Gleiche Formation unterschiedlich interpretiert – Roma gewinnt 4-3-3-Duell gegen Milan
Italien 23.Dezember.2012 Alexander Semeliker 0
Zum Abschluss der Hinrunde in der Serie A gewann die AS Roma gegen den AC Milan mit 4:2. Nach einem Doppelpack von Erik Lamela sowie zwei weiteren Toren durch Nicolas Burdisso und Pablo Osvaldo führten die Römer schon nach einer Stunde mit 4:0. Danach plätscherte die Partie vor sich hin, ehe eine überflüssige rote Karte für Marquinhos noch für etwas Tempo in den letzten zehn Minuten sorgte. Mehr als ein Doppelschlag durch Giampaolo Pazzini und Bojan Krkic schaute für die Gäste aber nicht mehr heraus.
Im letzten Serie-A-Spiel des Kalenderjahres boten beide Mannschaften im Stadio Olimpico eine abwechslungsreiche, wenn auch nicht hochklassige oder mitreißende Partie. Zunächst zeigte sich die Begegnung ausgeglichen, ehe ein Kopfballtor nach einem Eckball der Anstoß für eine einseitige Phase zugunsten der Hausherren war. Erst der erwähnte Ausschluss brachte die Kräfte wieder ins Gleichgewicht, kam aber zu spät um eine Wende zugunsten des AC Milan herbeizuführen. Aus taktischer Sicht stach vor allem die unterschiedliche Auslegung zweier gleicher Grundformationen ins Auge.
Asymmetrisches 4-3-3
Seitdem Zdenek Zeman bei der Roma das Traineramt übernommen hat gehören torreiche Spiele zur Tagesordnung. 42 Treffer auf der Habenseite sind der ligaweite Spitzenwert, die 29 erhaltenen werden hingegen nur von drei Vereinen überboten, die allesamt im Abstiegskampf stecken. Das letztwöchige 0:1 bei Chievo war das erste Saisonspiel, in dem die Zeman-Truppe kein Tor schoss. Der gebürtige Tscheche vertraut in seiner zweiten Amtszeit auf ein sehr offensiv orientiertes 4-3-3, für das er unter anderem Altstar Francesco Totti zum Flügelspieler umfunktionierte.
Der 36-Jährige hält auf der linken Außenbahn aber nur selten die Breite, zieht lieber zur Mitte oder kommt auch aus der zentralen Tiefe. Auf der anderen Seite gibt Linksfuß Lamela hingegen einen inversen Flügelstürmer frei nach Arjen-Robben-Art, wartet meist in der Nähe der Outlinie auf Zuspiele. Dies sorgt zusammen mit der ebenfalls unterschiedlichen Ausrichtung der Außenverteidiger – Federico Balzaretti links sehr offensiv, Ivan Piris rechts sehr konservativ – dafür, dass die Hauptstädter das Spiel in erster Linie über die linke Seite aufbauten.
Offensivfluides 4-3-3
Der AC Milan startete sehr schlecht in die Saison, hatte nach den Abgängen von Thiago Silva und Zlatan Ibrahimovic lange Zeit Probleme überhaupt ein passendes Spielsystem zu finden. Nach den anfänglichen Problemen legte sich Massimiliano Allegri ebenfalls auf ein 4-3-3 fest, das sich in seinen Zügen von Zemans Idee aber in einigen Punkten unterscheidet, was in der Folge herausgearbeitet werden soll. Am augenscheinlichsten ist dabei das Spiel der drei nominellen Stürmer – aufseiten der Mailänder waren das in diesem Spiel Robinho, Kevin Prince Boateng und Stephan El Shaarawy, die oft die Positionen tauschten. Bevor jedoch auf die Unterschiede der beiden Spielphilosophien eingegangen wird, sollen davor noch die Gemeinsamkeiten der jeweiligen Interpretation beleuchtet werden.
Gemeinsamkeit I: Flügelspieler als Torjäger
Vor dem Spiel standen vor allem die besten Torschützen der Teams im Fokus, Lamela und El Shaarawy. Die beiden sind sich in ihrem Spielstil sehr ähnlich, sind gleich alt (20 Jahre) und agieren am „falschen Flügel“. Da die zwei neben ihrer Torgefährlichkeit auch kaum weite Wege nach hinten machen, hatten sie ebenfalls ihren Anteil daran, dass es auf beiden Seiten nur einen offensiv ausgerichteten Außenverteidiger gab. Piris wagte sich ebenso wie Kevin Constant aus Angst vor einem schnellen Gegenstoß kaum über die Mittellinie. Bezeichnenderweise erzielte Lamela seine beiden Tore nicht auf klassische Weise, sondern nachdem er sich schon zuvor ohne Ball ins Zentrum bewegte.
Gemeinsamkeit II: unterschiedliche Außenbahn-Abstände
In der nebenstehenden Grafik, die die durchschnittlichen Positionen zeigt, erkennt man die beschriebenen Sachverhalte, wobei Constants vergleichsweise hohe Position auf die offensive Ausrichtung Milans nach dem Ausschluss zurückzuführen ist. Die Abstände zwischen den Außenverteidigern und den jeweiligen Flügelspielern weisen auf beiden Seiten große Unterschiede auf. Außerdem sieht man, dass auch Robinho keine klassische Flügelposition besetzte, sondern den Raum, den die drei Römer auf seiner Seite phasenweise anboten, ungenützt ließ. El Shaarawy versuchte dies in ein paar wenigen Szenen, als er kurzfristig die Seite wechselte, besser zu machen, lief sich aber in der starken Innenverteidigung fest. Neben diesen beiden Gemeinsamkeiten gibt die Grafik auch über den ersten großen Unterschied Auskunft.
Unterschied I: der Mittelstürmer
Aufseiten der Gastgeber stürmte mit Osvaldo zwar kein klassischer Neuner, da dieser durchaus auch auf den Seiten aushalf und seine Bewegungen alles andere als hölzern sind, dennoch unterscheidet sich sein Spielstil deutlich von jenem von Boateng. Das kann man auch den nebenstehenden Heatmaps der beiden Akteure entnehmen (jene von Boateng zeigt nur Aktionen bis zur 55. Minute, da er danach am rechten Flügel agierte). Die Konzentration bei Osvaldo liegt klar im Sturmzentrum sowie auf der linken Seite wohin er sich ab und zu fallen ließ um in Kombinationen mit Totti, Bradley und Balzaretti eingebunden zu werden. Boatengs Laufwege sind hingegen weiter gestreut. Bereits beim 1:0-Sieg über Juve bekleidete Milans Nummer 10 eine sehr schwer definierbare Position. Er bearbeitet die Horizontale des Platzes gleichermaßen wie die Vertikale. Letzteres hängt vor allem mit der Spielweise von Antonio Nocerino zusammen, auf die später noch eingegangen wird.
Aufgrund der Flexibilität des Ghanaers gelang es Milan beim Gegner in der Anfangsphase für große Unordnung zu sorgen. Einerseits konnte Boateng durch sein Zurückfallen direkt am Aufbauspiel teilnehmen, andererseits zog er dadurch auch einen Innenverteidiger aus der Position, was Lücken in die Abwehrkette riss. So nutzte Milan diesen Vorteil neben der ohnehin ausbaufähigen Staffelung in der Roma-Defensive für Querpässe auf El Shaarawy durch die geöffnete Schnittstelle. Der Youngster vergab beim Stand von 1:0 zum Beispiel nach einer solchen Kombination eine gute Ausgleichsmöglichkeit als er im Eins-gegen-Eins an Mauro Goicoechea scheiterte.
Unterschied II: der offensive Achter
Der zweite große Unterschied, der sich ebenfalls in einer hochkarätigen Torchance niederschlug, betraf die beiden offensiven Achter. Bei der Roma war dies Miralem Pjanic, bei Milan Antonio Nocerino. Der italienische Teamspieler stand, wie man ebenfalls anhand der durchschnittlichen Positionen ausmachen kann, im Schnitt viel höher als seine nominellen Nebenmänner Riccardo Montolivo und Massimo Ambrosini. Das nebenstehende Bild zeigt eine beispielhafte Szene. Nocerino steht auf Höhe der Angreifer, was Boateng durch Zurückrücken ins Mittelfeld kompensieren will. Allerdings ist dieser von zahlreichen Römern gut isoliert, wodurch Nocerino erst recht keine Bindung zum Aufbauspiel erreicht. Nach den ersten 45 Minuten kam er nur auf unterirdische 16 Ballkontakte – Keeper Marco Amelia kam auch diegleiche Anzahl – bei einer Passerfolgsquote von lediglich 67%. Die Auswechslung in der 56. Minute war ein logischer Schritt.
Pjanic hingegen legte sein Spiel balancierter an und konnte dadurch auch die entscheidenden Verbindungen nach vorne herstellen. Da der Abstand zwischen Piris und Lamela wie erwähnt sehr groß war, war dies auch bitter nötig. So dribbelte er in der ersten Halbzeit nach einem Ballgewinn durchs Mittelfeld und legte danach auf Osvaldo ab, dessen Schuss Amelia mit einer sehenswerten Parade zur Ecke klären konnte. Ebenjener Eckstoß führte schließlich auch zum 1:0, das richtungsweisenden Charakter hatte.
Roma bekommt Probleme in Griff, Milan nicht
War die Roma nämlich bis zu diesem Zeitpunkt in der Defensive gewohnt unstrukturiert und trat gegen den Ball kaum geschlossen und kompakt auf, änderte sich das mit dem Führungstreffer. In Ballbesitz wirkte man sehr abgeklärt, griff selbst unter Höchstdruck nie zum langen Pass, wie beispielsweise das schön herausgespielte 2:0 zeigte und auch das Offensivpressing wirkte kompakter. Das 3:0 war ein Sinnbild dafür. Balzaretti und Bradley provozierten einen Fehlpass, den Daniele De Rossi eine Linie dahinter abfing und auf Lamela weiterleitete, der anschließend sein neuntes Saisontor erzielte.
Bei Milan war hingegen der Faden gerissen. Im Extremfall fädelten sich vier Spieler im Aufbauspiel in der Angriffslinie auf, während die übrigen beiden Zentrumspieler gegen das römische Dreiermittelfeld kein Land sahen und die Offensivakteure nicht einsetzen konnten. Auch als Allegri mit der Hereinnahme von Pazzini auf ein 4-2-3-1 umstellte, wurde man nicht Herr der Lage, sondern war auf Einzelaktionen oder Fehler des Gegners angewiesen. Zwar schlichen sich bei den Giallorossi Nachlässigkeiten ein – die rote Karte wäre genauso leicht zu vermeiden gewesen wie der Elfmeter zum 4:1 – Schiedsrichter Rocchi pfiff aber die Partie nach drei Minuten Nachspielzeit ab, sonst hätten sich die Gastgeber womöglich noch selbst um den verdienten Sieg gebracht.
Alexander Semeliker, abseits.at
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