteidiger, die die Erlaubnis haben weit nach vorne zu pushen. Innenverteidiger Rúben Dias zählt ohne Frage zu den aktuell besten Abwehrspielern der Welt.
Der große Außenseiter der Gruppe F
Ungarn hatte bei der Auslosung viel Pech und wird in dieser Gruppe nicht viele Punkte holen. Jedes Unentschieden wäre eine dicke Überraschung, zumal mit dem Ex-Salzburger Dominik Szoboszlai der mit Abstand beste Akteur der Ungarn ausfällt. Trainer Marco Rossi experimentierte zwar recht viel mit verschiedenen Formationen, wird sich aber an das altbewährte 3-5-2 halten. Mit Gulacsi im Tor, Orban in der Innenverteidigung und Adam Szalai im Sturm hat die Mannschaft durchaus einige routinierte Akteure im Kader, die man auch hierzulande gut kennt. Für Ungarn spricht aber in dieser Todesgruppe nicht besonders viel. Hoffnung macht den Fans lediglich, dass ihre Mannschaft zwei Mal Heimvorteil hat und im aktuellen Kalenderjahr keine Partie verlor. Die Gegner waren aber recht überschaubar. Neben zwei Unentschieden gegen Polen und Irland schlug man mit San Marino, Andorra und Zypern eher kleinere Fußball-Nationen.
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Stefan Karger
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