EM-Vorschau: Spanien Favorit in der interessanten Gruppe E
Europameisterschaft 2021 9.Juni.2021 Stefan Karger
Die Europameisterschaft steht vor der Tür und wir wollen als Vorgeschmack alle Gruppen unter die Lupe nehmen. Was darf man sich von den teilnehmenden Mannschaften erwarten, wer geht als Favorit in die jeweiligen Gruppen und für welche Teams wird das Erreichen der K.o.-Phase richtig schwer werden. Heute blicken wir auf die Gruppe E.
Luis Enrique alleiniger Herrscher
Die Weltmeisterschaft 2018 lief alles andere als gut für die Spanier. In der Gruppenphase gab es neben zwei Unentschieden gegen Portugal und Marokko einen knappen 1:0-Sieg gegen den Iran, aber schon im Achtelfinale schied man überraschend nach einem Elfmeterschießen gegen Russland aus. Der spanische Verbandspräsident Luis Rubiales forderte einen Neustart und installierte Luis Enrique als neuen starken Mann an der Seitenlinie. Der neue Trainer vollzog keinen radikalen Neustart sondern gab als Motto „Evolution statt Revolution“ aus. Dies war zwar nicht ganz im Sinne von Rubiales, der einen richtigen Schnitt wollte, doch Luis Enrique ließ sich von niemandem beirren.
Dann wurde leider seine Tochter sehr schwer krank und der Coach musste zwischenzeitlich seinem Vertrauten Assistenten Robert Moreno die Mannschaft überlassen. Nachdem seine Tochter leider verstarb, meldete er sich einige Zeit später zurück und übernahm wieder das Traineramt. In der Zwischenzeit traf Moreno Entscheidungen, mit denen Luis Enrique gar nicht einverstanden war. Moreno setzte im Tor beispielsweise auf Kepa Arrizabalaga statt auf David de Gea und Luis Enrique fühlte sich von seinem ehemaligen Co-Trainer in vielen Fragen übergangen. Er warf nach seiner Rückkehr Moreno aus seinem Trainerteam und herrschte seither mit eiserner Hand.
Auf Luis Enrique war man in Madrid ohnehin nicht besonders gut zu sprechen, doch als er den Kader verkündete konnten viele Fans nicht glauben, dass kein einziger Spieler der Königlichen aufscheint. Er verzichtete auf Sergio Ramos, der nach seiner Verletzung noch nicht ganz fit sei. Viele waren darüber verwundert, da der Trainer den Spieler mitnehmen hätte können, damit dieser im Laufe des Turniers seine Fitness unter Beweis stellt – insbesondere da Luis Enrique nur 24 Kaderplätze nutzte und auf zwei weitere Spieler verzichtete. Man kann aber davon ausgehen, dass er keinen dominanten Leader unter sich haben wollte. Neben Ramos fehlen auch Saul, Jesus Navas, Aspas und Carvajal im Kader, dafür wurden Pablo Sarabia und Adama Traore etwas überraschend einberufen.
Enrique setzt auf ein 4-3-3-System und will, dass seine Mannschaft viel Ballbesitz hat, auch wenn man vom früheren tiki-taka weit entfernt ist. In der Innenverteidigung sind nach der Ausbootung von Ramos viele Optionen denkbar, Aymeric Laporte könnte neben Eric Garcia beginnen, aber auch Diego Llorente und Pau Torres sind gute Alternativen. Ein Problem haben die Spanier im Angriff, wo Alvaro Morata im Spanien-Trikot selten überzeugte. Ferran Torres könnte am rechten Flügel für viel Dynamik sorgen, die dem Nationalteam in der Vergangenheit immer wieder fehlte.
Schweden ohne Superstar Ibrahimovic
Der schwedische Coach Janne Andersson muss auf seinen gefährlichsten Stürmer verzichten. Unterschiedsspieler Zlatan Ibrahimovic, der vom Rücktritt aus dem Nationalteam wieder zurücktrat, wird aufgrund einer Verletzung der Nationalelf nicht helfen können. Mit Juventus-Legionär Dejan Kulusevski, dem erst 21-jährigen formstarken Alexander Isak und Krasnodar-Stürmer Marcus Berg sind die Schweden jedoch in der Offensive dennoch gut aufgestellt. Gegen den Ball stehen die Schweden, die ihr gewohntes 4-4-2 praktizieren meist sehr gut, Probleme gibt es am ehesten nach Ballverlusten, wenn das Team zu langsam nach hinten umschaltet. Kristoffer Olsson und Sebastian Larsson sind auf der Doppelsechs zwei solide Optionen und auch die Flügelspieler Forsberg und Claesson besitzen gute Qualitäten – wobei auch Kulusevski oder Isaak auf dem rechten Flügel aushelfen kann, wenn Marcus Berg in der Spitze beginnt. Mit einem Leader wie Ibrahimovic wäre das schwedische Team dennoch um eine Klasse stärker. Der Aufstieg aus der Gruppenphase ist der Mannschaft von Janne Andersson aber zuzutrauen.
Nicht zu unterschätzende Polen
Auch wenn Polen im heurigen Kalenderjahr nur gegen Andorra gewinnen konnte und neben einer Niederlage gegen England drei Unentschieden gegen Ungarn, Russland und Island produzierte, sollte man die Mannschaft von Trainer Paulo Sousa nicht unterschätzen. Besonders in taktischer Hinsicht sind die Polen sehr interessant, da sie im Ballbesitz äußerst flexibel agieren und schnell zwischen den Formationen umschalten können. Gegen den Ball verteidigen die Polen meist mit einer Abwehr-Viererkette, die sich bei eigenem Ballbesitz jedoch auflöst und zu einem 3-4-1-2-ähnlichen Gebilde wandelt. Neben Goalgetter Lewandowski ist Maciej Rybus einer der absoluten Schlüsselspieler. Der Linksverteidiger von Lok Moskau hat einen unheimlichen Vorwärtsdrang und schiebt stets sehr weit nach vorne. Dies wird ihm auch ermöglicht, weil sein Mitspieler Piotr Zieliński vom linken Flügel ins Zentrum schiebt, wo er im Spielaufbau mithelfen soll. Mit Routinier Grzegorz Krychowiak spielt ein bekannter Name auf der Sechs und als hängende Spitze agiert Arkadiusz Milik als Zuarbeiter für Lewandowski.
Slowakei mit Problemen in der Offensive
Was kann man der Slowakei in dieser doch eher unangenehmen Gruppe zutrauen? Ein Aufstieg wäre in jedem Fall eine kleine Überraschung, denn im Kader befinden sich bis auf zwei Ausnahmen keine richtig große Namen und der Mannschaft von Trainer Stefan Tarkovic fehlen insbesondere im Sturm richtige Knipser. Michal Ďuriš, der die erste Wahl im Sturmzentrum werden könnte, erzielte in 56 Länderspielen erst sieben Treffer und auch die Alternativen Róbert Boženík und Ivan Schranz gehören nicht zur europäischen Spitze. In der Mannschaft befinden sich drei Schlüsselakteure. Milan Skriniar ist ein sehr zweikampfstarker Innenverteidiger, der über ein starkes Stellungsspiel verfügt und mit Inter Meister wurde. Im zentralen Mittelfeld wechselte der ehemalige Napoli-Stürmer nach einem China-Abenteuer in die heimische Liga zurück, um bei Göteborg Spielpraxis für die EM zu sammeln. Der 33-jährige Routinier war knapp vor der Europameisterschaft aber aufgrund einer Verletzung noch nicht vollkommen fit und verpasste auch das Freundschaftsspiel gegen Österreich. Ein wenig defensiver als Hamsik, der bis zur Gruppenphase wieder fit sein sollte, agiert Genk-Legionär Patrik Hrosovský, der die viel Ruhe ins Aufbauspiel der Slowakei bringt. Die Slowakei wird für keinen Gegner dieser Gruppe besonders einfach zu knacken sein, sprüht aber insgesamt selbst zu wenig Gefahr aus, um bei dieser Europameisterschaft so richtig überraschen zu können.
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