Die Europameisterschaft steht vor der Tür und wir wollen als Vorgeschmack alle Gruppen unter die Lupe nehmen. Was darf man sich von den teilnehmenden... EM-Vorschau: Favoritenrollen in Gruppe B klar verteilt

Die Europameisterschaft steht vor der Tür und wir wollen als Vorgeschmack alle Gruppen unter die Lupe nehmen. Was darf man sich von den teilnehmenden Mannschaften erwarten, wer geht als Favorit in die jeweiligen Gruppen und für welche Teams wird das Erreichen der K.o.-Phase richtig schwer werden. Heute blicken wir auf die Gruppe B, wo Belgien mit seiner immer älter werdenden goldenen Generation auf den ganz großen Wurf hofft.

Goldene Generation wird langsam alt

Bei dem letzten Großereignis, der Weltmeisterschaft 2018, zeigte die Mannschaft von Roberto Martinez, dass sie zurecht seit längerem als großer Mitfavorit für einen Titel bei Endrunden gehandelt wird. Nach Siegen in der Gruppenphase gegen Panama, Tunesien und England setzte man sich in der K.o.-Phase nicht nur gegen Japan durch, sondern gewann auch im Viertelfinale gegen Brasilien. Im Halbfinale unterlag man dem späteren Weltmeister Frankreich knapp mit 1:0 und gewann dann im Spiel um Platz 3 erneut gegen England, womit man das beste Ergebnis in der Geschichte Belgiens bei einer Weltmeisterschaft einfuhr. Dennoch warten die belgischen Fans auf den ganz großen Wurf und angesichts der Altersstruktur des Kaders befürchten viele, dass man nicht mehr viele Chancen hat einen Titel zu gewinnen. Die Mannschaft, die sich in der Qualifikation mit zehn Siegen aus zehn Spielen keine Blöße gab, kommt auf ein Durchschnittsalter von 28.7 Jahren und bietet damit das älteste Team aller teilnehmenden Nationen auf. Dementsprechend verfügt die belgische Auswahl auch über viel Erfahrung – die Spieler absolvierten im Schnitt 50.2 Länderspiele liegen damit in dieser Wertung auf Platz 1.

Verglichen zur Weltmeisterschaft 2018 hat sich nicht allzu viel geändert. Der Trainer ist nach wie vor im Amt und vertraut weiterhin auf zahlreiche Spieler, die ihn bereits in den letzten Jahren stets begleiteten. Dennoch ist die Mannschaft auf dem Papier eher schwächer geworden. Abwehrchef Vincent Kompany ist nicht mehr dabei und einige Spieler wie Jan Vertonghen und Toby Alderweireld haben schon bessere Tage gesehen. Ein weiteres Problem ist, dass Axel Witsel aufgrund eines schmerzhaften Risses der Achillessehne lange Zeit ausfiel. Während seiner Abwesenheit sprang mit Tielemans ein wichtiger Spieler in die Bresche, allerdings funktionierte das Zusammenspiel in der Mittelfeldzentrale mit Dendoncker nicht immer nach Wunsch. Ein weiteres Fragezeichen steht hinter der Form von Eden Hazard, der eine enttäuschende Saison ablieferte und immer wieder mit Muskelverletzungen zu kämpfen hatte. Man darf von den Belgiern ein intensives Pressing erwarten, das allerdings auf Kosten der defensiven Absicherung gehen kann. Die Mannschaft ist gespickt mit Weltklassespielern wie Lukaku und De Bruyne, der im Spiel der Belgier sehr viele Freiräume hat. Belgien wird in den meisten Spielen als großer Favorit in die Partie gehen und hoffen, dass die goldene Generation (endlich) Geschichte schreibt.

Aufstieg ist für Dänemark Pflicht

Die Favoritenrollen sind in der Gruppe B klarer verteilt als in der Gruppe A, wo alle vier Mannschaften realistische Chancen auf den Aufstieg in die K.o.-Phase haben. In der Gruppe B muss man  Dänemark angesichts der vergangenen Leistungen doch die mit Abstand größten Chancen für den zweiten Gruppenplatz einräumen. Dass die Dänen ein unangenehmer Gegner sind bekam auch die österreichische Nationalmannschaft zu spüren, die Ende März das Heimspiel klar mit 0:4 verlor. Beim vorletzten Test vor der Endrunde kam das dänische Team zu einem beachtlichen 1:1-Unentschieden gegen Deutschland.

Ein großer Vorteil für die Mannschaft von Trainer Kasper Hjulmand ist, dass sie bei allen drei Gruppenspielen Heimvorteil genießt und für diese Partien nicht quer durch Europa reisen muss. Hjulmand löste Age Hareide ab und sorgte für einige spannende Änderungen in taktischer Hinsicht. Im Ballbesitz rücken die beiden Flügelstürmer Poulsen und Braithwaite stark in die Mitte und positionieren sich in den Schnittstellen zwischen den gegnerischen Außen- und Innenverteidigern. Der nominelle Mittelstürmer Wind, der über hervorragende technische Fertigkeiten verfügt, lässt sich auf die Zehner-Position zurückfallen. Die Außenverteidiger müssen sehr hoch und breit stehen, da die Flügelstürmer ins Zentrum rücken. Dies eröffnet viele Möglichkeiten, stellt aber natürlich immer auch ein gewisses Risiko bei gegnerischen Konter-Aktionen dar. Das Prunkstück der Dänen ist das starke Abwehrzentrum bestehend aus Christensen und Kjaer, die vor dem sicheren Goalie Schmeichel viel Stabilität geben. Der kreative Kopf und Schlüsselspieler der Dänen ist natürlich Eriksen, der in der Rückrunde bei Inter besser in Form kam.

Russland mit Problemen in der Defensive

Russlands Teamchef Stanislav Cherchesov, der zwischen 1996 und 2002 in Innsbruck das Tor hütete, wird es nicht leicht haben in der Gruppenphase an den Belgiern und Dänen vorbeizukommen. Mit Goalgetter Artem Dzyuba verfügt die Auswahl zwar über einen Stürmer in bestechender Form, der in 27 Spielen für Zenit 20 Treffer und acht Assists beisteuerte, doch speziell die Abwehr präsentierte sich oftmals nicht sattelfest, egal ob der Coach eine Vierer- oder Fünferkette ausprobierte. In der Qualifikation setzte Cherchesov mit der Ausnahme der Partien gegen Belgien auf ein 4-2-3-1. In den beiden Spielen gegen den Gruppenfavoriten stellte er eine Fünferkette auf. Neben der Abwehr kann auch die Torhüter-Position als Schwachstelle ausgemacht werden. Der 34-jährige Anton Shunin hat die besten Karten für einen Platz in der Startelf nachdem Lok-Moskau-Tormann Guilherme nicht mehr berücksichtigt wurde. Neben dem treffsicheren Stürmer Dzyuba sollten die Legionäre Golovin (Monaco) und Miranchuk (Atalanta) eine wichtige Rolle in der Mannschaft einnehmen, doch beide hatten während der Saison einige Probleme, wobei sie gegen Ende der Meisterschaftssaison besser in Fahrt kamen.

Der große Außenseiter Finnland

Finnland nimmt zum ersten Mal in der Geschichte an einer Europameisterschaft teil und die Mannschaft von Markku Kanerva geht als großer Außenseiter in die Gruppe B. Einige Namen werden auch den österreichischen Fußballfans bekannt sein. Der Star in der Mannschaft ist Stürmer Teemu Pukki, der sowohl für die finnische Auswahl als auch für seinen aktuellen Klub Norwich stets treffsicher agiert. Für sein Heimatland erzielte er 30 Tore in seinen bisherigen 90 Länderspielen, für Norwich City steuerte er in der abgelaufenen Saison 26 Tore und vier Assists in 41 Spielen bei. Im vergangenen Jahr setzte Finnlands Trainer sowohl auf eine Vierer- als auch auf eine Fünferkette, wobei bei der Europameisterschaft wahrscheinlich ein 5-3-2-System zu sehen sein wird. Neben Pukki sind Tormann Hrádecký (Bayer Leverkusen) und Stürmer Pohjanpalo (Union Berlin) zwei weitere Akteure, die Freunde der deutschen Bundesliga gut kennen werden. Pohjanpalo wird aber wahrscheinlich nur als Joker in die Partien kommen, da Pukki im Angriff besser mit der hängenden Spitze Robin Lod harmoniert, der in der MLS bei Minnesota United sein Geld verdient. Die Finnen schicken eine Mannschaft mit einem Durchschnittsalter von 27.5 Jahren ins Rennen – nur vier Nationen verfügen über eine ältere Kaderstruktur. Ein Sieg in der Gruppenphase wäre schon eine große Überraschung.

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Stefan Karger

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