Der italienische Fußball stand in der allgemeinen Wahrnehmung nie für besonders schönes Spiel. Vielmehr assoziiert man mit ihm den destruktiven Catenaccio-Stil, mit dem vor... Der Niedergang des Trequartistas – stirbt der Zehner in Italien aus?

Andrea Pirlo (Italien, Juventus Turn)Der italienische Fußball stand in der allgemeinen Wahrnehmung nie für besonders schönes Spiel. Vielmehr assoziiert man mit ihm den destruktiven Catenaccio-Stil, mit dem vor allem Inter große Erfolge feierte. Dennoch brachte die Serie A den einen oder anderen feinen Techniker hervor: Roberto Baggio, Zinedine Zidane und nicht zuletzt Francesco Totti zählen zu den besten Zehnern der Geschichte. Mittlerweile ist dieser kreative Spielertyp am Stiefel jedoch vom Aussterben bedroht.

Der Niedergang des Trequartistas hängt dabei vor allem mit der wieder erkannten Vorliebe italienischer Mannschaft zur Dreierkette zusammen. Aber auch bei Vereinen, die diese Strategie nicht verfolgen, muss man die verbliebenen Zehner mit der Lupe suchen – selbst in der Squadra Azzurra. Einen Spieler, der das Spiel zwischen den Linien des Gegners mit atemberaubenden Pässen ordnet, findet man nur äußerst selten.

Vom Trequartista zum Regista

Die Geschicke des italienischen Nationalteams leitet bekanntlich Andrea Pirlo. Der 33-Jährige ist einer der besten tiefliegenden Spielmacher – in Italien Regista genannt – der Welt, leitet mit präzisen langen und kurzen Pässen die Angriffe hinter der nominellen Mittelfeldreihe ein. Doch der Juve-Star war nicht immer dieser Spielertyp. Bei Brescia, für das er von 1995 bis 1998 und 2001 spielte, zog sein damaliger Trainer Carlo Mazzone den eigentlichen Trequartista zurück um Platz für niemand geringen als Roberto Baggio zu machen.

Europas Fußballer des Jahres 1993 ließ zur damaligen Zeit seine Karriere in der Lombardei ausklingen – möglich, dass Pirlo ohne diesen Zug erst gar nicht zu dem Spieler geworden wäre, der er ist. Bei Milan setzte Carlo Ancelotti auf eine ähnliche Kombination: Pirlo als Regista und Kaka als Zehner. Mit dieser Konstellation gewannen die Rossoneri unter anderem den Scudetto und die Champions League.

Von der Technik zur Athletik

Der Weggang des Brasilianers zu Real Madrid konnte von den Mailändern jedoch nie aufgefangen werden. Yoann Gourcuff enttäuschte auf ganzer Linie, Ronaldinho machte seinem Ruf, eine launische Diva zu sein, alle Ehre. Auch Kevin-Prince Boateng, mit dem Milan immerhin 2011 Meister wurde, ist kein Zehner klassischer Schule. Der Ghanaer kommt verstärkt über seine Athletik und Dynamik, sucht lieber selbst den Abschluss und den Weg zum Tor als seine Mitspieler einzusetzen.

Mittlerweile droht Boateng sogar die Bank. Milan-Coach Massimiliano Allegri stellte während der Saison auf ein 4-3-3 um, in dem Boateng zeitweise sogar als falscher Neuner agierte, nun aber Platz für Neuzugang Mario Balotelli machen musste. Auch bei Milans Stadrivalen Inter ist eine ähnlich Verschiebung zu erkennen. Anstelle des mittlerweile abgewanderten Wesley Sneijders gibt derzeit mit Fredy Guarin ein sehr kraftvoller Spieler den Takt im offensiven Mittelfeld vor.

Mehr Achter als Zehner

Die dominierenden Aufstellungsformen in Italien sind 3-5-2-artig oder Ableitungen des 4-3-3. Beide Formationen haben ein massives, zentrales Dreier-Mittelfeld gemeinsam. Bei Juve ist es wie erwähnt Pirlo, der flankiert von zwei physisch starken Achtern – meist Arturo Vidal und Claudio Marchisio – das Spiel macht. Bei Milan dominieren mit Antonio Nocerino, Massimo Ambrosini, Nigel de Jong, Mathieu Flamini oder auch Boateng ebenfalls laufstarke Spieler das Zentrum. Lediglich Riccardo Montolivo gilt als hervorragender Passspieler, stößt aber ebenfalls gerne mit Ball am Fuß aus der Tiefe nach vorne.

Die Fiorentina setzt zwar im Mittelfeld verstärkt auf eine sehr ballbesitzorientierte Spielweise, hat aber ebenfalls keine klassische Nummer zehn im Kader. Borja Valero und Alberto Aquliani stoßen von den Halbposition des 3-5-2 nach vorne und David Pizarro zeichnet sich durch lange Pässe aus der Tiefe aus. Am interessantesten scheint noch die SSC Napoli zu sein, bei der der spielmachende Spieler, Marek Hamsik, vor den Achtern agiert. Der Slowake bereitet in den europäischen Top-5-Ligen nach Barcas Xavi zwar die meisten Tore vor, ist aber ebenfalls eher ein dynamischer Spieler wie Boateng als ein eleganter Ballstreichler wie Zidane.

Von den Anlagen her kommt bei den Topklubs somit Lazios Anderson Hernanes den Anforderungen einer Nummer zehn am nächsten, obwohl er sich in dieser Rolle in der letzten Saison nicht wohlfühlte. Unter Vladimir Petkovic agiert der Brasilianer daher in der laufenden Spielzeit als spielmachender Achter in einem 4-1-4-1. Bei der AS Roma bleibt abzuwarten wie auf die Entlassung von Zdenek Zeman reagiert wird. Die Giallorossi hätten mit Francesco Totti einen entsprechenden Spielertypen, der Routinier wurde aber in den letzten Jahren zusehends als Stürmer eingesetzt und agierte heuer am linken Flügel.

Kein Totti-Nachfolger im Nationalteam

Totti war auch der letzte markante Trequartista in der Squadra Azzurra. Nachdem er seine Teamkarriere nach dem WM-Titel 2006 beendete, versuchte man die Lücke auf verschiedenste Arten zu schließen. Der aktuelle Teamchef Cesare Prandelli fand dafür eine sehr elegante Lösung. Neben der Juve-Taktik mit einem 3-5-2, bei dem Pirlo von zwei dynamischen Achtern ergänzt wird, etablierte er auch die Rautenformation, an deren Spitze Montolivo agiert.

Der 28-Jährige bewegt sich viel und reißt Räume für die nachrückenden Halbspieler auf – wie man es zum Beispiel im EM-Viertelfinale gegen England sah. Vom Spielstil des klassischen Zehners ist „der Deutsche“ aber trotzdem ein Stück weit entfernt und so sind die italienischen Fans vor allem auf Importe aus dem Ausland angewiesen um die alten Zeiten wiederzuerkennen – eventuell sogar in einem Halb-Österreicher.

Alexander Semeliker, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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